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       # taz.de -- Bilanz der Olympischen Spiele in Paris: Sonne und Skandale
       
       > Die Sommerspiele waren faszinierend: Geopolitische Konflikte konnten
       > überspielt werden, Kulturkämpfe über den Frauensport nicht.
       
   IMG Bild: Große Begeisterung an der Marathonstrecke vor dem Schloss von Versailles
       
       Die Metrolinien Richtung Innenstadt waren ungewöhnlich voll für einen
       Samstagvormittag in Paris. Um 8 Uhr in der Früh schon wurden die
       Marathonläufer auf die Strecke geschickt. Viele Pariserinnen und Pariser
       wollten noch einmal ein [1][wenig Olympialuft schnuppern] an diesem
       vorletzten Tag der Spiele und suchten sich einen Platz an der Strecke.
       
       Gut zwei Stunden, bevor mit den ersten Läufern im Zielbereich am
       Invalidendom zu rechnen war, hatten sich die ersten Fans schon an den
       letzten frei zugänglichen Plätzen vor dem für das zahlende Publikum
       reservierten Tribünen postiert. Da war das Rennen, das die Läufer vorbei an
       einer Sehenswürdigkeit nach der anderen von Paris bis zum Schloss
       Versailles und zurück in die Stadt führen sollte, noch gar nicht gestartet.
       
       Der Himmel hätte nicht blauer sein können und noch einmal lieferten die
       Olympischen Spiele jene faszinierenden Bilder moderner Leistungssportler
       vor historischen Kulissen, vor denen die halbe Welt in den vergangenen zwei
       Wochen regelrecht in die Knie gegangen ist.
       
       Ja, die halbe Welt soll die Spiele wahrgenommen haben. Das jedenfalls
       [2][meinte Thomas Bach], der Präsident des Internationalen Olympischen
       Komitees bei seiner Bilanzpressekonferenz am Freitag vor dem letzten
       Olympiawochenende. „Die Zahlen gehen durch die Decke“, sagte er mit Verweis
       auf TV-Quoten und Reichweiten im Netz. Und so kommt er eben zu dem Schluss,
       dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung die Spiele verfolgt hat.
       
       ## Nur ein paar Wolken
       
       Nach den traurigen Coronaspielen von Tokio 2021 und den noch traurigeren
       Coronadiktaturspielen 2022 in Peking scheint wieder die Sonne über dem
       Olymp. Nur ein paar Wolken schoben sich davor. Thomas Bach, der sich so
       gerne in der Rolle des großen Friedensfürsten sieht, klopfte sich
       jedenfalls heftig selbst auf die Schulter und freute sich, dass es dem IOC
       gelungen ist, alle geopolitischen Konflikte weitgehend von den Spielen
       fernzuhalten.
       
       Die paar Russen und Belarussen, die nach dem Überfall auf die Ukraine als
       sogenannte neutrale Athleten ohne Hoheitszeichen ihrer Länder angetreten
       sind, machten keinen großen Ärger und auch der Gazakrieg konnte das
       olympische Dorf nicht erschüttern. Dafür taten [3][die Kulturkämpfer], die
       gerade dabei sind, sich genüsslich am vermeintlichen Zerfall der offenen
       Gesellschaften des Westens zu laben, alles dafür, die Spiele zum großen
       Skandalevent zu machen.
       
       Noch einmal musste Thomas Bach bei seinem letzten olympischen
       Schlussstatement – er wird 2025 an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin
       übergeben – über den Beginn der Spiele sprechen. Die Eröffnungsfeier, jenes
       [4][Weihefest der Diversität], war noch einmal Thema. „Blasphemie!“, hatten
       diejenigen geschrien, die auf der Suche nach einem Skandal gesehen haben
       wollten, dass die Macher des Spektakels Jesus beim Abendmahl durch einen
       saufenden Dionysos, der noch dazu nackt und blau war, ersetzt haben, der
       noch dazu mit lauter Dragqueens feierte. Fast überall war zu lesen, dass
       auch die katholische Kirche sich empört habe. „Wir haben keine Mitteilung
       vom Vatikan erhalten“, sagte Thomas Bach nun auf Nachfrage.
       
