URI: 
       # taz.de -- Rechter Mob in Großbritannien: Stichwortgeber für die Schande
       
       > Rechte Gewalttäter attackieren Flüchtlingsunterkünfte in ehemaligen
       > Hotels. Die Ressentiments, die dazu führten, schürt die Politik selbst.
       
   IMG Bild: Tamworth: Rechte Gewalt gegen Migranten und Geflüchtete
       
       „Das Holiday Inn in Tamworth wird seit Jahren für Asylzwecke genutzt –
       tatsächlich wollen die Einwohner ihr Hotel zurückhaben.“ Dieser Satz passt
       zu den gewaltbereiten Rechtsextremen, die dieser Tage in Tamworth und
       anderen britischen Städten Jagd auf Migranten und Flüchtlinge machen.
       
       Tatsächlich äußerte ihn [1][die Wahlkreisabgeordnete für Tamworth, Sarah
       Edwards], spätabends am 17. Juli im britischen Unterhaus. Edwards sitzt für
       Labour im Parlament, ihren Wahlkreis gewann sie zuerst bei einer Nachwahl
       2023. Da war, [2][wunderte sich das linke Wochenmagazin New Statesman], auf
       einem Labour-Flugblatt zu lesen, die damalige konservative Regierung
       „verschwendet jeden Tag sechs Millionen Pfund für Asylhotels“ – eine
       klassische rechtsextreme Propagandaparole.
       
       Am Sonntagabend [3][brannte das Holiday Inn von Tamworth]. Eine
       rechtsradikale Meute hatte sich in der mittelenglischen Kleinstadt vor der
       Flüchtlingsunterkunft versammelt. Hunderte Demonstranten warfen
       Ziegelsteine und Flaschen, steckten Müll in Brand, warfen Brandbomben ins
       Gebäude, verwüsteten Flure und malten rassistische Parolen und Sprüche wie
       „Raus aus England“ auf die Außenwände. Hotelangestellte und Flüchtlinge
       versteckten sich auf den oberen Etagen, während die Polizei das brennende
       Treppenhaus löschte, nachdem der Mob sich verzogen hatte.
       
       Es war der zweite solche Vorfall am Sonntag nach einer Zusammenrottung vor
       dem Holiday Inn von Rotherham weiter nördlich in England, wo ebenfalls
       Feuer im Hoteleingang gelegt wurde, während Polizeibeamte draußen mit
       geplünderten Sesseln beworfen wurden.
       
       Hotels für Flüchtlinge, während Obdachlose auf der Straße liegen – das ist
       ein Reizthema nicht nur in Großbritannien. Zehntausende Schutzsuchende aus
       Ländern wie Irak, Syrien, Afghanistan oder Sudan landen jedes Jahr in
       Schlauchbooten aus Frankreich an der englischen Südküste und werden ins
       Asylverfahren genommen, was aber Großbritanniens konservative Regierung
       nicht entsprechend ausgebaut hat, so dass die Menschen jahrelang bis zu
       einer Entscheidung mit einem winzigen Taschengeld in zugewiesenen
       Unterkünften ausharren.
       
       Diese sind oft staatlich angemietete Billighotels, in denen seit der
       Covid-19-Pandemie keine zahlenden Gäste mehr übernachten. Am Ende tauchen
       die meisten lieber ab. Wer sich aber an die Regeln hält, dem wird
       vorgeworfen, sich über Jahre in Drei-Sterne-Hotels durchfüttern zu lassen,
       während drumherum Einheimische nicht genug für ein würdiges Leben haben,
       geschweige denn für eine Hotelübernachtung.
       
       „Hotel“ ist im britischen Arbeiterslang Synonym für Möchtegern-Luxus, der
       keiner ist: Da wohnen Liebende, Geschäftsreisende und Feiernde, da kann man
       sich hemmungslos besaufen, Essen aufs Zimmer kommen lassen und bei der
       Abreise das Mobiliar klauen. Normale Menschen haben ihre eigenen Häuser.
       Oder sie übernachten bei Freunden. Hotel – das ist für Leute mit zu viel
       Geld und zu wenig Geschmack, die keine Freunde haben.
       
