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       # taz.de -- Theatervorständin übers Bühnenjubiläum: „Von Shakespeare lernt man immer“
       
       > Die Bremer Shakespeare Company im Bürgerpark ihr 40-jähriges Bestehen:
       > Vielsprachig, barrierearm und opulent.
       
   IMG Bild: Tolle Atmo: Am Sonntag zeigen Shakespeare Company und das Istanbuler Tiyatro Bereze „Die Komödie der Irrungen“ – zweisprachig
       
       taz: Ist Erfolg gefährlich, Frau Heitmann? 
       
       Renate Heitmann: Nein, ich würde eher sagen, Erfolg macht Arbeit. Wenn man
       feststellt, dass etwas funktioniert, verpflichtet das natürlich, dass es
       auch beim nächsten Mal gelingen sollte.
       
       taz: Führt der Publikumszuspruch, über den sich die Bremer Shakespeare
       Company freuen kann, nicht dazu, dass man denkt: Ich muss genauso
       weitermachen, wie bisher? 
       
       Heitmann: Das glaube ich nicht. Auch das Publikum verändert sich. Auch das
       Publikum hat unterschiedliche Ansprüche, unterschiedliche Fragen. Und wir
       sind jetzt schon durch mehrere Generationen Publikum hindurch. Unsere
       Perspektive ist die Vergänglichkeit. Shakespeare ist das Unvergängliche.
       Wir feiern mit unserem Geburtstag vor allem 460 Jahre Shakespeare.
       
       taz: Was bedeutet diese Überfigur fürs Team? 
       
       Heitmann: Das Emotionale, das moralisch Verwerfliche und Gute, die Frage,
       was der Mensch ist, all das kommt von Shakespeare. Ich glaube, für uns ist
       dieser gemeinsame Bezug entscheidend fürs Selbstverständnis als Kollektiv.
       Das bedeutet ja, dass man sich durch alle Gewerke hindurch schätzt und
       anerkennt, als gleichwertig. Deshalb haben wir auch alle das gleiche –
       bescheidene – Gehalt. Diese Form der Zusammenarbeit ist es, was unser
       Theater ausmacht. Die ist nur möglich, weil es dieses Verbindende gibt.
       
       taz: Haben Sie jemals diesen engen Bezug auf Shakespeare bereut? 
       
       Heitmann: Nein. Wir haben ja auch immer anderes als Shakespeare gemacht,
       haben auch selber Stücke entwickelt oder in Auftrag gegeben. Es gibt bei
       uns keine Polizei, die überwacht, dass wir pro Spielzeit ausreichend
       Shakespeare-Wörter vortragen. Es gibt nur unseren selbstgewählten Auftrag.
       Aber man lernt immer von ihm, selbst wenn man sich mal mit „Maria Stuart“
       von Schiller beschäftigt und feststellt: Shakespeare lässt uns deutlich
       mehr Freiheiten.
       
       taz: Auch weil wir nicht mal ganz genau wissen, ob er nicht doch auch seine
       eigene Schwester war? 
       
       Heitmann: Man sollte immer ein bisschen geheimnisvoll bleiben. Von daher
       finde ich diese Debatten eher amüsant. Das Wunder ist tatsächlich das Werk,
       und ob es von einem oder zehn Autoren stammt, egal: Wir leben davon.
       
       taz: Laut Vereinsregister feiert nicht nur die Company Geburtstag: Sie sind
       am 28. August vor 30 Jahren in den Vorstand gewählt worden – damals neben
       Norbert Kentrup, der Gründerfigur: Sie symbolisieren so auch [1][die
       Ablösung, die schmerzhaft war]. Wie ist die Company den Schatten ihrer
       Gründer losgeworden? 
       
       Heitmann: Ich weiß nicht, ob wir ihn überhaupt ganz losgeworden sind: Als
       wir im vergangenen Jahr die Traueranzeige für Norbert Kentrup geschaltet
       hatten, kamen selbst darauf noch hämische Leserbriefe. Aber ich glaube,
       dass wir den Gründungsmythos nicht so hochhalten mussten, war auch eine Art
       Befreiung.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Heitmann: Wenn Trennungen passieren, ist das immer ein Verlust für alle.
       Und es gab einige Leute in der Stadt, die den Abgang dieser alten Kämpen
       sehr bedauert haben. Aber es gab auch eine ganze Reihe, die gesehen haben,
       dass sich da trotzdem etwas entwickelt hat, auf ganz andere Weise und mit
       einer ganz anderen Art zu kommunizieren. Wo Kentrup war, war der Marktplatz
       und er stand in der Mitte. Wir, also ich selbst und auch [2][Peter
       Lüchinger], der in der vergangenen Spielzeit aus dem Vorstand ausgeschieden
       ist, sehen uns eher in der zweiten Reihe. Keiner von uns ist die typische
       [3][Rampensau]. Wir sind eher so die klassischen Boomer, also fleißig,
       nicht so eitel, und bemüht, etwas für die nachkommenden Generationen zu
       stabilisieren.
       
