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       # taz.de -- Schuldenbremse bremst Klimaschutz: Schulden for Future
       
       > taz-Autor Nick Reimer meint, die Schuldenbremse helfe dem Klimaschutz.
       > Ökonom Maurice Höfgen widerspricht. Er warnt vor grüner Austerität.
       
   IMG Bild: Lasten für die Zukunft: Schlecht ausgebaute Stromnetze, veraltete Abwasserkanäle, eine marode Bahn
       
       Austerität gibt es auch in Grün: Sparpolitik, um die Wirtschaft fürs Klima
       zu schrumpfen. Das forderte taz-Redakteur Nick Reimer kürzlich [1][in einem
       Debattenbeitrag].
       
       Konkret: Verzicht, Abbau klimaschädlicher Subventionen und eine noch
       strengere Schuldenbremse. „Wer jetzt die Schuldenbremse für den Klimaschutz
       aufheben will, der will keinen Klimaschutz“, so Reimer. Ich meine: Er liegt
       falsch und es wäre fatal, wenn Grüne seinen Forderungen folgen würden –
       politisch wie wirtschaftlich.
       
       Zunächst: Alle auch nur halbwegs progressiven Ökonomen sind sich einig,
       dass die Schuldenbremse eine Investitionsbremse ist – und reformiert
       gehört. Uneinig sind sie nur darin, wie die Reform aussehen soll.
       Mittlerweile gibt es sogar immer mehr Konservative, die eine Lockerung der
       Schuldenbremse fordern. Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die
       Bundesbank, das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft, die
       Wirtschaftsweisen – und selbst CDU-Landeschefs wie Kai Wegner.
       
       Stimmen, die die Schuldenbremse gar noch verschärfen wollen, [2][gibt es
       hingegen kaum]. Nicht einmal Prof. Lars Feld, Chefökonom von Finanzminister
       Lindner, fordert das. taz-Redakteur Reimer aber schon: „Wir müssen jetzt
       die Schuldenbremse jedes Jahr um 1 Prozent anziehen, damit unsere Kinder
       und Enkel genug Finanzmittel zur Verfügung haben“, um sich an die Folgen
       des Klimawandels anzupassen.
       
       Derzeit erlaubt die Schuldenbremse eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent
       der Wirtschaftsleistung (plus in Krisen ein bisschen mehr). Was Reimer
       nicht verrät: Was soll ein Anziehen „um 1 Prozent“ konkret bedeuten?
       
       Was aus seinem Beitrag auch nicht hervorgeht: Warum sollen die Enkel mehr
       Geld haben, wenn der Staat weniger ausgibt? Man braucht nicht einmal
       ökonomische Theorie, um das zu widerlegen. Einfache Buchhaltung reicht.
       Denn die Ausgaben des einen sind immer die Einnahmen eines anderen. Die
       Ausgaben des Staates sind also Einnahmen für den Privatsektor (Firmen und
       Haushalte). Gibt der Staat weniger aus, nimmt der Privatsektor weniger ein.
       
       Der Staat soll also im wahrsten Sinne des Wortes sparen. Also weniger
       ausgeben, als er einnimmt. Die Konsequenz: Der Privatsektor würde ärmer.
       Weil der Staat über Steuern mehr Geld aus ihm herauszieht, als er über
       Ausgaben hineingibt. Dadurch würden die Bankkonten der Firmen und Haushalte
       schrumpfen. Nur: Wenn deren Konten leerer werden, können die sich grüne
       Alternativen weniger leisten – und vererben auch weniger an die Enkel!
       
       ## Arbeitslosigkeit als Klimaprogramm?
       
       Hinzu kommt: Wenn heute Investitionen für die Schuldenbremse unterlassen
       werden, müssen die Enkel viel mehr Geld und Ressourcen aufwenden, um die
       Infrastruktur zu sanieren. Schlecht ausgebaute Stromnetze, veraltete
       Abwasserkanäle, eine marode Bahn: All das sind Lasten für die Zukunft. Erst
       recht in einer alternden Gesellschaft, in der jeder Enkel künftig einen
       Rentner mitfinanzieren muss.
       
       Reimers Kommentar suggeriert, man müsse heute Geld in ein Sparschwein
       werfen, damit die Enkel das für den Klimaschutz ausgeben können. So ein
       Sparschwein gibt es nicht. Woher kamen etwa all die zusätzlichen Milliarden
       in der Pandemie? Oder für die Bundeswehr? Aus einem Sparschwein? Nein! Sie
       wurden neu geschöpft.
       
       Die eigene Währung ist niemals knapp. Selbst die USA oder Griechenland, die
       Schuldenstände von 130 oder 180 Prozent der Wirtschaftsleistung haben,
       konnten den Kampf gegen die Pandemie mit höheren Ausgaben bewältigen, haben
       sogar viel mehr neue Schulden gemacht als Deutschland. Um Firmen zu retten,
       Impfstoffe zu finanzieren und die Bevölkerung zu schützen. Außerdem:
       Deutschlands Schuldenstand ist mit 64 Prozent im internationalen Vergleich
       lächerlich niedrig.
       
       Eine Gesellschaft kann sich immer das leisten, wozu sie technisch in der
       Lage ist und Arbeitskräfte hat. Spart der Staat aber, schmiert die
       Wirtschaft ab, gibt es mehr Arbeitslose, weniger Investitionen und auch
       weniger Steuereinnahmen. Das macht es den Enkeln schwieriger, sich an
       Klimafolgen anzupassen – nicht leichter. Man täte ihnen andersherum einen
       Gefallen, wenn es Vollbeschäftigung, Investitionen und Innovationen gäbe.
       Dann erben sie volle Bankkonten und eine produktive, moderne Infrastruktur!
       
       ## Konjunkturprogramm für die AfD
       
       Wo Reimer einen Punkt hat: Die Rahmenbedingungen der Wirtschaft müssen sich
       noch stärker ändern. Platt gesagt: Grün und effizient muss günstiger
       werden, braun und ineffizient teurer, dann passen sich Konsum und
       Produktion nach und nach an.
       
       Das geht aber nicht, indem man an grünen Subventionen spart, weil man
       Staatsschulden verteufelt – und dafür einen fossilen Preisschock erzeugt.
       Das wäre aber das Ergebnis, wenn man Nick Reimer folgen würde, der da
       schreibt: „Deutschlandticket und Tankrabatt […]: Derlei Politik bringt
       nichts auf dem Weg in eine klimagerechte Zukunft – außer dass wir den
       kommenden Generationen ihren Spielraum verkleinern, sich an die Folgen des
       Klimawandels anpassen zu können.“
       
       Schlagartig steigende Preise für Flüge, Autos und Heizungen überfordern die
       Gesellschaft und zerstören die Akzeptanz für [3][Klimaschutz]. Erst recht,
       solange die Alternativen schlecht sind, sprich: solange es keine günstigen
       E-Autos und Ladepunkte gibt, die Bahn unzuverlässig und marode ist,
       Wärmepumpen teuer sind und die Förderung für Energieberater gekürzt wird.
       Und um Alternativen zu fördern, braucht es mehr Geld und wirtschaftliche
       Dynamik, also: mehr Schulden, nicht weniger. Unabhängig davon, dass auch
       Umverteilung – von Dienstwagenprivileg zu E-Auto-Prämie und von Reich zu
       Arm – wichtig ist.
       
       Grüne Austerität aber heißt: weniger Jobs, weniger Einkommen, dafür
       steigende Preise und Existenzängste. Das wäre ein Konjunkturprogramm für
       AfD und Klimawandelleugner, aber kein Gefallen für unsere Kinder und Enkel!
       
       16 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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