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       # taz.de -- Misogynie gegen Schwarze Frauen: Jenseits des Glamour-Feminismus
       
       > Misogynie und Rassismus gibt es hier und in den USA. Doch anders als in
       > Deutschland ist es dort für eine Schwarze Frau möglich, Präsidentin zu
       > werden.
       
   IMG Bild: Steigt sie bald schon in die Air Force One? Vize-Präsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris vor dem Abflug mit der Air Force Two
       
       Als Kamala Harris als Favoritin für die Kandidatur um die
       US-Präsidentschaft ausgerufen wurde, stellte ich mir die Frage: Wäre es in
       Deutschland möglich, dass [1][eine Frau mit nichtdeutschem Hintergrund es
       in eine solch mächtige Position schafft]? Die Antwort war für mich klar:
       Völlig unmöglich.
       
       Nur warum? Rassistische Narrative sind in der US-amerikanischen
       Gesellschaft genauso verbreitet wie in der deutschen. Dasselbe gilt für
       frauenfeindliche Narrative. Und doch ist etwas anders: die feministische
       Bewegung. In den USA sind Perspektiven von Women of Color viel präsenter
       und integrierter im feministischen Narrativ und damit in der ganzen
       Gesellschaft. Frauen wie Mary Ann Weathers und viele vor ihr und nach ihr
       haben die besondere Rolle von marginalisierten Gruppen im feministischen
       Diskurs schon vor Jahrzehnten beschrieben.
       
       1969 schrieb Weathers, dass alle Frauen in den USA Unterdrückung erführen;
       dass die Unterdrückung von Frauen mit anderen ethnischen Wurzeln und die
       Schwarzer Frauen die Unterdrückung weißer Frauen aber um ein Vielfaches
       übersteige. Dennoch: Die Unterdrückung sei allen Frauen gemeinsam – und aus
       dieser Gemeinsamkeit könne man Verbindungen bauen. Weil diese Diskurse in
       den USA schon seit vielen Jahrzehnten geführt werden, ist die Anerkennung
       der rassistischen Komponente in der feministischen Bewegung weitaus
       verbreiteter als in Deutschland.
       
       ## Sexistische Verleumdung von allen Seiten
       
       Wie groß diese rassistische Komponente ist, lässt sich derzeit im
       US-Wahlkampf beobachten. Etwa Ende Juli, als Kamala Harris’ Konkurrent
       Donald Trump Gast bei der National Association of Black Journalists in
       Chicago war. Der ehemalige US-Präsident zog öffentlich in Zweifel, dass
       Harris wirklich Schwarz sei: Sie sei vor ein paar Jahren „plötzlich
       Schwarz“ geworden und jetzt wolle sie als „Schwarz gelten“. „Ist sie nun
       indisch oder Schwarz?“, fragte der Präsidentschaftskandidat. (Kamala Harris
       hat einen jamaikanischen Vater und eine indische Mutter, das nur nebenbei.)
       
       Der US-Vizepräsidentin wird von ihren Gegner:innen vorgeworfen, eine
       Quotenfrau zu sein, die ihre Identität nutze, um aus Diversitätsgründen
       aufzusteigen. Eine ebenfalls oft vorgetragene Erzählung: Kamala Harris habe
       sich „hochgeschlafen“. Rechte Influencer:innen wie Laura Loomer
       verbreiten, dass Kamala Harris durch „Blowjobs für erfolgreiche, reiche
       Schwarze Männer“ aufgestiegen sei. Eine der gängigsten rassistischen
       Projektionen gegenüber Schwarzen Frauen ist ihre Sexualisierung; sie seien
       hypersexuell und promisk.
       
