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       # taz.de -- Deutsche Migration nach Brasilien: Bratwurst und Brezeln zum Jubiläum
       
       > Vor 200 Jahren kamen die ersten deutschen Einwanderer nach Brasilien. Sie
       > hinterließen Spuren – in Sprache, Städtenamen und Institutionen.
       
   IMG Bild: Jogger in der Altstadt von Blumenau: Fachwerkhäuser prägen das Zentrum der brasilianischen Stadt
       
       São Leopoldo dpa | Hand in Hand stehen sie im Kreis und halten verschiedene
       Werkzeuge in die Luft, etwa einen Schraubenschlüssel. Die Figuren dieses
       neu errichteten Monuments sollen die Einwanderer symbolisieren, die am
       Aufbau der Stadt mitgewirkt haben. Zu diesen gehören auch die Deutschen:
       Die Stadt São Leopoldo im Süden Brasiliens ist bekannt als „Wiege der
       deutschen Einwanderung“ in das südamerikanische Land. Die ersten von ihnen
       kamen hier vor genau 200 Jahren an.
       
       Am 25. Juli 1824 erreichten die ersten deutschen Einwanderer ihr Ziel in
       Brasilien. Es ist das Datum der Gründung der Stadt São Leopoldo. Mehrere
       Tausend Menschen wanderten damals auf der Suche nach einem besseren Leben
       aus deutschsprachigen Regionen nach Brasilien aus. Missernten und
       Perspektivlosigkeit hatten sie dazu gebracht, die weite Reise auf sich zu
       nehmen. Zugleich suchte Brasilien vor allem für den Süden des Landes nach
       neuen Siedlern. Diese Region war bis dahin nicht kolonialisiert,
       Neuankömmlinge sollten dort Infrastruktur aufbauen.
       
       Zum Jubiläum sollte in São Leopoldo im südlichsten brasilianischen
       Bundesstaat Rio Grande do Sul sollte in diesem Jahr eigentlich ein großes
       Einwanderungsfest stattfinden – es wurde aber abgesagt. Die verheerenden
       Überschwemmungen, die vor fast drei Monaten nahezu den kompletten
       Bundesstaat eingenommen und mindestens 182 Menschen das Leben gekostet
       hatten, würden es unmöglich machen.
       
       Zahlreiche kleinere Veranstaltungen finden dennoch in mehreren Städten
       Brasiliens statt. Aber welche Spuren haben die Deutschen eigentlich bis
       heute in dem größten Land Lateinamerikas hinterlassen?
       
       ## Deutsche Tradition
       
       Heute haben schätzungsweise sechs Millionen Brasilianer deutsche Vorfahren,
       wie die Generalkonsulin in São Paulo, Martina Hackelberg, sagt. Das sind
       knapp drei Prozent der Bevölkerung. Angefangen hatte es mit 300.000 bis
       400.000 Deutschsprachigen, die in den verschiedenen Einwanderungswellen
       nach Brasilien kamen, wie der Historiker und emeritierte
       Universitätsprofessor Martin Dreher erzählt. Der Brasilianer selbst hat
       deutsche Wurzeln. Deutschsprachig bezieht sich darauf, dass die Menschen
       nicht nur aus dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik kamen, sondern unter
       ihnen beispielsweise auch Deutschrussen waren oder sie aus
       Österreich-Ungarn kamen.
       
       Die Neuankömmlinge pflegten auf der anderen Seite des Atlantiks ihre
       Traditionen, gründeten unter anderem Gesangs-, Schützen- und Turnvereine.
       Eines der bekanntesten deutschen Traditionen: das Oktoberfest in Blumenau.
       Die Stadt im südlichen Bundesstaat Santa Catarina weist mit ihren
       zahlreichen Fachwerkhäusern einige deutsche Spuren auf.
       
       In diesem Jahr feiert das zweitgrößte Oktoberfest der Welt 40-jähriges
       Jubiläum. Menschen in Tracht und Dirndl, dazu Spezialitäten wie Spätzle,
       Brezel, gefüllte Ofenkartoffeln, Bratwurst und natürlich das Münchner Bier
       – es ist [1][fast wie auf der Theresienwiese, nur auf Portugiesisch]. Es
       wundert dementsprechend auch nicht, dass fast alle der ersten Brauereien
       Brasiliens germanischen Ursprungs waren und im 19. Jahrhundert entstanden.
       Das gibt das Institut Martius-Staden bekannt, das den kulturellen Austausch
       beider Länder fördert.
       
