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       # taz.de -- Romandebüt von Patrick Holzapfel: Trost auf Brettern
       
       > Bitte hinsetzen: Der Filmkritiker und Gurgelexperte Patrick Holzapfel
       > erzählt in seinem Debüt „Hermelin auf Bänken“ von einem Bankier
       > besonderer Art.
       
   IMG Bild: Grünes Modell mit schwarzen Metallstangen, Lehne und Sitzfläche jeweils einbrettrig
       
       Ein himmelweiter Unterschied, sollte man meinen, besteht zwischen einer
       Sitzbank im Park und der Bank als Kreditinstitut. Tatsächlich kommt auch
       das Wort „Bank“ für den Ort, an dem mit Geldgeschäften die Welt gestaltet
       wird, ursprünglich von einem länglichen Holzmöbel. Die italienische banca
       war ein Tisch, an dem man seit dem 13. Jahrhundert Wechselgeschäfte
       tätigte.
       
       Im Debütroman „Hermelin auf Bänken“ von Patrick Holzapfel erfährt man
       solcherlei etymologisches Hintergrundwissen nicht. Es ist ein schmaler
       Band, angenehm unüberfrachtet, unaufgebauscht und unaufgeregt. Ein kleiner
       Roman über das Sitzen auf Bänken in Wien. Der Ich-Erzähler, der für seine
       Stunden auf Parkbänken sein Studium schleifen lässt, nennt sich, mit
       verschmitztem Stolz „Bankier“. Und mit einigem Unverständnis sieht er zu,
       wie sein alter Studienfreund Prince ins ernste Arbeitsleben wechselt.
       
       Er sitzt auf Bänken. Das klingt im Buch zunächst genauso ziellos, wie man
       es sich vorstellt. Da passiert erst einmal gar nicht viel. Der Bankier
       sitzt. Seine Gedanken wandern.
       
       „Donaukanalstraße, 4. August, 19:55 Uhr. Grau-braunes Modell mit roter
       Metallstange, die als Verbindungsglied, Armlehne und als Beine zugleich
       dient. Lehne und Sitzfläche jeweils einbrettrig. Bank steht zusammen mit
       Zwillingsbank ungefähr einen Meter abgesetzt von der Uferpromenade am
       Donaukanal; Blick auf das Wasser.“
       
       ## Auf der Suche nach dem Hermelinkönig
       
       Es gibt Exemplare aus Holz, Metall, Beton. Manche sind funktional, manche
       verschnörkelt, einige zerkratzt und mit Sprüchen bedeckt. Manche Bänke
       kommen auch in „Rudeln“ vor, „wie alte Hunde“ aneinander gekettet. „Sie
       winseln, das kann man hören.“
       
       Als man beim Lesen schon fast nicht mehr damit rechnet, schält sich ganz
       sachte doch noch eine Art Handlung heraus. Denn jedem mit Datum versehenen
       Bank-Porträt folgt eine Erzählung darüber, was dem Ich-Erzähler beim
       „Bankieren“ durch den Kopf geht und wer ihm dabei begegnet.
       
       Angefangen hat alles mit dem Hermelinkönig. Einem Obdachlosen, der auf
       einer Bank saß, in einem höchst teuren weiß-schwarzen Pelzmantel aus
       Hermelin. Alle, die auf der Straße leben, scheinen ihn zu kennen. Doch nach
       der ersten wortlosen Begegnung ist er wie vom Erdboden verschluckt. Ihn
       wiederzutreffen wird zur fixen Idee unseres Bankiers.
       
       Und so lässt er sich durch die Stadt treiben. Probiert sämtliche
       Sitzgelegenheiten aus. Hält die Merkmale der Bänke fest, auf denen er
       verweilt.
       
       Das erinnert ein wenig an die Pollerforschung von Helmut Höge: [1][Der
       langjährige taz-Autor] widmete sich in ähnlich akribischer oder sollte man
       sagen manischer Weise sämtlichen Formen, Farben und Funktionen von
       Straßenbegrenzungspfählen. Auch dem Buch über die Pollerforschung entströmt
       etwas merkwürdig Tröstliches: Jemand richtet einen liebevollen Blick auf
       etwas, an dem sonst achtlos vorbeigegangen wird. Immerhin!
       
       ## Wohin mit der Trauer?
       
       Die sinnlose Suche nach dem Hermelinkönig bleibt letztlich Sinnbild für
       eine Suche, für die es kein Bild gibt. Es ist die Suche nach Trost. Denn
       wohin mit der Trauer, wenn jemand, der teuer war, gestorben ist? Wenn man
       der Letzte in einer Familie ist? Zu wem? Es ist ausgerechnet der
       öffentliche Raum, der unserem Bankier Halt gibt. Wenn schon nicht er
       selbst, so steht doch zumindest die Bank, auf der er sitzt, mitten im
       Leben.
       
       In literarischen Debüts wird nicht selten das eigene Leben verarbeitet.
       Autofiktion ist das Stichwort, unter dem Schreibende über sich selbst
       schreiben können, ohne sich angreifbar zu machen, weil für die Lesenden
       schwer zu erkennen ist, was autobiografisch und was fiktional ist.
       
       Das trifft auf „Hermelin auf Bänken“ aber dankenswerterweise nicht zu: Der
       Roman ist ein Roman. Man kann ihn ganz entspannt lesen, beispielsweise auf
       einer Parkbank in Wien, ohne sich um die psychische Gesundheit des Autors
       Sorgen machen zu müssen.
       
       Denn mit seinem grundsympathischen, aber etwas behäbigen Protagonisten hat
       der 1989 in Augsburg geborene Patrick Holzapfel wohl nur gemein, dass auch
       er in Wien lebt. Er scheint derart überzeugter Wahlwiener zu sein, dass
       sein erster Roman (der immerhin von einem Deutschen handelt und in einem
       deutschen Verlag erscheint) unleugbar österreichischen Einschlag hat:
       Mülleimer heißen Mistkübel, Obdachlose sind „Sandler“.
       
       ## Parkbank statt roter Couch
       
       Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass man von Patrick Holzapfel hört:
       Im Studium gründete er den Kino-Blog „Jugend ohne Film“. Und beim 30. Open
       Mike 2022 [2][gab er seinen Text „Gurgelgeräusche“ zum Besten,] den Monolog
       aus Sicht eines alternden Politikers: „Man kann nicht gurgeln in der
       Politik. Man hat zu schlucken.“ Wohlverdient gewann er damit sowohl den
       Prosa-Preis der Jury als auch den taz-Publikumspreis.
       
       Ist „Hermelin auf Bänken“ politisch zu verstehen? Handelt es sich um ein
       poetisches Plädoyer für mehr Müßiggang? Ein Vorschlag für eine alternative,
       kostengünstige Form der Psychotherapie? Parkbank statt roter Couch? Oder
       ist es andersherum, müsste man dem Roman vorwerfen, dass er unpolitisch
       ist? Eine wohlfeile Romantisierung von Obdachlosigkeit?
       
       Angenehmerweise stellt der Roman selbst keine Behauptung darüber auf,
       inwiefern er politisch die Welt verändern will. Er macht nichts anderes,
       als von einer gewissen Lebenslage erzählen. Von einem Menschen, der auf die
       existenzielle Frage „Wohin mit mir?“ eine etwas ungewöhnliche, aber doch
       eigentlich naheliegende Antwort hat: Erst mal hinsetzen!
       
       3 Aug 2024
       
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