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       # taz.de -- Film „Was will der Lama mit dem Gewehr?“: Wählen üben mit Rot, Gelb und Blau
       
       > Aus Bhutan kommt mit „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ ein wundersamer
       > Film über einen Mönch und sein Gewehr: Doch was will der Lama damit?
       
   IMG Bild: Meisterschüler Tashi (Tandin Wangchuk), hier ohne Gewehr
       
       Über Bhutan wird hierzulande nicht oft berichtet; gefühlt zuletzt ungefähr
       vor sechzehn Jahren, als das als „glücklichstes Land der Welt“ bekannte
       kleine Himalaja-Königreich eine Verfassung bekam und zu einer
       konstitutionellen Monarchie wurde. [1][Mit Einführung der Demokratie] ging
       eine Öffnung und Modernisierung der Gesellschaft einher; aber noch immer
       ist vieles anders als im Rest der Welt.
       
       Zum Beispiel gibt es keine Filmindustrie. Keine professionell ausgebildeten
       SchauspielerInnen, keine Filmhochschule, und auch „keine eigene Kamera- und
       Lichttechnik, sodass die Ausrüstung im indischen Neu-Delhi geliehen und
       dann zum Drehort gebracht werden musste, was eine Woche dauerte“, erzählt
       Regisseur Pawo Choyning Dorji im Presseheft über die Dreharbeiten von „Was
       will der Lama mit dem Gewehr?“.
       
       Angesichts dieser nicht optimalen Bedingungen ist es umso erstaunlicher,
       dass ihm mit einem Cast, der, von einer einzigen Darstellerin abgesehen,
       ausschließlich aus SchauspielamateurInnen besteht, ein so rundum schöner
       Film gelungen ist. Der titelgebende Lama wird vom echten Lama des Dorfes
       Ura, Kelsang Choejay, dargestellt, und auch sämtliche Komparserie wurde vor
       Ort engagiert.
       
       Wir befinden uns im Jahr 2006. Der Lama von Ura unterbricht eine lange
       Meditation, um seinem Meisterschüler Tashi aufzutragen, ihm Gewehre zu
       beschaffen. Er brauche sie dringend für eine sehr wichtige Zeremonie am Tag
       des nächsten Vollmonds. Dieses Datum fällt allerdings zusammen mit einer
       ganz anderen wichtigen Zeremonie, nämlich der ersten Testwahl, die in
       Bhutan abgehalten werden soll. Um das Land und seine BürgerInnen
       vorzubereiten auf die Demokratie, hat der König bestimmt, dass der Vorgang
       des Wählens vor Eintreten des Ernstfalls geübt werden soll.
       
       ## Das Unglück mit der neuen Parteienlandschaft
       
       Drei Parteien treten testhalber gegeneinander an: eine blaue, eine rote und
       eine gelbe. Aus der Hauptstadt ist eine wichtige Wahlmanagerin ins Dorf Ura
       gekommen, um die Registrierung der WählerInnen zu koordinieren und die Wahl
       zu beobachten.
       
       Derweil sind nicht alle Menschen mit der neuen Parteienlandschaft
       glücklich, denn im Dorf gibt es auf einmal Spannungen zwischen
       AnhängerInnen verschiedener Parteien, was das Zusammenleben in bisher
       völlig ungekannter Weise erschwert. Auch die Wählerregistrierung läuft
       nicht gut an, denn viele Menschen müssen wieder nach Hause geschickt
       werden, da sie ihr Geburtsdatum nicht kennen.
       
       In einer Parallelhandlung begleitet der Film zwei Männer, die in einem
       kleinen roten Auto durchs Land fahren: Der Bhutaner Benji hat einen Job als
       Reiseführer für einen US-Amerikaner angenommen, der nach Bhutan gekommen
       ist, weil er Waffensammler ist und nach seltenen Schusswaffen sucht. Dass
       dies ein eher unrealistisches Szenario ist, stört nicht weiter; es gehört
       eben zur Logik dieser Geschichte.
       
       Selbstverständlich gibt es im überaus friedlichen Bhutan kaum Waffen; und
       so ist es nicht verwunderlich, dass sowohl der Amerikaner als auch der
       gewehrsuchende Mönch sich bald für denselben antiken Schießprügel
       interessieren, den ein alter Mann seit Generationen im Haus herumliegen
       hatte.
       
       Obwohl er sich eigentlich zuerst mit dem Amerikaner handelseinig geworden
       ist, schenkt der Alte es dann doch lieber dem Lama für seine Zeremonie. Und
       während die Polizei nach dem vermeintlich kriminellen ausländischen
       Waffenhändler sucht, setzen der Amerikaner und sein Guide Benji Himmel und
       Hölle in Bewegung, um das kostbare Gewehr wiederzubekommen.
       
       Außer einer sehr, sehr kurzen Verfolgungsjagd enthält der Film null
       Actionszenen, die Handlung läuft insgesamt ausgesprochen gemächlich ab; und
       doch gibt es einen sorgfältig gebauten, stabilen Spannungsbogen, denn
       mehrere Fragen stehen bis zum Schluss im Raum: Wird die Testwahl klappen?
       Wer bekommt das Gewehr? Und vor allem: Was will der Lama bloß damit?
       
       ## Auch sanfte feministische Kritik taucht auf
       
       Was den Film neben der Verfolgung dieser Fragen so liebenswert macht, sind
       die vielen kleinen Geschichten, die nebenher angedeutet werden. Auch eine
       sanfte feministische Kritik am patriarchal orientierten Gesellschaftsbild
       kann aus ihnen herausgelesen werden: Benji vernachlässigt wegen seines
       Reiseführerjobs für den Waffensammler seine diabeteskranke Frau. Ein
       dörflicher Wahlkampfhelfer vergisst vor lauter neugewonnener Wichtigkeit,
       seiner Tochter einen dringend für die Schule benötigten Radiergummi zu
       kaufen.
       
       Radiergummi und Gewehr erfüllen innerhalb des Themenfelds
       [2][Demokratisierung/Modernisierung der Gesellschaft] beide eine wichtige
       symbolische Funktion und stehen dabei durchaus konträr zueinander. Wenn
       dann am Ende, am Tag des Vollmonds, doch alles irgendwie zusammenkommt, ist
       das ganz unkitschig wunderschön.
       
       31 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Granzin
       
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