       Und natürlich musste Bach wieder Fragen beantworten zu den zwei
       [5][Boxerinnen Imane Khelif] und Lin Yu-ting, die von besonders
       unappetitlichen Menschen im Netz seit ihren ersten Kämpfen als Männer
       bezeichnet werden. „Was hätten wir anders machen sollen?“, fragte Bach.
       „Zwei Frauen ausschließen, wegen Vorwürfen, die auf unzuverlässigen Daten
       beruhen?“ Den Geschlechtstests, die von der vom IOC ausgeschlossenen
       International Boxing Association durchgeführt worden sind, misstraut er.
       Selbsternannte Kämpfer für den Frauensport folgen dagegen immer noch der
       Erzählung des Verbands, der von einem russischen Ex-Rocker mit dem Geld des
       russischen Staatskonzern Gazprom einen Skandal nach dem anderen provoziert.
       
       ## Schier unmenschliche Beschimpfungen
       
       Ihm ist gelungen, die Illusion eines fairen Wettbewerbs, von der der Sport
       ja lebt, zu zerstören. Die muss jetzt wieder hergestellt werden. Leicht
       wird das nicht. Und während im Netz auf schier unmenschliche Art weiter vor
       allem gegen die Algerierin Khelif gewettert wurde, feierte in der Pariser
       Innenstadt die algerische Community ihren Olympiasieg in den mit den Fahnen
       ihres Herkunftslandes geschmückten Cafés lautstark und sangesfroh bis spät
       in die Nacht hinein.
       
       Die Bars und Bistros, in denen den ganzen Tag Livebilder von den
       Wettbewerben gezeigt wurden, auch sie gehören zu den Bildern dieser Spiele.
       Einen Schwimmwettbewerb bei Bier und Fritten in der Kneipe zu verfolgen,
       war olympischer Alltag. Wenn ein Franzose oder eine Französin dabei war,
       lief auch mal Tischtennis, Judo oder BMX in den gut gefüllten Gaststätten.
       
       Zur Idee der Spiele gehört es ja, den Leuten zu vermitteln, dass auch sie
       davon profitieren und so richtete jedes Arrondissement einen Ort zum
       gemeinsamen Spieleschauen ein. Tatsächlich kamen Leute, um ihre
       Mittagspause in einem Liegestuhl vor einer Leinwand zu verbringen, um
       nebenbei ein bisschen Turmspringen zu verfolgen. Die Spiele sind angekommen
       bei den Hauptstädtern.
       
       Seit ein paar Tagen ist Karen Barr, die Bürgermeisterin von Los Angeles, in
       Paris unterwegs. Sie möchte sehen, welche Projekte in Paris entstanden
       sind, die bleiben, wenn die Spiele längst gegangen sind. Sie war in der
       Vorstadt Saint-Denis, wo aus dem olympischen Dorf sozialer Wohnraum und
       Studierendenbehausungen werden sollen.
       
       Sie hat sich ein paar der vielen Fanfeste angeschaut und möchte, dass sich
       die unterschiedlichen Communitys von Los Angeles 2028 ebenso präsentieren.
       Und wie sollen die Spiele in vier Jahren aussehen? Ohne Eiffelturm, ohne
       Seine und ohne die ganze Geschichte, die bei jedem Wettkampf auf irgendeine
       Art mit im Bild war. Vielleicht kommt es einfach auf die Leute an.
       
       Die unzähligen Menschen, die am Ende dicht gedrängt in fünf, sechs Reihen
       an der Marathonstrecke standen, und von denen viele nicht viel gesehen
       haben dürften von den Läufern, und vielleicht überhaupt nichts vom
       äthiopischen Olympiasieger Tamirat Tola, wollten auf irgendeine Art dabei
       sein bei diesen Spielen. Und bis tief in die magische Pariser Sommernacht
       auf Sonntag hinein jubelten Tausende den Läuferinnen und Läufern zu, die
       sich spät am Abend beim „Marathon für alle“ selbst auf die olympische
       Straßenlaufstrecke gemacht hatten. Wie erwähnt: Sie wollten irgendwie dabei
       sein – ganz im olympischen Sinn.
       
       11 Aug 2024
       
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