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       # taz.de -- Fußballer verwarnt: Boateng kommt glimpflich davon
       
       > Ist Fußballer Jérôme Boateng ein notorischer Frauenschläger? Die
       > Richterin im Berufungsverfahren gegen den Ex-Bayern-Star meint: Nein.
       
   IMG Bild: München, 19. Juli: Jérôme Boateng, Fußball-Profi, im Gerichtssaal des Landgerichts
       
       München taz | „Damit ist die Sache erledigt“, sagt Susanne Hemmerich am
       Ende noch. „Glücklicherweise. Nach sechs Jahren.“ Zuvor hat die Richterin
       rund eine Stunde lang erklärt, warum sie [1][gegen den Fußballer Jérôme
       Boateng ein mildes Urteil] verhängt hat. Eines, das weit unter den
       Forderungen der Staatsanwältin geblieben ist. Diese hatte eine Geldstrafe
       von 1,12 Millionen Euro gegen den 35-Jährigen gefordert. Nun wurde Boateng
       wegen Körperverletzung zwar verwarnt, die Strafe von nur 40 Tagessätzen à
       5.000 Euro, also insgesamt 200.000 Euro, muss der Sportler allerdings nur
       zahlen, wenn er sich innerhalb einer einjährigen Bewährungszeit noch einmal
       etwas zuschulden kommen lässt. Davon unabhängig machte die Richterin die
       Zahlung von je 50.000 Euro an zwei Vereine für Jugendliche und Kinder zur
       Auflage.
       
       [2][Verhandelt wurde ein Streit zwischen Boateng und seiner damaligen
       Partnerin Sherin S]., mit der er zwei Kinder hat, während eines
       Karibikurlaubs 2018. Die Richterin ließ es sich denn auch nicht nehmen, auf
       die vermeintlich magische Bedeutung der Zahl sechs hinzuweisen: Das
       Verfahren habe vor genau sechs Wochen begonnen, der Vorfall habe sich auf
       den Tag genau vor sechs Jahren zugetragen. Bei der Auseinandersetzung
       fielen dabei offenbar nicht nur wüste Beschimpfungen in beide Richtungen,
       es kam auch zu Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf Boateng an der Lippe
       und seine damalige Freundin zumindest am Auge verletzt wurden.
       
       In dem Fall waren bereits zwei Urteile ergangen, 2021 und 2022. Beide Male
       war Boateng zu hohen Geldstrafen verurteilt worden. Gegen das erste Urteil
       wurde jedoch von Staatsanwaltschaft und Verteidigung Berufung eingelegt,
       das zweite wurde nach entsprechenden Revisionsanträgen vom Obersten
       Landesgericht kassiert.
       
       ## Einmal ausgerastet?
       
       Anders als die Richter vor ihr kam Hemmerich nun zu dem Schluss, dass ein
       Großteil der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft haltlos seien. So hätte sich
       Sherin S. in ihrer Aussage in weiten Teilen als unglaubwürdig erwiesen –
       ebenso wie eine Freundin, die ebenfalls mit in dem Urlaub gewesen sei und
       erneut als Belastungszeugin auftrat. Es sei beispielsweise nicht
       anzunehmen, dass Boateng, wie von S. behauptet, mit einer schweren Laterne
       und einer Kühltasche nach ihr geworfen und sie zumindest mit zweiterer am
       Rücken verletzt habe. Auch die Behauptung, er habe sie in den Kopf
       gebissen, lasse sich vor allem nach der Erklärung eines Sachverständigen
       nicht halten.
       
       Auch Vorwürfe zu einem Vorfall zwei Jahre zuvor bei einer Geburtstagsparty,
       die Boateng für seine Freundin gegeben hatte, hätten sich nicht, wie von
       der Zeugin S. beschrieben, belegen lassen. Auch damals soll Boateng S.
       geschlagen sowie sie um ein Auto gejagt haben, bis sie gestürzt sei und
       sich verletzt habe. Dieser Fall wurde zwar nicht angezeigt, aber von
       Staatsanwaltschaft und Nebenklage als Beleg dafür angeführt, dass sich hier
       bei Boateng ein wiederkehrendes Verhalten zeige.
       
       Das sieht Hemmerich, die sich während der Verhandlung immer wieder giftige
       Wortgefechte mit der Staatsanwältin wie auch der Nebenklagevertreterin
       lieferte, komplett anders: „Wir haben hier nicht den schlimmen
       Frauenschläger“, so Hemmerich. „Wir haben hier einen Menschen, der einmal
       in einer Beziehung über Gebühr ausgerastet ist.“ Bei dem Vorfall 2016
       ergibt sich der Richterin zufolge nach der Aussage eines Zeugen auch
       vielmehr das Bild, dass Sherin S. handgreiflich geworden sei und Boateng
       mit Stöckelschuhen ins Gesicht getreten habe. Eine Vorstellung, die die
       Richterin sogar kurzzeitig in den Dialekt verfallen lässt: „ Wenn des koa
       g’fährliche Körperverletzung is’, dann woaß ich’s net.“
       
       ## „Absolut toxische Beziehung“
       
       In der Tat schien es in den nunmehr drei Verfahren um den Fall im
       Gerichtssaal mitunter um weit mehr zu gehen als um das, was juristisch auf
       der Agenda stand. So ergab sich bisweilen der Eindruck, als würde hier
       stellvertretend toxische Männlichkeit bei Profifußballern im Allgemeinen,
       oder parallel laufende familienrechtliche Auseinandersetzungen, verhandelt
       werden. In diesen geht es vor allem um die gemeinsamen Zwillingstöchter,
       die in den Augen der Richterin ohnehin die Hauptleidtragenden des
       Verfahrens sind.
       
       [3][Auch der Fall Kasia Lenhardt] konnte in dem Verfahren nicht völlig
       ausgeklammert werden. Lenhardt war ein Model, mit dem Boateng nach Sherin
       S. liiert war. Anfang 2021 teilte der Fußballer mit, sich von Lenhardt
       getrennt zu haben, und holte in einem Bild-Interview zu massiven Vorwürfen
       gegen sie aus. Sie habe ihn erpresst, ihn zerstören wollen. Die
       Schlammschlacht fiel jedoch einseitig aus. Lenhardt äußerte sich nicht.
       Nach Recherchen von Correctiv und Spiegel hatte Lenhardt eine Vereinbarung
       unterschrieben, wonach sie sich nicht zu ihrer Beziehung mit Boateng äußern
       durfte; sie hätte sich also nicht wehren können. Aber auch hier,
       argumentiert Richterin Hemmerich, habe sich mittlerweile gezeigt, dass es
       keine Anhaltspunkte für die Behauptung gebe, Lenhardt sei eine solche
       Vereinbarung abgepresst worden. Das Model starb kurz nach dem Interview –
       mutmaßlich tötete es sich selbst.
       
       Richterin Hemmerich prognostizierte dem Fußballer am Ende des Verfahrens
       eine straffreie Zukunft. Boateng sei „sehr, sehr geläutert“. Der einzige
       Grund für den Prozess sei eine „absolut toxische Beziehung mit wohl auch
       gegenseitigen Körperverletzungen“. Nachdem Boateng aus dieser Beziehung
       raus sei, gebe es keine Veranlassung anzunehmen, dass es zu weiteren
       Straftaten komme.
       
       Boatengs Anwalt kündigte bereits an, dass er nicht in Revision gehen werde,
       Staatsanwaltschaft und Nebenklage prüfen noch.
       
       19 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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