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       # taz.de -- Streit um Klärschlammverbrennungsanlage: Sinnvoll oder nicht?
       
       > Eine Bürgerinitiative wirft einer neuen Bremer Anlage für
       > Klärschlamm-Verbrennung eine hohe Schadstofflast vor. Die Umweltsenatorin
       > hält dagegen.
       
   IMG Bild: Beispiel für eine neue Klärschlammverbrennungsanlage – in diesem Fall in Stavenhagen in Mecklenburg-Vorpommern im Mai 2023
       
       Osnabrück taz | Toiletten sind geduldig. Sie spülen auch runter, was keine
       Fäkalie ist. Rein damit, weg. Geht ja alles in die Kläranlage.
       
       Aber die Abwasserbehandlung hinterlässt Klärschlamm. Der darf nicht mehr
       auf die Deponie, zu hoch ist die Schadstoffbelastung. Auch [1][als
       phosphorhaltiger Dünger für Agrarflächen ist er suboptimal], denn er
       enthält Schwermetalle, Chemikalien, Rückstände von Medikamenten.
       
       Eine Lösung: Verbrennung. Ab 2029 ist das für große Kläranlagen Pflicht.
       Keine Bodenbelastung mehr, dafür die Rückgewinnung von Phosphor aus der
       Asche, Abwärme fürs Fernwärmenetz, im Idealfall nachhaltig erzeugter Strom.
       
       Dazu braucht es Klärschlammverbrennungsanlagen. Eine davon geht demnächst
       am Bremer Industriehafen in Betrieb, verantwortet von der Bremer
       „Klärschlammentsorgung Nordwestdeutschland“.
       
       Doch die Bremer „Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu“ [2][erhebt seit
       Langem Vorwürfe gegen die Verbrennungsanlage]. Ende Juli hat die Initiative
       mit dem Vorwurf „Etikettenschwindel“ noch mal nachgelegt. In einem
       Kommuniqué schreibt ihr Sprecher Dieter Winge von einer „hohen
       Schadstofflast“ und einer „negativen Energiebilanz“.
       
       Besonders die genehmigten Schadstoffwerte empören Winge. Sie liegen am
       oberen Ende der Emissions-Bandbreite, welche die [3][EU-Richtlinie über
       Industrieemissionen] zulässt. Es reiche nicht, sich innerhalb der
       Bandbreiten zu bewegen, sagt Winge der taz. „Die Betreiber müssen erst
       einmal die niedrigsten Werte anstreben. Ist dies nicht möglich, muss
       nachgewiesen werden, warum diese so nicht erreicht werden können.“
       
       ## Schadstoffwerte vergleichsweise hoch
       
       In Bremen wie auch an anderen deutschen Standorten sei man „so nicht
       vorgegangen“, man habe „schematisch die maximal möglichen Schadstoffwerte
       innerhalb dieser Bandbreite beantragt und auch genehmigt“. Die Bremer
       Anlage habe „fast durchgängig wesentlich höhere Schadstoffwerte“ als eine
       vergleichbare Anlage im niederländischen Delfzijl.
       
       Zudem verbrauche die Anlage mehr Energie, als durch die Verbrennung des
       Klärschlamms erzeugt werde. „Dies ist im politischen Prozess und auch im
       anschließenden Genehmigungsverfahren immer anders kommuniziert worden“,
       schreibt Klaus Koch vom Gutachterbüro Umweltnetzwerk Hamburg in Winges
       Kommuniqué. Der Bevölkerung sei gesagt worden, „dass die KVA-Anlagen
       klimagünstige Effekte hätten, zusätzlichen Strom und Fernwärme erzeugen
       können“. Das sei eine „Klimalüge“.
       
       Winges Bürgerinitiative verlangt zusammen mit dem Umweltnetzwerk Hamburg
       von Kathrin Moosdorf, der Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und
       Wissenschaft, nun eine Studie zur Energieeffizienz.
       
       Eine solche Studie werde „als nicht zielführend angesehen“, schreibt Jonas
       Kassow, Leiter des Büros der Senatorin, der taz. Eine Energiebilanz habe
       für die Genehmigungsfähigkeit der Anlage „keine Rolle“ gespielt. Ihr
       Hauptzweck sei nicht die Energieerzeugung. Es gehe darum, Phosphor
       „umfassender als bisher wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen“
       und gleichzeitig „die herkömmliche bodenbezogene Klärschlammverwertung“
       einzuschränken.
       
       Den „Klimalüge“-Vorwurf wertet Kassow als Unterstellung. Die Anlage könne
       „weitgehend energieautark betrieben werden“, Transportwege würden
       entfallen. Zu der über den Eigenverbrauch hinausgehenden Erzeugung von
       Strom und Fernwärme gebe es keine Zahlen des Betreibers, schreibt Kassow.
       Solche Zahlen seien für die Genehmigung und Überwachung der Anlage aber
       auch nicht maßgeblich.
       
       Die Anlage erfülle „alle geltenden gesetzlichen Anforderungen und
       -Vorschriften“, schreibt Oliver Ladeur der taz, Sprecher des Betreibers
       „Klärschlammentsorgung Nordwestdeutschland“, sie sei auf „dem Stand der
       Technik“. Die Umweltsituation am Standort verbessere sich deutlich: „Das
       Kohlekraftwerk Block 6 ist vom Netz gegangen und die thermische
       Klärschlammverwertung kommt. Das muss immer im Zusammenhang gesehen
       werden.“ Am Standort würden eine Million Tonnen weniger CO2 emittiert,
       außerdem reduziere sich der Feinstaub deutlich. Die
       Rauchgasreinigungsanlage setze „höchste Umweltstandards“.
       
       Winge wird das nicht zufriedenstellen. Auch an der
       [4][Phosphor-Rückgewinnung] hat er Zweifel. Es gebe „noch kein marktreifes
       Verfahren“, schreibt er. „Somit wird die Bevölkerung auch zum Hauptzweck
       dieser Anlagen in die Irre geführt.“
       
       4 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR [4] /Abfallwirtschaft-in-Deutschland/!5965004
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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