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       # taz.de -- Bremer Autor über Beckenrand-Lesung: „Ausdruck meiner Freibad-Liebe“
       
       > Geldsorgen und kleine Fluchten: Will Gmehling liest in Bremen aus seinem
       > ausgezeichneten Roman „Freibad“ – am denkbar passendsten Ort.
       
   IMG Bild: Wenigstens kurz mal autonom sein von den Nöten der Eltern: Drei Mächen essen Freibadpommes
       
       taz: Will Gmehling, gehen Sie gerne schwimmen? 
       
       Will Gmehling: Ja, ich bin leidenschaftlicher Freibadgänger. Im Sommer bin
       ich jeden Tag dort. Auch auf meinen Lesereisen habe ich immer eine Badehose
       dabei.
       
       taz: Spielt deshalb die Geschichte der drei Bukowski-Kinder dort? 
       
       Gmehling: Ich wollte in dem Roman meiner Freibadliebe Ausdruck verleihen.
       Dieser besondere Ort hat gut zu den drei Kindern gepasst, deshalb spielt
       das Buch fast ausschließlich dort.
       
       taz: Hinter den drei Kindern steckt eine Geschichte. 
       
       Gmehling: Vor einiger Zeit sind mir im Bremer Hauptbahnhof drei Kinder
       begegnet, denen man ansah, dass sie arm waren. Als sie an mir vorbei
       liefen, sagte das Mädchen zu den beiden Jungs: „Das können wir uns nicht
       leisten, wir haben nur noch drei Euro.“ Der Satz hat mich getroffen,
       deshalb taucht er auch fast genauso in meinem Buch auf.
       
       taz: Armut, Klassenzugehörigkeit und das [1][Aufwachsen in einer
       Hochhaussiedlung] kommen auch in Ihren anderen Büchern vor. Kennen Sie das
       selbst? 
       
       Gmehling: Armut ist ein weit gestreckter Begriff. Was viele Menschen
       kennen, ist Geldmangel. Ich bin selber in einer 50er-Jahre-Hochhaussiedlung
       groß geworden. Meine Eltern hatten einige Zeit lang sehr wenig Geld. Als
       Autor kenne ich Geldsorgen natürlich auch. Am liebsten lese ich in diesen
       Stadtteilen, in denen Menschen leben, die weniger Geld haben.
       
       taz: Hatten Sie ein bestimmtes Anliegen? 
       
       Gmehling: Mir ging es vor allem darum aufzuzeigen, dass auch Menschen mit
       wenig Geld ein intaktes Leben führen können. Eine Zeit lang haben
       Politiker:innen und Soziolog:innen übers Prekariat gesprochen, als
       wüssten sie, was das ist, und damit immer nur Schwierigkeiten verbunden.
       Das hat mich sehr gestört. Ich wollte dem eine Art Würde zurückgeben.
       
       taz: Wie genau? 
       
       Gmehling: Die Bukowski-Kinder werden in einer Umgebung groß, in denen ihnen
       zunächst nicht auffällt, wie andere diese wahrnehmen. Und die Eltern der
       Kinder sind wunderbar. Sie lesen vor, sind witzig und haben ein gutes
       Verhältnis zueinander. Aber ich wollte kein Buch über Klassismus schreiben.
       
       taz: Wie erzählt man Geschichten für Kinder? 
       
       Gmehling: Für mich ist das Schreiben eine Expedition: Ich fange an und weiß
       nicht, was passieren wird. Es ist auch ein Unterschied, ob ich für eine
       zweite oder eine fünfte Klasse schreibe, dessen muss man sich bewusst sein.
       Und eine gewisse Nähe zu Kindern und tiefe Sympathie, das kann natürlich
       auch nicht schaden.
       
       taz: Wie ist das bei Ihnen? 
       
       Gmehling: Ich kann mich selbst gut an mein neunjähriges Ich erinnern, das
       ist hilfreich. Ich schaue Kinder an und höre ihnen zu, passe mich in meiner
       Wortwahl aber nur bedingt an Kinder- und Jugendsprache an. Es ist eine
       Kunstsprache und nicht direktes Abbild der Realität.
       
       taz: Sind es oft Erlebnisse, die Sie inspirieren? 
       
       Gmehling: Vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, wie viele Eltern vor ihren
       Kindern am Handy sitzen. Das finde ich sehr traurig und hat mich auf meine
       neueste Geschichte gebracht: Die Tochter sperrt die Eltern für drei Tage in
       den Keller ein, damit diese einen Handyentzug machen. Das meiste fällt mir
       aber einfach so ein. Ich finde wichtig, dass Kinder auch einen Raum haben,
       den sie sich selbst gestalten und in dem sie autonom von den Nöten der
       Eltern sind.
       
       taz: Thorben, ein Schulfreund des Protagonisten Alf Bukowski, kommt aus
       einer rechten Familie und äußert sich rassistisch. Ist es nicht wichtig,
       das in den Kontext zu setzen? 
       
       Gmehling: Eine lange Zeit dachten der Verlag und ich, dass das nicht
       wichtig wäre, weil Alf lediglich beschreibt was er sieht, es ist wenig
       Wertung dabei. Die Schwester Katinka versucht den Rassismus zu entlarven,
       aber auf eine kindliche Art und Weise. Inzwischen sind wir aber der
       Meinung, dass es eine kurze Anmerkung braucht. Die wird es in der neuen
       Auflage geben.
       
       3 Aug 2024
       
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