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       # taz.de -- Nationenwertung bei Olympia: Warum Dominica eine Sportmacht ist
       
       > Bei den Medaillenspiegeln gewinnen große Staaten. Dabei ist alles nur
       > eine Sache der Berechnung. Es geht nämlich auch anders.
       
   IMG Bild: Viele denkbare Berechnungen des Medaillenspiegels sind möglich
       
       In den offiziellen [1][Medaillenspiegeln] der Olympischen Spiele liegen
       stets bevölkerungs- und wirtschaftsstarke Nationen vorne – so auch diesmal
       in Paris. Aber wie sieht es aus, wenn man diese Faktoren berücksichtigt?
       Ein alternativer [2][Medaillenspiegel] überrascht.
       
       Wenn [3][Olympische Spiele] zu Ende gehen, suchen Offizielle des deutschen
       Sportfördersystems oft nach Erklärungen, warum es nicht so gut gelaufen
       ist. Im Vergleich mit anderen Ländern investiere man eben einen größeren
       Anteil in den Breitensport, setze nicht allein auf die Eliten, hieß es
       zuletzt. So holte Deutschland in Paris nur zwölfmal Gold, 13-mal Silber und
       achtmal Bronze – die schlechteste Ausbeute seit der Wiedervereinigung 1990.
       Und damit Platz zehn im offiziellen Medaillenspiegel.
       
       Deutlich zufriedener war man Sonntagabend, als bei den Spielen 2024 alle
       Medaillen vergeben waren, in der Schweiz. Mit einem einzigen Gold reichte
       es zwar nur für Platz 48 im Medaillenspiegel – aber angesichts der zwei
       Silber- und fünf Bronzemedaillen habe man sein Ziel erfüllt. Ähnlich sieht
       man es in Österreich: Mit zweimal Gold und dreimal Bronze wurde Platz 36
       draus. Mehr sei kaum drin, wird schnell betont – als kleines Land sei es
       unmöglich, quer über die Sportarten mit Ländern wie den USA mitzuhalten.
       
       Auf den ersten Blick scheinen solche Äußerungen gerechtfertigt: Die USA,
       die mit 40-mal Gold einmal mehr den Medaillenspiegel anführen, haben 336
       Millionen Einwohner. Im zweitplatzierten China, das gleichviel Gold holte,
       aber weniger Silber, leben gar 1,4 Milliarden Menschen. Österreich und die
       Schweiz zählen aber nur je rund neun Millionen Menschen. Selbst Deutschland
       mit seinen 84 Millionen könnte kaum beanspruchen, an die USA oder China
       heranzureichen. Dafür fehlen schlicht die Menschen. Oder?
       
       Tatsächlich schneiden Deutschland, Österreich und die Schweiz im
       Nationenvergleich deutlich anders ab, sobald man die Zahl der gewonnen
       Goldmedaillen durch die Bevölkerungszahl der Länder teilt. Nach Ende der
       Spiele von Paris stünde Deutschland dann nur noch auf Platz 33, direkt
       hinter dem bevölkerungsmäßig größeren Japan (125 Millionen) und dem
       kleineren Rumänien (19 Millionen), das nur dreimal Gold gewann. Die Schweiz
       würde auf Platz 35 folgen, direkt hinter den USA. Österreich wäre auf Platz
       24.
       
       ## Domenica vor Saint Lucia
       
       Platz eins dieses Rankings würde [4][Dominica] belegen – und dies bei nur
       einer Goldmedaille im Dreisprung der Frauen. Bei einer Bevölkerung von nur
       rund 67.000 Menschen ist das der beste Wert aller Teilnehmerländer. Auf
       Platz zwei folgt demnach der karibische Nachbar [5][Saint Lucia], der
       ebenfalls einmal Gold gewann (100 Meter Sprint der Frauen), aber eine rund
       dreimal so große Bevölkerung zählt. In den Top Ten landen noch Neuseeland,
       Bahrain, Slowenien, die Niederlande, Georgien, Irland, Norwegen und
       Australien.
       
       Den letzten Platz belegt Pakistan mit nur einer Goldmedaille pro 220
       Millionen Menschen. Das mit 1,4 Milliarden Einwohnerinnen noch viel größere
       Indien schafft es gar nicht in dieses Ranking, da es zwar einmal Silber und
       fünfmal Bronze gewann, aber kein Gold. Wobei bei diesem Ranking ein Muster
       deutlich wird: Vorne landen entweder sehr kleine Länder, die nur sehr
       wenige Medaillen holen, oder Länder mit weniger als sechs Millionen
       Menschen. Ausnahmen sind die Niederlande und Australien.
       
       Dabei bietet sich eine weitere Art des Ländervergleichs an, wie es der
       neuseeländische Informatiker Craig Nevill-Manning auf seiner Website
       medalspercapita.com vorschlägt: Statt nur Gold zu zählen, sollten auch
       Silber- und Bronzegewinne berücksichtigt werden. Craig-Manning rechnet hier
       für jedes Gold vier Punkte, für Silber zwei und für Bronze einen Punkt.
       Deutschland wäre dann nur noch auf Platz 44, die Schweiz würde auf 35
       klettern, Österreich auf 40 fallen. Vorne läge weiter Dominica. Letzter
       wäre nun Indien.
       
       ## Bevölkerung statt Bruttoinlandsprodukt als Vergleichswert
       
       Allerdings ist auch bekannt: Mit Investitionen in Infrastruktur lassen sich
       sportliche Erfolge bis zu einem Grad erkaufen: So lohnt es sich, statt der
       Bevölkerung das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Vergleichswert zu
       berücksichtigen. Diese Summe aller in einem Jahr produzierten Güter und
       Dienstleistungen steigt tendenziell mit der Bevölkerungsgröße eines Landes.
       Teilt man die gewichteten Medaillen also durchs BIP, wird sowohl die
       Bevölkerungsgröße als Wohlstand der Länder grob mitgerechnet.
       
       Und dann sieht es für Deutschland, Österreich und die Schweiz überhaupt
       nicht mehr gut aus. Deutschland, die größte Volkswirtschaft Europas,
       rutscht plötzlich auf Rang 71 ab, die wohlhabende Schweiz folgt auf 74,
       Österreich liegt nur leicht besser auf 68. Auf die Schweiz folgen Japan
       (75) sowie die weltweit größte Volkswirtschaft USA (76). Schlusslicht ist
       hier nicht mehr Indien, wo Armut weit verbreitet ist, sondern der sehr
       wohlhabende südostasiatische Stadtstaat Singapur, der in Paris einmal
       Bronze holte.
       
       Ganz vorne landen noch immer Dominica auf Platz eins und Saint Lucia auf
       Platz zwei, gefolgt von Grenada, Georgien, Kirgistan, Usbekistan, Jamaika,
       Kenia, Moldawien und Armenien. Aber dass diese Topnationen nach dieser
       Rechnung jedes Mal bei Olympia vorne stehen, lässt sich nicht sagen. Bei
       den Spielen von Tokio 2021 landete am Ende San Marino auf Platz eins, vor
       Jamaika und Georgien. Dominica und Saint Lucia waren im Ranking überhaupt
       nicht zu finden – denn sie hatten keine einzige Medaille geholt.
       
       12 Aug 2024
       
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