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       # taz.de -- Kunst mit Sound zu 50 Jahre Bethanien: Reizempfänger und Klangerzeuger
       
       > Es knarzt und rattert und pulsiert. Mit der Klangkunst-Ausstellung
       > „Sounds Of Bethany“ feiert das Künstlerhaus Bethanien seinen 50.
       > Geburtstag.
       
   IMG Bild: Sound der Bonsais: „Die Konferenz der Bäume“ von Christina Kubisch von 1988/89
       
       Eine Hommage an die Elemente und ihre Tonlagen, an Berlin und seine
       Klangfarben und eine Untersuchung, wie sich das eigentlich anhören lässt,
       ist die Ausstellung zum 50. Jubiläum des Künstlerhauses Bethanien. Seit
       2010 hat es sein Domizil in der Kottbusser Straße in Kreuzberg. Das
       Künstlerhaus wird gerahmt von einem Café und einem Geschäft für
       Waschmaschinen. Die weißen Riesen geben ziemlich gute Trommler ab, und
       vielleicht finden ihre Rhythmen auch Eingang in die Installation, die die
       Besucher von „Sounds Of Bethany“ empfängt: „plus.minus.kleiner als.größer
       als X“ heißt die neue Arbeit, in der [1][Robert Lippok] ein Ensemble aus
       Reizempfängern und Klangerzeugern aufgebaut hat.
       
       Ein Glaskörper wie aus der chemischen Industrie, Neonröhren, Lautsprecher,
       Resonatoren, Motoren und ein Modularsystem bilden eine alchemistische
       Zimmerbaustelle. Holz rattert und Metall klingt wie von unsichtbarer Hand
       gesteuert. Wer eintritt, trägt zur Installation bei: Es gibt viele
       verschiedene Arten, eine Tür zu öffnen und einen Raum zu betreten. Dass sie
       alle unterschiedlich klingen, fließt in Lippoks Labor ein. Der Musiker,
       Komponist und bildende Künstler hat den Ansatz einer Ausstellung von 2023
       in der Galerie Pankow für das mit seinem Bruder Ronald Lippok betriebene
       offene Bandprojekt Ornament & Verbrechen aufgegriffen, er überschreitet die
       Grenze zwischen Innen und Außen.
       
       Lippok bringt Kontaktmikrofone zum Einsatz. Sie nehmen die Vibrationen des
       Gebäudes und seines Fundaments auf. Die U-Bahn-Linie 8 grundiert das
       Klangbild. „Der künstlerische Raum ist nicht nur der Galerieraum“, sagt
       Christoph Tannert, seit 1992 am Bethanien und von 2000 bis 2024 sein
       künstlerischer Leiter wie auch Geschäftsführer. Er weist auf die Künstlerin
       Christina Kubisch hin: Sie hat vor einigen Jahren die Besucher einer
       Bethanien-Ausstellung mit Kopfhörern zu einem Klangspaziergang auf die
       Kottbusser Straße verführt, in dem Straßengeräusche Teil der Komposition
       wurden.
       
       Einer Klanginstallation Kubischs aus den Jahren 1988/89 gehört einer der
       Räume von „Sounds Of Bethany“: „Die Konferenz der Bäume“ findet statt
       zwischen fünf spiralförmig mit Kabeln umwickelten Bonsais, die auf einem
       ovalen Stehtisch Platz genommen haben, eine Handvoll frisches Grün auf
       einer weißen Holzplatte.
       
       ## Kontrapunkt zu Truppenmanövern
       
       Das Möbelstück lässt sich mit einem Paar elektromagnetischer Kopfhörer
       umrunden und dabei eine 5-Kanal-Komposition Kubischs buchstäblich
       durchlaufen: Flächige Klänge gehen in pulsierend körnige Sounds über, je
       nach Abstand und Standort ändern sie ihre Lautstärke oder trennen sich. Die
       Idee kam Kubisch 1987 während einer Residenz in Worpswede. Der Name
       assoziiert heutzutage die Künstlerkolonie, dabei war und ist die Gegend
       Militärgebiet. Kubisch wollte einen Kontrapunkt zu Truppenmanövern und
       Umweltzerstörung setzen.
       
       Die Installationen von Robert Lippok und Christina Kubisch sind zwei von
       insgesamt 19 aktuellen und historischen Arbeiten, die der [2][Kurator
       Carsten Seiffarth] auf zwei Etagen zusammengestellt hat. Hinzu kommen
       Videos. Für ein kurzweiliges Intermezzo sorgt ein Clip von [3][Frieder
       Butzmann]. In „Akkordarbeit – Für Nam June Paik“ umrundet der Komponist
       „komischer Musik“, so Butzmann über Butzmann, im Seemannspullover und mit
       dunkler Kappe unzählige Male einen Konzertflügel und spielt im Vorbeilaufen
       kurze Akkordsplitter.
       
       Dass an der Wand eine Uhr mit Testbild-Zifferblatt hängt, mag ein Hinweis
       auf die Kunstrichtung und Lebenspraxis sein, der sich viele der
       ausgestellten Werke verdanken und zu deren Protagonisten Nam June Paik
       gehört: Fluxus, jener Pfiff auf die Hochkultur. Am Ende wirft Butzmann eine
       Vinyl-LP auf die Klaviersaiten. Das klingt wie eine Zitherpauke.
       
       Der Langspielplatte kommt eine prominente Rolle in der Ausstellung zu: In
       den Exponaten der Bildhauerin Claudia Märzendorfer erfährt das für seine
       Langlebigkeit geliebte Medium eine Umdeutung beziehungsweise
       Richtigstellung. Was wir hören, ist der Schall einer Schwingung, die
       bereits begonnen hat. Märzendorfer hat ihre Sammlung von Eis-Schallplatten
       beigesteuert: LPs, die je nach Raumtemperatur ein- bis zweimal abspielbar
       sind.
       
       ## Plattenspieler mit vier Tonarmen
       
       In einem Clip anhören und anschauen lässt sich Wojciech Bruszewskis
       „Gramophone“ aus dem Zyklus „Some Music“: Der Filmemacher und Videokünstler
       hat einen Plattenspieler mit vier Tonarmen entwickelt. An verschiedene
       Stellen einer LP mit einer Cello-Suite von Johann Sebastian Bach gesetzt,
       entwickelt sich eine vielschichtige Überlagerung.
       
       Kupferband als Speichermedium, das die Besucher mit einer speziellen
       Konstruktion eigenhändig abtasten können, verwendet der Architekt und
       Sonologe Raviv Ganchrow in „Spark Reach“, einer Kombination aus Blitzen,
       Tropenstürmen und Bienen. Danach empfiehlt sich ein Besuch des Ruhepols der
       Ausstellung: In „Trainwaves“ inszeniert Maia Urstad einen Bahnhof nach
       Anbruch der Dämmerung. Die verschiedensprachigen Durchsagen und das Knarzen
       der Technik sind die einzige Musik, aber was für eine.
       
       6 Aug 2024
       
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