       In diesem Narrativ kann Kamala Harris natürlich nicht durch Können,
       Klugheit oder Talent in ihre Positionen als Staatsanwältin, Senatorin oder
       Vizepräsidentin gelangt sein. Quote oder Sex – es muss eine dieser beiden
       Erklärungen sein. Über die Angriffe auf Kamala Harris schreibt Vox: „Viele
       dieser Bemerkungen sind einfach nur hasserfüllt und Beispiele für
       [2][Misogynoir], eine verstärkte Form von Sexismus und Rassismus.“ The
       Atlantic schreibt, dass die Strategie der Republikaner auf Rassismus und
       Sexismus beruhe. Von solch deutlichen Worten über dasselbe Phänomen kann
       man in Deutschland nur träumen.
       
       Womit Frauen nichtdeutscher Herkunft in der Politik auch hierzulande zu
       kämpfen haben, zeigt eine Episode aus dem Deutschen Bundestag aus dem Jahr
       2023. Nach einer Rede der Dresdner SPD-Abgeordneten Rasha Nasr fragt ein
       AfD-Abgeordneter die Politikerin mit syrischen Wurzeln: „Was haben Sie denn
       diesem Land gegeben, zurückgegeben, was Sie ja anscheinend sehr freundlich
       aufgenommen hat?“ Ob sie da auch mal Danke sage? Zuvor hat er der
       31-jährigen Rasha Nasr noch zum bestandenen Politikstudium gratuliert.
       Misogynie plus Rassismus, eine toxische Kombination.
       
       Zwischen den Identitäten „Frau“, „of Color“ oder „Migrationshintergrund“
       (oder trans oder bi oder mit Behinderung oder, oder, oder) gibt es keine
       Hierarchie. Alle Identitäten sind in einem Menschen integriert; es ist
       unmöglich, einen Menschen auf eine Identität zu reduzieren. Genau das aber
       passiert in Deutschland. Die deutsche Frauenbewegung denkt größtenteils
       eindimensional: sie sieht nur die Frau. Der Mainstream-Feminismus schließt
       die Realitäten von Frauen mit nichtdeutschen Wurzeln systematisch aus. Es
       geht nicht darum, dass es den einen Frauen „schlechter“ ginge als den
       anderen; es bedeutet lediglich, dass eine nichtdeutsche Frau anderen Hürden
       ausgesetzt ist als eine deutschstämmige Frau. Wer die Unterschiede nicht
       anerkennt, macht diese Hürden größer. Schon allein deswegen wäre [3][eine
       Kamala Harris] in Deutschland unmöglich. Die Hürden wären zu groß.
       
       ## Das R-Wort stört
       
       Ein Beispiel ist das Frauennetzwerk FRAUEN100. Auf seiner Seite bezeichnet
       es sich als „das wichtigste Frauennetzwerk Deutschlands“. Tatsächlich
       kommen bei den Veranstaltungen viele bekannte Menschen zusammen, aus
       Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Hochkarätige Redner:innen stehen
       auf der Tagesordnung. Es wird stets auf „Diversität“ geachtet, die
       allerdings als kaum mehr als Verzierung erscheint. Dass rassistische
       Erzählungen ein bedeutender Faktor dabei sind, Frauen voneinander zu
       trennen und die feministische Bewegung dadurch bedeutend zu schwächen, ist
       in diesen Kreisen kein Thema. Wer dieses Problem anspricht, wird
       ausgeschlossen. Das R-Wort stört.
       
       In der US-amerikanischen Debatte werden die rassistischen und sexistischen
       Projektionen, die Kamala Harris treffen, offen diskutiert. In Deutschland
       werden Stimmen, die genau diese Anerkennung einfordern, ignoriert.
       
       Wie Mary Ann Weathers schon vor mehr als 50 Jahren beschrieb, kann eine
       Frauenbewegung nicht stark sein, die nicht das Verbindende sucht. Auch in
       Deutschland gibt es viele Stimmen, die seit vielen Jahren auf genau diese
       Probleme hinweisen. Doch der Diskurs wird nicht geführt. Über Rassismus
       will man nicht sprechen; er stört den Glamour-Feminismus. Dieser Feminismus
       mag glänzen. Verbinden tut er nicht.
       
       7 Aug 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gilda Sahebi
       
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