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       # taz.de -- US-Schauspielerin Gena Rowlands ist tot: Frau mit Einfluss
       
       > Gena Rowlands schuf mit ihren Rollen im US-Indiekino ab den 1960ern ein
       > selbstbewusstes Frauenbild. Nachruf auf eine singuläre Schauspielerin.
       
   IMG Bild: Ausnahmsweise ohne Sonnenbrille: Gena Rowlands (1930-2024)
       
       Was Gena Rowlands, speziell 1974 in „Frau unter Einfluss“ und [1][1977 in
       „Opening Night“,] auf die Leinwand brachte, hatte man in dieser Intensität
       bis dahin kaum gesehen. Gemäß der von Regisseur John Cassavetes geprägten
       Ästhetik des Nichtperfekten bestimmt sie darin das kinematografische Bild
       und nicht das Bild sie.
       
       In „Eine Frau unter Einfluss“ folgt die Kamera ihr verzweifelt bei ihren
       unberechenbaren Ausbrüchen, und oft genug kommt sie der Schauspielerin
       nicht hinterher. So verleiht sie einer Frauenfigur Ausdruck, die den Druck,
       der auf ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter lastet, nicht mehr aushält.
       Dagegen rebelliert sie, und Peter Falk in der Rolle ihres Mannes kann nur
       hilflos dabei zuschauen.
       
       Eine ähnliche Figur spielt sie in dem Theaterfilm „Opening Night“, nur wird
       da eine weitere Spielebene eingezogen, indem Rowlands eine Schauspielerin
       verkörpert, die in ein Alter kommt, in dem sie ihre Schönheit verliert.
       
       ## Beängstigende Intensität
       
       Gegen dieses gesellschaftliche Stereotyp, dass nur junge Frauen
       begehrenswert sind, spielt Gena Rowlands als Figur und als Schauspielerin
       zugleich mit einer beängstigenden Intensität an. Sie balanciert auf dem
       schmalen Grat zwischen wirklicher und gespielter Empfindung.
       
       Geboren wurde sie 1930 in Cambria, Wisconson, verbrachte einen Teil ihrer
       Kindheit in Washington, D. C., und Milwaukee, Wisconsin, bis sie Anfang der
       1950er Jahre an der renommierten American Academy of Dramatic Arts
       Schauspiel studierte. Dort lernte sie John Cassavetes kennen, den sie 1954
       heiratete. Man könnte sie als Method-Actress par excellence bezeichnen,
       doch interessierten sich die beiden für weitaus radikalere Filmerzählungen,
       die mehr dem Undergroundkino verhaftet waren.
       
       Das erste Resultat war 1968 „Gesichter“, ein Film wie ein Schlag ins
       Gesicht des Hollywoodkinos, das zu jener Zeit bereits daniederlag. Zu ihrem
       Gesicht gehörte die große Sonnenbrille, die etwas verdeckt, verbirgt,
       Tränen vielleicht oder eine spät gewordene Nacht, die sie aber auch überaus
       mondän wirken lassen kann.
       
       ## Hochkomplexe Liebesdramen
       
       Die Filme, die sie ab den 1960er Jahren mit Cassavetes machte, waren
       weitab vom klassischen und auch vom aufkommenden [2][New Hollywood]. Von
       dem erst 1980 entstandenen großartigen Gangsterfilm „Gloria“ abgesehen,
       sind es keine Genrefilme, es sind hochkomplexe Liebesdramen, die wehtun.
       Immer wieder verbindet sich das Private und das Berufliche zwischen Gena
       Rowlands und John Cassavetes auf durchdringende Weise, so etwa, wenn die
       beiden als Ehepaar 1971 in „Minnie und Moskowitz“ aufeinander einschlagen.
       
       Wenn sie jetzt anlässlich ihres Todes am Mittwoch als Ikone des Indie-Films
       gepriesen wird, so muss man feststellen, dass sie, von Woody Allens „Eine
       andere Frau“ (1988) und Jim Jarmuschs „Night on Earth“ (1991) abgesehen, in
       kaum einem Film mitspielte, der in die Kernzeit des Indie-Films nach dem
       New Hollywood fiel.
       
       In den 1980er und 90er Jahren arbeitete sie viel für das Fernsehen, doch in
       der Regel nicht mit bekannten Indie-Regisseuren. Im Kino wirkte sie in den
       1990er und 2000er Jahren vor allem in Filmen ihres Sohns Nick Cassavetes
       mit, der 1985 in die Fußstapfen seines Vaters zu treten begann.
       
       Eine schöne Hommage an sie und die 1970er Jahre ist der vorletzte Teil des
       Episodenfilms „Paris, je t’aime“ (2006). Eine Frau trifft sich mit ihrem
       Mann in einem Pariser Restaurant und dieser Mann ist Ben Gazzara, der in
       „Opening Night“ den Regisseur spielte und zu den Lieblingsschauspielern von
       Cassavetes zählte. Es ist, als treffe Gena Rowlands einen alten Freund
       wieder. Ihre Bedeutung nicht nur für das Independentkino, sondern den
       US-amerikanischen Film überhaupt wurde 2015 mit einem Ehrenoscar honoriert.
       Gena Rowlands wurde 94 Jahre alt.
       
       15 Aug 2024
       
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