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       # taz.de -- Kritik zu „Correctiv“-Recherche: Peinliches Penisfechten
       
       > Eine „Correctiv“-Recherche zum Treffen rechter Kräfte wird nun
       > kritisiert. Doch eine ehrliche Debatte über journalistische Praxis sieht
       > anders aus.
       
   IMG Bild: Journalismus als Inszenierung: Die „Correctiv“-Recherche auf der Bühne des Berliner Ensembles
       
       Kurz fühlte es sich so an, als würde es sich jetzt wirklich etwas
       verändern. [1][Anfang des Jahres gingen Hunderttausende trotz Eiseskälte
       gegen Rechts] auf die Straße. Und das schien sogar Wirkung zu zeigen: Die
       Umfragewerte der AfD sanken.
       
       Ausgelöst wurde der Massenprotest von dem [2][Correctiv-Text „Geheimplan
       gegen Deutschland“]. Darin geht es um ein Treffen zwischen
       AfD-Politiker_innen, Neonazis und Unternehmer_innen in Potsdam, wo Martin
       Sellner einen „Remigrations“-Plan vorgestellt hat. Der Rechtsextremist
       sprach davon, bestimmte Menschen aus Deutschland ausweisen zu wollen:
       Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte
       Staatsbürger“.
       
       Die Pläne waren weder ganz neu noch unbekannt, doch Correctiv präsentierte
       sie mit ordentlich Bohei in Sozialen Medien und szenischen Lesungen in
       renommierten Theaterhäusern. Für viele galt der Text als journalistisches
       Glanzstück, das unsere demokratischen Werte verteidigt. Doch früh kam auch
       Kritik an dem Text und der Inszenierung auf – gerade von konservativen und
       rechten Medien.
       
       Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung [3][holt nun Übermedien zum
       Schlag aus], und zwar mit der ganz großen Keule. In einer seitenlangen
       Analyse kommen Stefan Niggemeier, Christoph Kucklick und der Anwalt Felix
       W. Zimmermann zum Schluss, der Text verdiene keine Preise, sondern Kritik.
       Und es brauche endlich eine ehrlich geführte Debatte.
       
       Übertreibungen, Spekulationen und Fehler 
       
       Gegen eine medienpolitische Debatte kann niemand etwas einwenden. Denn nur
       weil ein Text Gutes ausgelöst hat, muss es nicht heißen, dass es auch ein
       guter Text ist. Doch das Problem an der Kritik ist, dass sie teilweise mit
       den gleichen Mitteln arbeitet, die sie Correctiv vorwirft: nämlich mit
       Übertreibungen, Spekulationen und Fehlern.
       
       Die grundsätzliche Kritik von Niggemeier und Co. an dem Text lautet: zu
       wenig handfeste Details und direkte Zitate, zu viel Spekulation, Geraune
       und Unklarheiten. Und an manchen Stellen haben sie mit ihrer Kritik einen
       Punkt.
       
       Wie wenn Correctiv den „Remigrations“-Plan von Sellner in die Nähe der Idee
       der Nazis stellt, die 1940 vier Millionen Juden nach Madagaskar deportieren
       wollten. Nur um dann anzuführen, dass der Potsdamer Treffpunkt nur acht
       Kilometer vom Haus der Wannseekonferenz entfernt sei. Ein Fakt, der keinen
       Mehrwert liefert, aber ein Narrativ füttern möchte.
       
       Bei anderen Punkten scheint die Kritik etwas weit hergeholt: Wie, wenn es
       darum geht, dass Sellners „Masterplan“ nur mit drei direkten Zitaten
       unterfüttert wird. Oder der Vorwurf, dass hinreichende Belege fehlten, dass
       Sellners Plan nach „rassistischen Kriterien“ ablaufe – weil auch hier ein
       direktes rassistisches Zitat fehle.
       
       Dabei sollte es doch wohl außer Frage stehen, dass der Wunsch, deutsche
       Staatsbürger, die „nicht ausreichend assimiliert“ seien, abzuschieben, als
       Beleg ausreicht, um etwas als rassistisch zu bezeichnen.
       
