URI: 
       # taz.de -- Medaillenspiegel Olympische Spiele: Das Goldlöckchenmodell
       
       > Normalerweise führt den Medaillenspiegel an, wer am meisten Goldmedaillen
       > hat. Eine andere Betrachtung ist möglicherweise fairer.
       
   IMG Bild: Eine der Schützinnen San Marinos bei den Spielen in Tokio 2021
       
       Heute zählen wir [1][Olympiamedaillen]. Das macht Spaß und hält jung.
       Sportpolitikerinnen und Sportfunktionäre machen das auch sehr gern,
       deswegen wirken sie so kregel. In der [2][DDR] zum Beispiel galt: Je mehr
       Olympiamedaillen man bei den Spielen einheimste, desto bedeutender war das
       Land. Und so kam es, dass die DDR nach den [3][Boykottspielen] von Moskau
       das zweitbedeutendste Land der Welt war – immerhin noch 9 Jahre lang. Heute
       ist [4][China] das bedeutendste Land der Welt, denn es hat in Paris genauso
       viele Goldmedaillen gewonnen wie die USA. Aber wenn man die besondere
       Gewichtung der Goldmedaillen beiseitelässt und alle Medaillen aufsummiert,
       dann sind die USA natürlich das bedeutendste Land der Welt: 126:91.
       
       Und Deutschland? Das ist in der normalen Abrechnung gerade so in die Top
       Ten der Plakettenprotzer gerutscht, also weniger bedeutend, aber es gibt ja
       noch diese eine Superduper-Rechnung des Deutschen Olympischen Sportbundes
       (DOSB), der Punkte bis Platz 8 vergibt, und mit dieser Extended Version
       wird Deutschland gleich viel bedeutender. Wir haben bis jetzt also die
       Überlegenheit Chinas, der USA und auch ein bisschen von Deutschland
       nachgewiesen, denn die hiesige Olympianation feiert vorbildlich einen
       siebten Platz wie einen zweiten – und wer vermag das schon?
       
       Jetzt werden wir die Überlegenheit einer anderen Nation nachweisen: San
       Marino, eine Enklave in Italien. Es hat eine Bevölkerung von etwa 33.000
       und gewann bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 drei Medaillen. In
       einer Medaillen-pro-Kopf-Rangliste war es eindeutig der Gewinner. Die USA
       belegten da den 59. Platz, China Platz 78. Es waren San Marinos Schützen,
       die das kleine Land so mächtig und bedeutend machten. Drei Jahre später
       wird nach dieser Rechnung die Karibik zum Zentrum der Welt, denn mit gleich
       drei Inseln – [5][Grenada, Dominikanische Republik und St. Lucia] –
       begründet sie ihre sportliche Suprematie. Sie wurzelt in den schnellen
       Läufen der Insulanerinnen und Insulaner.
       
       Aber nicht nur DDR, China, die USA, Deutschland, San Marino, Grenada, St.
       Lucia und Dominikanische Republik sind bzw. waren groß, nein, auch
       Australien tanzt mit im Reigen der echt bedeutenden Nationen, also nicht
       nur flächenmäßig. Und das liegt an zwei Herren, die gar nicht in Paris an
       den Start gingen, sondern nur ihre Erkenntnisse im [6][Journal of Sport
       Analytics] ausbreiteten, „Population-adjusted national rankings in the
       Olympics“, so der Titel. Offiziell nennen Robert Duncan und Andrew Parece
       ihre Methode also die „wahrscheinlichkeitsbereinigte nationale Rangliste“.
       Die [7][New York Times] bezeichnet sie aus naheliegenden Gründen als das
       „Duncan-Parece-Modell“. Der englische [8][Guardian] war kreativer:
       Goldilocks-Modell nennt er es, Goldlöckchenmodell, weil, so begründen die
       Engländer ihre Wahl, es ein Gleichgewicht in der Rangliste findet, das
       weder große noch kleine Länder begünstigt.
       
       Goldlöckchen ordnet die Länder danach ein, wie unwahrscheinlich ihre
       Medaillenzahlen wären, wenn alle Menschen in weltweit konkurrierenden
       Ländern die gleiche Neigung pro Kopf hätten, Medaillen zu gewinnen. Da die
       US-Bevölkerung beispielsweise etwa 13-mal größer ist als die von
       Australien, so wird erwartet, dass die USA bei den Spielen 13-mal mehr
       Medaillen gewinnt. Das Ergebnis: Hier rangieren die Aussies vor den
       Franzosen und Briten.
       
       Wir brauchen nicht zu erwähnen, in welchen Nationen welche Zählung
       bevorzugt wird. Und bestimmt gibt es bald schon eine neue Herangehensweise,
       die eine Beziehung zwischen Waldbestand und Medaillenausbeute,
       Alkoholkonsum und Medaillenausbeute oder Größenwachstum und
       Medaillenausbeute zurecht modelliert. Wir sind gespannt, bewundern aber bis
       dahin all diese bedeutenden Nationen.
       
       16 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Olympischer-Nationalismus/!6026790
   DIR [2] /Serie-zum-DDR-Sport/!t5620316
   DIR [3] /Olympiaboykott-1980-im-Rueckblick/!5184927
   DIR [4] /Olympische-Spiele-in-China/!5832352
   DIR [5] /Nationenwertung-bei-Olympia/!6026827
   DIR [6] https://www.iospress.com/news/journal-of-sports-analytics-researchers-unveil-groundbreaking-country-ranking-method-for-the-Olympic-Games
   DIR [7] https://www.nytimes.com/2024/07/22/opinion/paris-olympics-medals-winner.html
   DIR [8] https://www.theguardian.com/sport/article/2024/aug/10/paris-olympics-2024-how-does-medal-tally-work-order
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Olympyada-yada-yada
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Sport
   DIR Kolumne Olympyada-yada-yada
   DIR Kolumne Press-Schlag
   DIR Kolumne Eingelocht
   DIR Imane Khelif
   DIR Kolumne Helden der Bewegung
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Olympische Medaillen von Paris: Wenn Gold zu Rost wird
       
       Schon wenige Wochen nach Olympia in Paris zeigen sich die ersten
       Rostflecken auf den Medaillen. Die billigen Ersatzlösungen taugen eben
       nichts.
       
   DIR Mitgliederboom in Sportvereinen: Fein im Verein
       
       Nach dem Coronatrauma stürmen die Menschen förmlich die Sportvereine. Der
       Sportbund vermeldet Rekordzahlen. Über 28 Millionen sind es bereits.
       
   DIR Golf und Olympia: Eine neue Generation Golf
       
       Lange hielten sich Golfprofis von der Olympiausgabe ihres Sports fern. Seit
       den Spielen in Paris ist das anders – Golf entwickelt sich.
       
   DIR Boxerin Imane Khelif klagt: Eine kräftige Gerade
       
       Die Boxerin Imane Khelif hat Klage eingereicht gegen Elon Musks Plattform X
       – und gegen User:innen, die dort gehetzt und gelogen haben. Gut so!
       
   DIR Handball bei Olympia: Stimmt. Scheiße. Sport ist Ibsen
       
       Das DHB-Team um Alfreð Gíslason konnte in Paris zeigen, was diesen Sport so
       einzigartig macht. Und was Fußball längst verloren hat.
       
   DIR Bilanz der Olympischen Spiele in Paris: Sonne und Skandale
       
       Die Sommerspiele waren faszinierend: Geopolitische Konflikte konnten
       überspielt werden, Kulturkämpfe über den Frauensport nicht.