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       # taz.de -- Geher-Wettbewerb bei Olympia: Der kleine Ronaldo
       
       > Geher Brian Pintado gewinnt Gold für Ecuador und der Deutsche Christopher
       > Linke sieht sich gezwungen, 20 Kilometer lang aufs Pflaster zu stieren.
       
   IMG Bild: Hitzeschlacht auf Kopfsteinpflaster: Goldgeher Brian Pintado (vorn) und der Deutsche Christopher Linke (l.)
       
       Plötzlich war [1][Cristiano Ronaldo] in Paris. Nein, der alternde
       portugiesische Fußballkrösus, war nicht selbst da. Aber alle, die beim
       [2][Wettbewerb der Geher] über 20 km in Paris waren, konnten sehen, von wem
       sich Brian Pintado für seinen Jubel über Gold im Zielraum hat inspirieren
       lassen.
       
       Er stand so machomäßig da wie Ronaldo, wenn der gerade ein Tor geschlossen
       hat, als die Nächstplatzierten ins Ziel kamen, der Braslianer Caoi Bonfim
       und der Spanier Álvaro Martín. „Auf den letzten Metern habe ich gemerkt,
       dass ich ganz alleine bin, und als ich die Ziellinie gesehen habe, dachte
       ich mir: Jetzt bin ich Olympiasieger. Ich!“ Das doch recht große Tattoo auf
       seiner Brust, das die olympischen Ringe abbildet, ist ein Hinweis darauf,
       wie viel ihm der Sieg bedeuten mag.
       
       Dann machte sich Pintado geduldig auf den Weg durch das Spalier der
       Medienschaffenden im Zielraum und wurde nicht müde, die Geschichte seiner
       Entbehrungen zu erzählen. Als Vizeweltmeister über 35 km war er angereist.
       Auch deshalb hat er so viel von sich erwartet. Und so hart gearbeitet. Vier
       Monate hat er seine Frau und seine zwei Kinder nicht mehr gesehen. „Aber
       ich habe sie immer dabei“, sagte er und zog ein kleines Foto, nicht größer
       als ein Passbild, aus seiner Laufhose. Man konnte die Kleinen auf dem
       schweißdurchtränkten Abzug sogar noch erkennen. Dann zeigte Pintado auf den
       Anhänger seiner Silberkette. Einen großen und einen kleinen Geher hatte er
       um den Hals hängen: „Mein Sohn und ich.“
       
       Ihm war bewusst, dass er gerade die erste Medaille [3][für Ecuador] in
       Paris gewonnen hatte. Die könnte nun sein Leben verändern. Was er sich
       erwartet? „Jetzt will ich, dass mir mein Land ein Haus für meine Kinder
       finanziert. Mehr möchte ich nicht“, sagte er und winkte ein paar
       Journalisten aus Ecuador zu, die noch ein Selfie mit dem Olympiasieger
       machen wollten. „Ich komme gleich.“
       
       ## Entsetzen über eigene Leistung
       
       So cool wie er schon kurz nach dem Zieleinlauf wirkte, war Pintado vor dem
       Rennen nicht. Er sei so aufgeregt gewesen, dass er nur vier Stunden habe
       schlafen können. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen
       Olympiasieg. Nun, es hat ja trotzdem geklappt. Wesentlich besser jedenfalls
       als bei Christopher Linke, der als 19. völlig enttäuscht von sich selbst
       durchs Ziel gegangen war.
       
       Der 35-Jährige, 2023 WM-Fünfter, war so niedergeschlagen, dass er sich
       nicht vorstellen konnte, am nächsten Tag wieder zu trainieren. „Dabei muss
       ich das. Ich muss den Wettkampf aus den Beinen laufen“, sagte er. Und die
       Vorbereitung starten für die Mixed-Staffel am nächsten Mittwoch mit Saskia
       Feige, die im anschließenden Frauenrennen auf Platz 28 ins Ziel gekommen
       ist.
       
       Aber irgendwie war es bei allem Entsetzen über die Leistung irgendwie auch
       „geil“ für Linke. Das lag an den Fans auf den billigen Plätzen. Vom
       Trocadéro ging der Kurs der Geher über die Seine und dann links in einen
       Bereich für Zuschauer ohne Ticket. Tausende drängten sich da hinter den
       Zäunen. „Das war so laut, so geil. Da hat man mal gesehen, wie Geher auch
       geschätzt werden.“ Diese Wertschätzung vermisst Linke in Deutschland.
       „Sonst tun wir immer so offen, aber wenn jemand sagt, dass er Geher ist,
       dann müssen alle lachen“, sagte er. In dieser Hinsicht hat er die Spiele
       also auch ein bisschen genießen können.
       
       Sonst hat ihm nicht viel gefallen an der Strecke. „Für die Fotografen war
       es sicher toll. Da gibt es jede Menge Bilder mit Gehern vor dem Eiffelturm.
       Ich hoffe, dass es von mir auch ein schönes gibt.“ Sonst sei der unebene
       Untergrund eher eine Frechheit gewesen. „Ich bin zwei-, dreimal richtig
       umgeknickt“, sagte er. Und wer auf die Idee gekommen sei, eine Spitzkehre
       auf Kopfsteinplaster in die Strecke zu integrieren, der verstehe nichts vom
       Gehen. Er selbst jedenfalls hat fast nichts gesehen von der schönen
       Aussicht auf den Eiffelturm, weil er immer auf den Boden habe schauen
       müssen.
       
       Und dann war da noch das Wetter. Die schwüle Hitze, die nach einem Gewitter
       in den frühen Morgenstunden besonders drückend war, sei vor allem den
       Asiaten zugute gekommen. Eine Athletin aus Asien hatte keine Probleme mit
       den Bedingungen. Die neue Olympiasiegerin Yang Jiayu sah nicht besonders
       erschöpft aus, als sie ins Ziel kam.
       
       1 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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