       Wirklich falsch wird es an der Stelle, an der Übermedien behauptet, dass
       der Text sich selbst widerspreche. Denn es gebe keine Belege für einen
       „Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik“, weil Sellner selbst
       behauptete habe, dass er Menschen „nicht gesetzeswidrig ausweisen“ möchte.
       
       Problem ist nur, dass dieses Zitat überhaupt nicht von Sellner stammt,
       sondern von einem Anwalt, der für den AfD-Politiker Ulrich Siegmund
       spricht. Auf Nachfrage der taz hat Übermedien die Namen an der Stelle
       entsprechend abgeändert. Doch nun beweist sie nichts mehr.
       
       Hauptsache online bleiben 
       
       Ein letzter großer Punkt in der Argumentation von Übermedien bezieht sich
       auf die Verteidigungsstrategie von Correctiv vor Gericht. Denn natürlich
       wurde der Text von verschiedenen Seiten juristisch angefochten. Übermedien
       kritisiert, dass die Argumentation vor Gericht nicht dem entspreche, was
       die Journalist_innen in ihrem Text geschrieben hätten.
       
       Doch das ist kein Wunder, denn vor Gericht sprechen nicht Journalist_innen,
       sondern Anwält_innen. Deren Ziel: so zu argumentieren, dass der Text
       bestehen bleiben kann. Und festzuhalten bleibt: Bis auf wenige Änderungen
       steht der Correctiv-Text weiter online.
       
       Die Kritik an der Kritik hier mag haarspalterisch erscheinen. Doch sie
       lässt vermuten, dass der Text von Übermedien kein Debattenstart ist,
       vielmehr erstickt er jegliches Gespräch im Keim. Schon in der Einführung
       heißt es, die Berichterstattung von Correctiv sei „problematisch“ und
       „misslungen“, das Verhalten der Redaktion „fragwürdig“ und die
       Berichterstattung über den Text „eine Katastrophe“. Eine Nummer kleiner
       ging es wohl nicht.
       
       Leider reagieren die Correctiv-Redakteur_innen ähnlich unsouverän.
       Correctiv-Chef David Schraven schreibt bei Threads über Stefan Niggemeier:
       „Der Mann sucht nach dem Skandal im Menschen und ist vor Neid zerfressen“,
       sein Kollege Jean Peter unterstellt dem Co-Autor Kucklick bei X, es gehe
       ihm um Anerkennung und Status und bietet ihm dann überheblich ein
       Trost-Gespräch an.
       
       Recherche als Story 
       
       Von außen wirkt das nicht wie seriöse Medienkritik, sondern wie ein
       peinliches Penisfechten unter Journalisten. Dabei wäre eine ehrliche
       Debatte über die Correctiv-Recherche, inwiefern sie Narrative über
       detailreiche Beweisführung stellt, dringend geboten. Genau wie die
       allgemeine Frage, wie viel Storytelling eine Recherche verträgt, dringend
       geboten wäre.
       
       Denn ganz ohne Storytelling funktioniert es nicht: Reine
       Rechercheergebnisse sind langweilig, es kommt auf die Aufarbeitung und auch
       die Verbreitung an, damit Texte durchdringen. Ein Journalismus, der nicht
       durchdringt, bringt nichts.
       
       Gleichzeitig darf Storytelling nicht dazu führen, dass Fakten zugespitzt
       oder verwässert werden. Wo die Grenzen liegen, ist ein Aushandlungsprozess,
       den wir nur gemeinsam führen können. Dafür braucht es aber
       Journalist_innen, die Kritik einstecken können – und auch solche, die
       Kritik formulieren können.
       
       2 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-gegen-rechts/!5985924
   DIR [2] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/
   DIR [3] https://uebermedien.de/97285/der-correctiv-bericht-verdient-nicht-preise-sondern-kritik-und-endlich-eine-echte-debatte/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
       
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