       Dass Flüchtlinge in schäbigen Billigabsteigen oder in Plattenbauten, die
       einer Hotelkette gehören, keinen Hotelservice genießen, und wie sie
       überhaupt leben, davon wissen die Leute nichts und es sagt ihnen auch
       niemand. Es erklärt ihnen auch niemand, wieso Flüchtlinge auf
       Schlauchbooten eigentlich nach England kommen. Wieso sind sie nicht im
       schönen Frankreich geblieben?
       
       Das sind die Ressentiments, die eben auch Labour bedient – eine
       funktionierende Flüchtlingspolitik ist bei Keir Starmer (Labour) ebenso
       wenig im Angebot wie bei Rishi Sunak (Tories). Dass die Menschen in
       Tamworth „ihr Hotel zurückhaben“ wollen, postete die Wahlkreisabgeordnete
       Sarah Edwards am 30. Juli auf X. Da hatten die rechten Unruhen schon an
       Fahrt aufgenommen. Sie selbst hatte diesen Satz bereits am 17. Juli im
       Parlament gesagt. Nun nennt Edwards die Ausschreitungen zwar [4][in einer
       neuen Erklärung] „eine Schande“ und „fürchterlich“ – aber sie selbst
       lieferte die Argumente.
       
       5 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://x.com/SarahEdwardsTam/status/1818240122103484735
   DIR [2] https://sotn.newstatesman.com/2023/10/how-labour-won-tamworth-by-election-sarah-edwards
   DIR [3] https://www.dailymail.co.uk/news/article-13708115/riots-migrant-hotel-holiday-inn-tamowoth.html
   DIR [4] https://x.com/SarahEdwardsTam/status/1820410093294260406
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
   DIR Flüchtlingspolitik
   DIR Großbritannien
   DIR Labour
   DIR Rechtspopulismus
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Keir Starmer
   DIR Großbritannien
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Großbritannien
   DIR Großbritannien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nachwahl in Großbritannien: Wer zuletzt grinst …
       
       Nigel Farages rechtspopulistische Reform UK will Labour erstmals einen
       Wahlkreis abluchsen. In Runcorn & Helsby stehen die Chancen gut.
       
   DIR Nach rassistischen Krawallen: Wie Rechte nach England blicken
       
       In Hannover schüren rechte Gruppen im Fahrwasser der rassistischen
       Gewaltwelle Stimmung gegen Migrant*innen.
       
   DIR Demos gegen Rassismus in Großbritannien: Rückeroberung der Straße
       
       Nach den rassistischen Ausschreitungen protestieren Tausende in
       Großbritannien gegen die Rechtsradikalen. Sie fordern eine offene
       Gesellschaft.
       
   DIR Krawalle in Großbritannien: Tote Mädchen als Machtinstrument
       
       In Großbritannien marodieren nach einem Mord an drei Mädchen rechtsextreme
       Mobs. Incels und Rechte motiviert eine diffuse ideologische Mischung.
       
   DIR Keir Starmers Migrationspolitik: Neue britische Sandburg
       
       Die jüngsten rassistischen Krawalle zeigen, dass die migrationsfeindliche
       Strategie des britischen Premiers Starmer nicht gegen rechts absichert.
       
   DIR Rechtsextreme Gewalt in Großbritannien: Nationaler Krisenstab einberufen
       
       Die britische Regierung beruft nach den Gewaltausbrüchen rechtsradikaler
       Gruppen den nationalen Krisenstab ein. Über 250 Menschen wurden
       festgenommen.
       
   DIR Rechtsextremer Brite Tommy Robinson: Der Faktenverfälscher aus Luton
       
       Den Islam nennt er „Krankheit“: Aktivist Tommy Robinson hat mit Fake-News
       seine Follower zu den rassistischen Ausschreitungen in England
       angestachelt.
       
   DIR Schwere Unruhen in Großbritannien: Rechtsextreme machen mobil
       
       In vielen britischen Städten kommt es zu Krawallen gegen Migranten und
       Muslime. Die Regierung erwägt hartes Durchgreifen.