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       # taz.de -- Ausstellung von Grada Kilomba: Ihre Seelen irrlichtern umher
       
       > Postkolonialer Minimalismus, der nur überwältigen kann: zur Ausstellung
       > „Opera to a Black Venus“ von Grada Kilomba in der Kunsthalle Baden-Baden.
       
   IMG Bild: Performing Knowledge vor schroffen Felsen: Grada Kilombas „Opera to a Black Venus“
       
       Der Titel „Opera to a Black Venus“ klingt ein wenig pompös. Er ist aber
       klug gewählt. Grada Kilomba verweist damit [1][in der Kunsthalle
       Baden-Baden] auf zwei Säulen der europäischen Kulturtradition, die Oper und
       die griechische Mythologie. Black Venus spielt die Hauptrolle, ohne
       personifiziert in Erscheinung zu treten. Es geht um Höheres: um das
       Sediment der Geschichte. Die Künstlerin will es fruchtbar machen. Mit den
       Mitteln der europäischen Hochkultur beschwört sie die Kraft der Black
       Community.
       
       Das macht sie virtuos – allerdings ohne dem Publikum eine differenzierte
       Sicht zu bieten. Sie nimmt sich, was ihr zu ihrer Erzählung, dieser einen
       Erzählung passt. Sie stellt sich in die Tradition der Griots, der
       Geschichtenerzähler des afrikanischen Kontinents. Sie liebt aber auch die
       Oper. Dort kommen alle Künste zusammen. Ihr Auftritt in Baden-Baden soll
       als großes Ganzes wirken, als Inszenierung des unfassbaren Leids im Raum.
       
       Im großen Saal leitet ein Wald aus schwarzen Vorhängen die Trauerarbeit
       ein. Es folgt der Eintritt in eine Welt, in der Vergangenheit und Gegenwart
       ineinanderfließen. Das „Labyrinth“ ist lediglich der Prolog zum zentralen
       Bild der Inszenierung, der Videoarbeit „Opera to a Black Venus. What would
       the bottom of the ocean tell us tomorrow, if emptied of water today.“ (Oper
       für eine schwarze Venus. Was würde uns der Grund des Ozeans erzählen, wenn
       er heute geleert würde.) Damit ist alles gesagt.
       
       Das wandfüllend projizierte Video zeigt mit statischer Kamera ein bewegtes
       Tableau. Im Vordergrund stehen Frauen und Männer, in mehreren Reihen
       hintereinander, synchron tief ein- und ausatmend. Im Hintergrund schroffe
       Felsen als Sinnbilder komprimierter Zeit. Zwei Personen lösen sich aus der
       Formation und bewegen sich auf den Betrachter zu. Sie stehen für die
       Befreiung [2][von dem bedrückenden Erbe, für die in die Gegenwart
       hineinreichende Geschichte des Kolonialismus.]
       
       ## Die Macht untröstlichen Leids
       
       Diese Oper ist nur wenige Minuten lang. Jedenfalls in der Fassung, die uns
       die Künstlerin in diesem Moment zubilligt. Sie stellt in Dauerschleife die
       Frage nach den heutigen Toten des Mittelmeeres, den Gründen ihrer
       Migration, den Ursachen zementierter Abhängigkeitsverhältnisse, der
       Klimakrise. Aber davon spricht Grada Kilomba nur indirekt. Sie inszeniert
       mit ihren performten Bildern die Macht untröstlichen Leids. Sie stellt sie
       vor uns hin als Klage, als Epos, als spirituell aufgeladenen Raum. Ihr
       Anspruch ist hoch, vielleicht zu hoch.
       
       Ihr Werk spielt mit den Mitteln des Theaters, wie zwei ihrer früheren
       Produktionen aus der Serie „Illusions“ zeigen. Grada Kilomba erzählt darin
       die Geschichten von „Antigone“ und „Ödipus“ vor postkolonialem Hintergrund
       neu. Die von Antigone gestellte Frage, welcher Körper es wert ist, begraben
       zu werden und welcher nicht, bezieht Kilomba auf die Toten des kolonialen
       Unrechts und der Migration. Sie sind nicht bestattet worden, ihre Seelen
       irrlichtern umher, traumatisieren die Nachgeborenen der Kolonisierten.
       Realität und Mythos fließen ineinander.
       
       Dieses Mantra durchzieht auch die Installation „18 Verses“. Sie schließt an
       die Performance „O Barco/The Boat“ an, eine Open-Air-Inszenierung, die 2021
       in Lissabon und Baden-Baden aufgeführt wurde. Beide Arbeiten [3][erinnern
       an die Sklavenschiffe, an den Dreieckshandel im 17. und 18. Jahrhundert].
       
       ## Sklaven damals, Geflüchtete heute
       
       Im Raum verstreut liegen kurze, geschwärzte Balken. Darin sind in den
       Sprachen der Geflüchteten, in Yoruba, Kimbundu, Kapverdischem Kreolisch,
       Portugiesisch, Englisch und syrischem Arabisch Verse eingraviert und mit
       Blattgold hervorgehoben. Die Fracht des Schiffs bestand aus versklavten
       Menschen, die dort zusammengedrängt ausharrten wie heute die Geflüchteten
       in den Booten der Schleuser.
       
       Grada Kilomba begreift ihre künstlerische Arbeit als „performing
       knowledge“, als aufgeführtes Wissen, das sie mythisch verklärt. Sie bietet
       diverse Medien und Darstellungsformen auf, um auf den Kolonialismus und
       seine Folgen aufmerksam zu machen. Die Künstlerin jedoch zielt mit ihrem
       Werk nicht auf eine detaillierte Aufarbeitung von Geschichte. Der gelernten
       Psychologin geht es um Arbeit an unbearbeiteter Trauer. Ihre Therapie heißt
       Katharsis.
       
       Es ist kein Zufall, dass die erste Einzelausstellung von Grada Kilomba in
       Deutschland in der Kunsthalle Baden-Baden stattfindet. Das Leitungsduo
       Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız setzt auf Storytelling, die Idee der
       Bühne, das Live-Event. Çağla Ilk möchte ein breites Publikum erreichen. Das
       Konzept brachte ihr [4][die Kuration des deutschen Pavillons der Biennale
       von Venedig] ein. Sie begreift Kilombas Bildsprache als postkolonialen
       Minimalismus.
       
       Da stellt sich die Frage, wie der Minimalismus zum Selbstverständnis der
       Künstlerin als Geschichtenerzählerin passt. Genau genommen sind auch ihre
       Erzählungen minimalistisch. Es sind feinsinnige Variationen ein und
       derselben Geschichte. Es ist ein schmaler Grat, auf dem diese Kunst agiert.
       Als Live-Performance ist sie großartig.
       
       20 Jul 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Carmela Thiele
       
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