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       # taz.de -- Genießen statt schwitzen: Kühl bleiben
       
       > Der Trend dieses Sommers ist „Coolcation“. Denn wer fährt schon in den
       > heißesten Wochen des Jahres in Gegenden, die besonders heiß sind?
       
   IMG Bild: Kühl bleiben! Wie hier eine Wildschweinbache bei einem Schlammbad
       
       Klar, früher war alles schon mal da, es hieß nur anders: „Bouldern“ war
       Klettern, „Hiken“ Bergwandern, „Urban Gardening“ Gartenarbeit – und
       „Coolcation“ eben schlicht [1][Sommerfrische].
       
       Und doch ist bei dieser von den [2][touristischen Fachmagazinen und
       sozialen Medien ausgerufene Trendsynthese] von „cool“ und „vacation“ die
       Lage etwas anders. Denn die Sehnsucht, im Sommer eben gerade nicht dahin zu
       fahren, wo ein stabiles Hoch für entsprechend hochsommerliche Temperaturen
       sorgt, ist dem Klimawandel geschuldet. Gewiss war es auch schon vor 30 oder
       50 Jahren eine Herausforderung, der sich im Wesentlichen Touristen
       unterzogen, den August in einer der italienischen Kunststädte zu
       verbringen.
       
       Wenn nun aber etwa die Sommermonate in Rom konstant Tagestemperaturen nahe
       40 Grad liefern und die Nächte keine echte Abkühlung mehr bieten, dann
       sprechen selbst die hitzebeständigen Einheimischen schlicht von „Lockdown“
       und bleiben von den frühen Morgenstunden abgesehen zu Hause beziehungsweise
       in geschlossen Räumen mit der Klimaanlage auf Höchststufe.
       
       Paradoxerweise scheint also die menschengemachte, künstliche Erderwärmung
       die Gattung Mensch zu einem natürlichen Verhalten zurückzuführen – nicht
       umsonst verbringen Wildschweine die heißen Stunden des Tages am liebsten in
       schattig-schlammigen Fennen oder Pfuhlen.
       
       ## Deutschland vorn – theoretisch
       
       Bei weiter sich verringernder Schneemenge dürfte der Trend auch auf den
       Winterurlaub übergreifen: Nie wäre der mittelalterliche Mensch auf die Idee
       gekommen, ausgerechnet in der kalten Jahreszeit sich den Gefahren der
       Bergwelt auszusetzen; wenn es künftig keinen Schnee mehr gibt, braucht man
       sich entsprechend auch nicht auf die Gipfel schleppen zu lassen, um
       anschließend eh nicht von ihnen herunterrutschen zu können.
       
       Deutschland könnte von dieser Entwicklung profitieren – theoretisch. Wer
       wie der Autor seinen Urlaub auf einer Nordseeinsel beziehungsweise im
       Bayerischen Oberland verbracht hat, verlebte wunderbar milde, erholsame
       Tage, laue Nächte und frische Morgen, mit zwischendurch ein paar hübschen
       Wölkchen und mehr malerischen als bedrohlichen Gewittern.
       
       Zwischen diesen Destinationen lagen allerdings Reisen mit der
       dysfunktionalen Deutschen Bahn, die den Erholungswert beträchtlich
       verringerten. Denn selbst bei angenehmen 25 Grad Außentemperatur entspricht
       ein ICE-Abteil mit ausgefallener Klimaanlage einem Aufenthalt an einem der
       voll belegten Adriagrills.
       
       Vielleicht ist es aber gerade dieser heruntergewirtschafteten Infrastruktur
       zu verdanken, dass man zwei Stunden nördlich von Hamburg und vierzig
       Minuten südlich von München an menschenleeren Stränden und einsamen Seen
       wandeln darf, während „der große Haufen sich, in überengen / Behältern
       drangvoll duldend wie auf Viehtransporten, / Aus Deutschlands nördlich
       milden Breiten oder Längen / Hinquält zu seinen grauenhaften Urlaubsorten“,
       wie es der Dichter Peter Hacks einst [3][in seinem Gedicht „Rote Sommer“]
       so passend beschrieb.
       
       Ob die Neuauflage der Sommerfrische dauerhaft ein Geheimtipp bleiben wird?
       Wünschenswert ist das nicht. So wie man nur wirklich frei sein kann, wenn
       alle frei sind, so ist Erholung ein Grundrecht, das allen Menschen zusteht
       – und nicht zuletzt der Natur selbst: Ein Mittelmeerraum, der im Sommer
       zwar in der Mörderhitze flimmert, dessen Rhythmus sich aber entsprechend
       verlangsamt, der vor dem Ansturm des Massentourismus verschont bleibt und
       Zeit zum Regenerieren hat, ist selbst unter ökonomischen Gesichtspunkten
       keine schlimmere Vorstellung als ein besinnungslos Richtung Hitzekollaps
       taumelndes System. Und Rom ist nie schöner als einem klaren Tag im Januar.
       
       13 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Was-tun-gegen-die-Hitze/!5949075
   DIR [2] https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/coolcation-reisetrends-2024-kuehle-ziele-100.html
   DIR [3] https://www.peter-hacks-gesellschaft.de/gedichte/archiv/133-sommergedicht11.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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