       ## Deutsche Sprache
       
       Brasilien ist nach Angaben der deutschen Botschaft heute das Land mit den
       meisten Deutschsprachigen außerhalb Europas. Ein bis zwei Millionen
       Brasilianer sprechen nach Einschätzung des Martius-Staden-Instituts
       Hochdeutsch und seine Dialekte. „In meiner Gemeinde, wo ich herkomme, kann
       man noch viele Menschen treffen, die Hunsrückisch sprechen“, erzählt Gerson
       Neumann, Universitätsprofessor an der Bundesuniversität von Rio Grande do
       Sul und Nachkomme deutscher Einwanderer.
       
       Er kommt aus einem kleinen Ort im Landesinneren, etwa 100 Kilometer von
       Porto Alegre, Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul. In direkter
       Umgebung würden noch viele Westfälisch sprechen. In Städten wie Pomerode im
       Bundesstaat Santa Catarina oder in Orten des Bundesstaates Espirito Santo
       nahe Rio de Janeiro werde Pommersch gesprochen.
       
       Einflüsse aus dem Portugiesischen haben die deutschen Dialekte jedoch
       geprägt und umgekehrt. Ein Beispiel: Zum Nachtisch isst man gerne „Cuca“,
       eine Neubildung des deutschen Wortes „Kuchen“, und ergänzt sein Brot mit
       „Schmier“, einem hunsrückischen Ausdruck für Fruchtkonfitüre, erzählt
       Neumann.
       
       Heute gibt es in Brasilien laut dem Martius-Staden-Institut rund 350
       öffentliche und staatliche Schulen sowie rund 60 Universitäten, die
       Deutschunterricht anbieten.
       
       ## Deutsche Städtenamen und Institutionen
       
       Ob Novo Hamburgo, Nova Friburgo, São Leopoldo oder Pomerode: Die Deutschen
       haben ihre Spuren natürlich auch bei den Städtenamen hinterlassen. Pomerode
       wurde von pommerschen Siedlern gegründet und bezeichnet sich selbst
       aufgrund der größtenteils deutschstämmigen Bevölkerung als „deutscheste
       Stadt Brasiliens“.
       
       Deutsche gründeten außerdem zahlreiche Institutionen wie Schulen,
       Krankenhäuser, Wohltätigkeitsvereine und Handelskammern, die zu einem
       festen Bestandteil der brasilianischen Gesellschaft wurden. Wo sie sich
       niederließen, habe es praktisch keinen Analphabetismus mehr gegeben,
       erklärt Dreher. „Die Deutschen waren auch die Ersten, die in Brasilien das
       Kindergartenwesen eingeführt haben“, sagt der Historiker weiter. „Und
       [2][in Rio Grande do Sul] kann man sich das Gesundheitswesen nicht ohne die
       Krankenhäuser vorstellen, die von den Deutschen gegründet worden sind.“
       
       Brasiliens wohl berühmtester Architekt Oscar Niemeyer hat einen deutschen
       Namen aufgrund seiner deutschen Wurzeln. Ob in Rio de Janeiro, New York
       oder Berlin – überall begegnet man seinen Bauwerken. Sein wohl bekanntestes
       Projekt ist Brasiliens Planhauptstadt Brasília, die in unter vier Jahren
       errichtet und von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
       
       ## Deutsche Unternehmen
       
       Brasilien ist wichtigster Handelspartner Deutschlands in Südamerika und der
       einzige strategische Partner Deutschlands in Lateinamerika und der Karibik.
       Damit soll die Zusammenarbeit zu bi- und multilateralen Themen weiter
       ausgebaut werden.
       
       Große deutsche Unternehmen haben sich bereits in den 50er Jahren
       angesiedelt und so zum [3][Aufbau der brasilianischen Industrie]
       beigetragen. Rund 1.300 deutsche Unternehmen haben nach Angaben der
       Industrie- und Handelskammer (IHK) heute ihren Sitz in Brasilien, vor allem
       im Großraum São Paulo, als größter deutscher Wirtschaftsstandort außerhalb
       Deutschlands.
       
       2022 lagen die Einfuhren nach Brasilien aus Deutschland bei über 12,89
       Milliarden Euro. Es handelt sich vor allem um Maschinen, Fahrzeuge und
       Kfz-Teile sowie chemische und pharmazeutische Erzeugnisse. Nach Deutschland
       importiert wurden im selben Jahr Waren im Wert von 9,17 Milliarden Euro.
       Darunter hauptsächlich mineralische und pflanzliche Produkte sowie
       Lebensmittel, Getränke und Tabak.
       
       25 Jul 2024
       
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