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       # taz.de -- Braunschweiger Lichtparcours: Im Einklang mit den Fledermäusen
       
       > Mit 13 Lichtinstallationen entlang der Oker setzt sich Braunschweig den
       > Sommer über in Szene. Angeboten werden diverse Bootsfahrten in der
       > Dunkelheit.
       
   IMG Bild: Marinella Senatores „Assembly“ war schon in Baden-Baden ein Hingucker
       
       Zum sechsten Mal gibt es gerade einen Lichtparcours in Braunschweig. Dieses
       sommerliche Kunstformat wurde als inoffizielles Begleitprogramm zur
       Hannoverschen Expo 2000 vom Braunschweiger Kulturdezernat ersonnen.
       
       Der Lichtparcours verwandelte unscheinbare oder schwer zugängliche
       Situationen entlang der Okerumflut, zwei Wasserläufen um die Kernstadt, in
       atmosphärische Räume zwischen Gartenlandschaft und städtischer Struktur.
       500.000 Besucher zählte man damals. Ein reiner Kunstparcours 2004 floppte.
       Die nächsten, wieder illuminiert, erfreuten sich selbst unter den
       Corona-Restriktionen 2020 großer Beliebtheit.
       
       Der diesjährige ist der letzte unter der Ägide von Kulturdezernentin Anja
       Hesse, die als Abschied in ihren Ruhestand aber nicht einfach nur eine
       Neuauflage bieten wollte. Denn die Weltlage hat sich seit 2000 verändert.
       Die nahen [1][Kriege in Gaza] und der [2][Ukraine], aber auch das
       Bewusstsein für die [3][globalen Klimafolgen] unseres Konsumverhaltens
       dämpfen Kunst und auch Eventkultur.
       
       Beim Thema künstliches Licht im öffentlichen Raum fällt zudem schnell das
       vernichtende Urteil: umweltzerstörerische [4][Lichtverschmutzung]!
       Mittlerweile weiß wohl jede:r um den Zusammenhang von Insekten-, Vogel-
       oder anderem Artensterben und exzessiver Illumination unserer Städte.
       
       Anja Hesse ließ also nachjustieren, forderte von den vor gut einem Jahr
       eingeladenen Lichtkünstler:innen, Aspekte der Nachhaltigkeit und
       Ressourceneffizienz zu reflektieren. Ein beauftragtes Gutachten zum
       nächtlichen Beuteverhalten von Fledermäusen wahrte auch die Interessen
       dieser geschützten Spezies. Und klar, der Lichtparcours wird mit Ökostrom
       betrieben, wenngleich die Gesamtbilanz noch nicht klimaneutral ausfällt,
       bedauert Hesse.
       
       Mit 13 temporären Lichtinstallationen wirkt der Sommerspaß etwas
       bescheidener als einige Vorläufer. Ein Besuch zu Wasser liegt nahe, per
       Kanu oder Paddelboot oder mit kommerziell angebotenen Kahn- oder
       Floßtouren. Die Resultate erweisen sich als künstlerisch durchwachsen:
       Verkehrsampeln mit falscher Farbkodierung über Wasser, die rote
       Leuchtschrift an einem Brückenkopf – generell viel Rotlicht. Ein Park ist
       komplett damit geflutet, mit grauen Beobachtungsboxen mittendrin, an
       anderer Stelle empfängt eine Hommage ans lokale Rotlichtviertel.
       
       Aber es gibt auch Bemerkenswertes. Auch bei Tageslicht ansehnlich sind die
       drei übergroßen Meisen von Jens Pecho, die ihren Revierkampf ausgerechnet
       am Obelisken zu Ehren zweier, in den anti-napoleonischen Befreiungskriegen
       gefallener Herzöge austragen.
       
       Oder der Verweis auf die nie versiegende Kraft der Sonne als großer, runder
       Scheibe, die Jacqueline Hen ins Ufergebüsch des Botanischen Gartens setzt.
       Ihr goldenes Schuppenkleid, im Wind flimmernd beweglich, umfasst des Abends
       ein leuchtender Ring. Der Titel „One’s sunset is another one’s sunrise“,
       also des Einen Sonnenauf- ist des Anderen -untergang persifliert
       Allmachtsphantasien historischer Sonnenkönige.
       
       Die Unterwelt der Steintorbrücke verwandelt die gebürtige Braunschweigerin
       Christine Schulz in einen magischen Raum aus Lichtreflexen, Spieglungen von
       Architektur und Ufervegetation sowie dem zarten Klang eines herabfallenden
       Wassertropfens.
       
       ## Zivilisatorische Botschaften im Lichtgeflecht
       
       Festlicher Höhepunkt des gesamten Parcours sind zweifellos die „Luminarie“
       der Italienerin [5][Marinella Senatore] vor der historischen Fassade des
       alten Bahnhofs, mittlerweile Landessparkasse. Sie spielen mit der
       apulischen Tradition dekorativer Lichtinstallationen zu Feiertagen. Ihre
       filigranen weißen Gestelle, Parature geheißen, sind mit Unmengen kleiner
       Lichter besetzt, heute als LED-Lampen unterschiedlicher Farben.
       
       Senatore webt zivilisatorische Botschaften ins Lichtgeflecht: Freiheit
       herrscht nicht. Sie stiehlt so dem vermeintlichen Highlight des
       diesjährigen Lichtparcours die Schau, dem zwölf Meter großen Mond aus
       Plastikabfall des spanischen Kollektivs Luzinterruptus. In der
       Visualisierung der letztjährigen Entwurfspräsentation so beeindruckend,
       geriet die Umsetzung in ein schlappes Oval mit konstruktiv bedingten vier
       Beinchen, hilflos an einem Kranhaken baumelnd.
       
       Denn auch das gehört mittlerweile zum Lichtparcours: wer wollte, konnte
       über die langen Jahre eigene Beurteilungsmaßstäbe schärfen, hat
       unübertroffene Lieblinge in Erinnerung, vermisst Künstler:innen, die nie
       zum Zuge kamen, oder auch Favoriten unter den Vorschlägen, die unrealisiert
       blieben – etwa die minimalistische Projektion einer schillernden Öllache
       auf das trübe Okergewässer.
       
       1 Aug 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
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