       taz: Statt im eigenen Haus feiert die Company [4][im Bürgerpark], mit zehn
       großen Produktionen, einer Filmpremiere und einer Party. Warum drängen Sie
       das dort so im Sommer zusammen? 
       
       Heitmann: Der Park ist eigentlich unsere schönsten Spielstätte und es ist
       auch eine tolle Zeit: Jetzt am Ende des Sommers, das ist ja sozusagen die
       blaue Stunde zwischen der alten und der neuen Spielzeit. Da haben wir
       einfach die Gelegenheit wahrgenommen und gesagt: Da kommt der Film raus, da
       feiern wir ein Fest, da nehmen wir uns die Zeit.
       
       taz: Open Air passt auch zur Company-Idee, Shakespeares Dramen wie in der
       Entstehungszeit als Volkstheater zu begreifen … 
       
       Heitmann: Mindestens ist die Bühne im Park ein sehr viel transparenterer
       Ort, als hier der Leibniz-Platz, wo das Theater ein bisschen versteckt
       liegt. Und wir bauen natürlich auch keine großen Zäune auf: Wenn da jemand
       spazieren geht, hat er Einblick ins Backstage. Und klar, wenn ich eine
       Karte kaufe, habe ich ein Anrecht auf einen Sitzplatz. Aber wenn ich keine
       kaufe und sitze hinterm Fluss auf der Decke, kann ich trotzdem zugucken.
       
       taz: Psssst! 
       
       Heitmann: Für uns hat das etwas mit Barrierefreiheit zu tun: Uns ist die
       Möglichkeit wichtig, mitzubekommen, da ist ein Spektakel, da wird eine
       Geschichte erzählt, und ich verstehe die. Manche stellen sich unter Theater
       etwas vor, wo man falsch ist, wenn man nicht mindestens Abitur hat. Unser
       Anliegen ist, unsere Geschichten so zu erzählen, dass sie jeder versteht.
       
       taz: Lustigerweise funktioniert das gerade bei den zweisprachigen Sachen
       wie der deutsch-türkischen „Komödie der Irrungen“ in Koproduktion mit dem
       Tiyatro Bereze. 
       
       Heitmann: Ja, das ist [5][diese umwerfende Physis], also dass der Körper
       die Geschichte erzählt und ich, wenn ich nur die Hälfte der Sprache
       verstehe und ihn sehe, am Ende doch den ganzen Satz verstanden habe.
       
       taz: Wie wichtig sind solche Kooperationen? 
       
       Heitmann: Total. Bei uns gibt’s ja nicht alle zehn Jahre einen
       Intendantenwechsel. Wir müssen also das Neue, das immer schon ein bisschen
       da ist, anstoßen – und uns auch infrage stellen. Das machen wir durch
       solche Gemeinschaftsproduktionen, aber auch durch Projekte mit anderen
       Akteuren hier aus der Stadt. In dem Moment, in dem ich mit jemandem ein
       Projekt entwickle, mit dem ich nicht die gleiche Geschichte teile oder auch
       nicht die Sprache Teile, muss ich ja nach dem neuen Gemeinsamen suchen. Das
       ist immer ein schöner Prozess.
       
       taz: Welche Zukunftspläne hat die Bremer Shakespeare Company? 
       
       Heitmann: Wir befinden uns mitten im Generationenwechsel. Auch ich werde in
       der nächsten Spielzeit das Haus verlassen, im September wird meine
       Nachfolge bekannt gemacht. Die Ausrichtung des Hauses, die Frage, was soll
       in Zukunft Selbstverwaltung bedeuten, das müssen die klären, die jetzt
       übernehmen. Es ist sehr viel in Bewegung hinter den Kulissen. Aber es ist
       eine anderer Wechsel als vor 20 Jahren.
       
       taz: Es gibt keinen Knall? 
       
       Heitmann: Nein, es gibt keinen Knall. Es ist subkutan, oder vielleicht wie
       in einem Ameisenhaufen, also man sieht es nicht. Aber es wird gearbeitet.
       Und es wird sich zeigen.
       
       14 Aug 2024
       
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