# taz.de -- Debatte über J.D. Vance: Opportunistischer Proletenjunge
> J.D. Vance wurde vom Trump-Kritiker zu dessen Vizekandidaten. Manche
> sehen darin Verrat. Sie offenbaren ein Missverständnis über Haltung und
> Herkunft.
IMG Bild: Reno, USA, 30. Juni: der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance während einer Wahlkampfveranstaltung
Es gibt ein Auto, das auffällt in meinem Westberliner Kiez. Es ist
vollgeklebt mit Stickern des Ostberliner Fußball-Bundesligisten Union
Berlin. Was macht der denn hier?!, denke ich, wenn ich wieder daran
vorbeigehe. Ausgerechnet hier, in der historischen Heimat des Stadtrivalen
Hertha BSC! Wie kann man im Wedding wohnen und Unioner sein?!
Das ist natürlich Bullshit, sehe ich ein, wenn ich ein paar Meter weiter am
Bolzplatz vorbeigehe, wo Kinder in Trikots von Real Madrid und Manchester
City zocken. Von der Herkunft oder dem Wohnort einer Person auf ihren
favorisierten Club zu schließen, ergibt doch [1][gerade im
hyperglobalisierten Fußball] keinen Sinn, erklärt mir mein Besserwisser-Ich
ganz nüchtern. Der emotionale Fußballromantiker in mir fühlt sich mal
wieder belehrt. Aber er weiß: Der Klugscheißer hat recht.
Ähnlich verhält es sich im Politischen. Auch hier geht es neben Inhalten
immer auch um Identität, Herkunft, Bindungen. Aber auch hier ist es
hoffnungslos romantisch, von der Herkunft einer Person auf ihre politischen
Präferenzen zu schließen.
Dass das keine banale Feststellung ist, zeigte die Verwunderung, mit der
zuletzt über J. D. Vance, den Vizekandidaten von Donald Trump, geschrieben
wurde. Bekannt wurde Vance mit „Hillbilly Elegie“, seinem autobiografischem
Buch über die Armut in seiner Heimat Ohio und seinen Weg vom Kind einer
Heroinabhängigen zum Studenten der Elite-Universität Yale. Früher
kritisierte Vance Trump scharf – dann wurde er zu seinem politischen
Weggefährten.
## Vulgär und ohne Sinn für Aufrichtigkeit
Darin erkennen einige nun Verrat. Die FAZ bezeichnet Vance als
[2][„Konvertit“]; eine Spiegel-Autorin verabschiedet sich „gefühlt“ von
einem [3][„ehemaligen Verbündeten“], der heute ein „Handlanger“ Trumps ist;
„[4][Vance wurde ein anderer Vance] als der, den er den Amerikanern im Buch
präsentiert hatte“, findet Zeit Online oder gar, er sei „vor Trump [5][zu
Kreuze gekrochen]“. Auch [6][in der taz] heißt es, man benötige „für diese
außergewöhnliche Karriere“ eine „opportunistische Ader, die über das
übliche Maß hinausgeht“.
Viele der Einordnungen lesen sich so, als wäre Vance ein Willenloser ohne
eigene Meinung, der anders als andere Politiker den Versuchungen des
Opportunismus erlegen ist – obwohl jede erfolgreiche Karriere in der
Politik doch eine ordentliche Portion Opportunismus erfordert. Als wäre
Vance eben immer noch der dumme, vulgäre Proletenjunge, der keinen Sinn für
Aufrichtigkeit hat – schon gar nicht, wenn er sich einen persönlichen
Vorteil davon verspricht: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!
Mehr als an den menschenfeindlichen Inhalten, die Vance verbreitet,
scheinen sich die Kommentierenden an dem Umstand zu stören, dass jener sich
anders verhält, als sie es von ihm erwarten: Einer wie Vance, der aus armen
Verhältnissen kommt, muss doch links sein! Genauso wie ein Mensch mit
Migrationshintergrund doch Antirassist sein muss und eine Frau immer eine
Feministin!
Am Ende liegt hier vielleicht die entscheidendste Parallele zum Fußball,
sagt mir mein Besserwisser-Ich, dieser nervige Klugscheißer: Nicht
irgendeine romantische Vorstellung von Herkunft und schon gar nicht, was
richtig oder falsch ist, entscheidet über den Erfolg. Sondern am Ende das
Geld und die Macht. Sonst würden die Kinder auf dem Bolzplatz ja auch
Trikots von Hertha tragen, diesem Dauerkrisenclub, der immer noch in der
zweiten Liga herumdümpelt.
31 Jul 2024
## LINKS
DIR [1] /Zukunft-des-Fussballs/!5992256
DIR [2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/konvertiten-unter-den-amerikanischen-konservativen-19881953.html
DIR [3] https://www.spiegel.de/ausland/donald-trumps-vize-j-d-vance-fuer-viele-nicht-akademiker-war-er-ein-vorbild-damit-ist-es-vorbei-a-4daec5c1-afdd-45ef-8f47-bdd30256d43a
DIR [4] https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-07/j-d-vance-vizepraesident-kandidat-donald-trump-republikaner/komplettansicht
DIR [5] https://www.zeit.de/kultur/2024-07/jd-vance-donald-trump-vizepraesident-nominierung
DIR [6] /Hillbilly-Elegie-von-JD-Vance/!6023710
## AUTOREN
DIR Volkan Ağar
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