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       # taz.de -- Staatsanwaltschaft auf Abwegen: Vom Aufklärer zum Angeklagten
       
       > Lars Winkelsdorf ist ein anerkannter Waffenexperte und Fernsehjournalist.
       > Doch ein Jahre zurückliegender Gerichtsprozess lässt ihm keine Ruhe.
       
   IMG Bild: Wer zu illegalen Waffenkäufen recherchiert, gerät leicht selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft
       
       Hamburg taz | Er ist eine Minute zu spät. „Die Parkplätze“, sagt er
       entschuldigend, schwierig, hier an der Hamburger Binnenalster einen zu
       finden. Obwohl es heiß ist, trägt Lars Winkelsdorf nicht den Strohhut, mit
       dem er auf seinem X-Account zu sehen ist, dabei würde ein bisschen
       Undercover-Feeling so schön passen. [1][Lars Winkelsdorf] ist gekommen, um
       einen USB-Stick mit Dokumenten eines Falls zu übergeben. Seines Falls.
       
       Fälle hatte der Enthüllungsjournalist schon viele. Im November erst
       veröffentlichte er mit anderen eine große Recherche auf der
       Investigativ-Plattform Correctiv über die dunklen Kanäle, über die deutsche
       Waffen nach Russland kommen. Waffen sind sein Thema, vor allem, wenn sie in
       falsche Hände gelangen, ins Rockermilieu zum Beispiel oder in die
       rechtsextreme Szene wie das Netzwerk „Blood and Honor“. Er hat darüber auch
       schon ein Buch geschrieben.
       
       Für die Recherche, erzählt er mit leuchtenden Augen, musste er nachts übers
       Gelände robben und sich eingraben, und es klingt, als würde ihm so etwas
       Spaß machen. Lars Winkelsdorf war bei der Bundeswehr, Fallschirmjäger, hat
       Polizisten im Schießen ausgebildet. Wenn Fragen bei Einsätzen auftreten,
       wird er gern zu Rate gezogen: Der Winkel war ein bisschen ungünstig, aber
       die Schusshaltung völlig in Ordnung, „so, wie ich das jahrelang
       unterrichtet habe“, [2][schrieb er dann zum Beispiel] nach dem [3][Attentat
       von Mannheim], und das stand dann auch im [4][Stern].
       
       Winkelsdorf hat aufmerksame, wache Augen, unter einem Sonnenschirm trinkt
       er Wasser mit viel Eis. Natürlich habe er einen Waffenschein, besitze
       selbst etliche Schusswaffen, sagt er. „Es macht wenig Sinn, wenn ich
       Polizisten zeige, wie ein MP5 funktioniert und habe keine Ahnung.“ Ein MP5
       ist eine Maschinenpistole, die vollautomatische Version gilt als
       Kriegswaffe.
       
       Er sei eben „ein bunter Hund“, sagt Winkelsdorf. Doch es gibt da diese
       Geschichte, die ihn nicht loslässt, als er sich plötzlich auf der anderen
       Seite wiederfand, wo sein Name in den Gerichtsakten unter „Angeklagter“
       auftauchte. Angeklagter Wi, Lars Winkelsdorf.
       
       ## Dreharbeiten über den Schwarzmarkt
       
       Es war bei Dreharbeiten über den Schwarzmarkt in Hamburg, darüber, wie
       leicht es ist, an unregistrierte Waffen zu kommen, ohne einen Waffenschein
       zu besitzen. Es sollte ein Beitrag fürs Fernsehen werden, „Akte 07“ auf
       Sat.1. Lars Winkelsdorf trieb jemanden auf, der mit solchen Waffen zu
       handeln schien. Der Mann war hinterher in der Sendung zu sehen. Vermummt,
       um nicht erkannt zu werden, präsentierte er sein Arsenal und gab Auskunft
       über die Kundschaft.
       
       Ein zweiter Film für Kabel1 folgte, mit demselben Protagonisten, dem
       Winkelsdorf ein Jahr später noch einmal im Vereinsheim eines
       Schützenvereins begegnen sollte: Da erzählte der Mann, dass es mit Waffen,
       die er geliefert habe, eine Schießerei im Rotlichtmilieu gegeben habe.
       
       Winkelsdorf erstattete Anzeige. Vielleicht hätte er das nicht tun sollen,
       denn die Ermittlungen, die er damit in Gang setzte, richteten sich bald
       gegen ihn selbst. Der Mann, der seine Waffen präsentiert hatte, behauptete,
       Winkelsdorf habe nur jemanden gesucht, der einen Waffenhändler spielt. Dazu
       habe er sich bereit erklärt in der Hoffnung, Winkelsdorf würde ihm einen
       Waffenschein besorgen. Niemals habe er mit Waffen gehandelt, dagegen habe
       Winkelsdorf ihm eine Maschinenpistole verkauft.
       
       Dass ein Angeklagter auf einen anderen zeigt, ist verständlich. Nur: Die
       Hamburger Staatsanwaltschaft schien dem Mann zu glauben. In der
       Anklageschrift stand Winkelsdorf, dessen Vater ein hohes Tier bei der
       Hamburger Polizei gewesen war, nicht mehr als der Enthüllungsjournalist da,
       der für renommierte Sendungen wie das ZDF-Magazin „Frontal“ arbeitete,
       sondern als einer, der Fake Reality produziert und hintenrum Waffen
       vertickt.
       
       ## Ich ist jemand anderes
       
       Zwölf Jahre ist das jetzt her, aber für Winkelsdorf scheint es erst gestern
       gewesen zu sein. „Also war ich jetzt der Waffenhändler“, sagt er
       aufgebracht. „Völlig irre“, sei das, „gaga.“ „Es ist, als wenn sie jemanden
       beschrieben hätten, der nicht ich bin.“
       
       Am Ende wurde Winkelsdorf in zweiter Instanz nur (zu einer Geldstrafe)
       verurteilt, weil er den Mann, der kein Waffenhändler sein wollte, dazu
       angestiftet habe, seine illegalen Waffen – darunter etliche per se
       verbotene Schießkugelschreiber – für die Dreharbeiten durch Hamburg zu
       kutschieren.
       
       Doch auch wenn es dabei nur noch um juristische Spitzfindigkeiten ging,
       lässt ihm das alte Verfahren keine Ruhe. Er sei bis dahin gut im Geschäft
       gewesen, sagt Winkelsdorf, der ja nicht nur als Journalist, sondern auch
       als Sachverständiger gearbeitet hat und in dieser Eigenschaft etwa auch die
       Waffenindustrie beriet.
       
       Doch mit dem Prozess, der sich bis 2012 hinzog, blieben die Aufträge weg.
       Auf drei bis vier Millionen schätzt Winkelsdorf die Ausfälle, die er wegen
       des Verfahrens hatte, bis heute, sagt er, sei er noch nicht auf dem
       Vor-Prozess-Niveau angekommen, auch wenn es schon wieder besser laufe.
       
       Seine Gedanken kreisen deshalb noch immer um den Prozess, um die Aussage
       des Mannes, der vorgab, kein Waffenhändler zu sein, obwohl es beim LKA
       damals schon [5][Anhaltspunkte dafür gab, dass er tatsächlich das
       Rotlichtmilieu mit Waffen versorgte]. Erst vor zweieinhalb Jahren wurde er
       dafür zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.
       Inzwischen, sagt Winkelsdorf, sei der Mann schon wieder Freigänger.
       
       ## Falscher Film
       
       Am irrsten findet Winklesdorf den Umstand, dass die Dreharbeiten für
       Kabel1, wegen derer er am Ende verurteilt wurde, gar nicht unter seiner
       Regie stattgefunden hatten. Er war nur als Sachverständiger dabei, die
       Produktionsfirma des Beitrags hatte das gegenüber dem LKA klargestellt.
       
       „Ich hätte dafür gar nicht belangt werden dürfen“, sagt er. Aber auch diese
       Information fand keinen Eingang in das Verfahren, obwohl die
       Staatsanwaltschaft davon wusste.
       
       Winkelsdorf wirft dem damaligen Staatsanwalt vor, die Akten manipuliert zu
       haben. Er hat die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragt. Seit Anfang
       Juli liegt zudem beim Hamburger Generalstaatsanwalt eine
       Aufsichtsbeschwerde vor: Die Akten sollen endlich korrigiert werden.
       
       „Der Ball liegt jetzt bei ihm“, sagt Winkelsdorf und packt seine
       Zigarettenschachtel ein. Trotz allem wirkt er hoffnungsfroh. Immer noch.
       
       26 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vorwuerfe-gegen-Hamburger-Polizei/!5865852
   DIR [2] https://x.com/winkelsdorf/status/1796697595001094169
   DIR [3] /Nach-Messerangriff-in-Mannheim/!6011617
   DIR [4] https://www.stern.de/panorama/einsatz-in-mannheim---warum-die-polizei-alles-richtig-gemacht-hat-34764334.html
   DIR [5] /Journalist-vor-Gericht/!5374478
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Wiese
       
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