URI: 
       # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Venezuela: Von Chávez bis Maduro
       
       > Trotz Protesten klammert sich der venezolanische Herrscher Nicolás Maduro
       > an die Macht. Doch wie kam er eigentlich dort hin? Und wie geht es
       > weiter?
       
   IMG Bild: Ehrengarde des Präsidenten von Venezuela wacht über Maduros Ansprache am Wahltag
       
       Berlin taz | Die US-Regierung von Präsident Joe Biden hat den
       venezolanischen Oppositionskandidaten Edmundo González am Donnerstag als
       Sieger der Präsidentschaftswahl anerkannt. Anders sieht das der Nationale
       Wahlrat (CNE). Er hatte Amtsinhaber Nicolás Maduro in der Nacht auf Montag
       zum Sieger erklärt – allerdings auf Grundlage fragwürdiger Zahlen, was in
       Venezuela Proteste auslöste.
       
       Transparente Wahlergebnisse hat der CNE auch fünf Tage nach der Wahl nicht
       veröffentlicht. Laut Opposition, die in nahezu jedem Wahllokal mit
       Zeug:innen anwesend war, holte González etwa 70 Prozent der Stimmen. Das
       Oberste Gericht soll nun die Ergebnisse überprüfen. Es ist allerdings
       regierungsnah besetzt. Angesichts eines drohenden Machtverlusts wird sich
       die Regierung wohl noch mehr verbarrikadieren und versuchen, die Situation
       auszusitzen.
       
       Dabei galt der Chavismus nach dem erstmaligen Wahlsieg von Hugo Chávez 1998
       als hoffnungsvolles linkes Projekt. Dem diskreditierten Parteiensystem
       setzte er eine „partizipative und protagonistische Demokratie“ entgegen:
       Der Staat würde die Menschen ermächtigen, selbst politisch aktiv zu werden.
       
       Auf der anderen Seite stand damals auch die heutige Oppositionsführerin und
       rechte Hardlinerin María Corina Machado, die bei der diesjährigen Wahl
       nicht antreten durfte. 2002 unterstützte sie einen kurzzeitigen Putsch
       gegen Chávez. Als Chávez 2004 ein Abberufungsreferendum gewann, warf
       Machado ihm Wahlbetrug vor – allerdings ohne jegliche Belege. Die ärmere
       [1][Bevölkerungsmehrheit verteidigte Chávez zwischen 2002 und 2004]
       entschieden gegen die Umsturzversuche.
       
       ## Umfassende Sozialprogramme
       
       Mit dem beginnenden Erdölboom 2003 legte die Regierung an den
       traditionellen Institutionen vorbei umfassende Sozialprogramme (misiones)
       auf. Zudem enteignete sie Agrarland und förderte alternative
       Unternehmensformen wie Kooperativen oder Arbeitermitverwaltung in
       Betrieben. 2005 erklärte Chávez einen nur vage definierten „Sozialismus des
       21. Jahrhunderts“ zum Ziel und gewann die Präsidentschaftswahl im Folgejahr
       deutlich.
       
       2007 scheiterte eine sozialistische Verfassungsreform per Referendum knapp.
       Dennoch baute die Regierung die wirtschaftliche Rolle des Staates aus. Der
       Erdölboom ermöglichte es, die staatlichen Ausgaben schier unbegrenzt zu
       erhöhen. Die Devisenschwemme förderte jedoch Korruption und Missmanagement
       auf allen Ebenen, in die Erdölindustrie wurde kaum noch investiert.
       
       Innerhalb der chavistischen Bewegung bestand stets ein Spannungsfeld
       zwischen autoritären Ansätzen von oben und demokratisierenden Einflüssen
       von unten. Chávez verkörperte beide Ansätze gleichermaßen, die in einem
       teils produktiven, teils konfrontativen Verhältnis zueinander standen. Die
       Rolle des starken Präsidenten schwächte aber die – häufig korrumpierten –
       Institutionen, ohne ausreichende Kontrollfunktionen zu etablieren.
       
       ## Undemokratische Manöver
       
       Wenngleich alle Abstimmungen der Chávez-Ära transparent abliefen, ging die
       Regierung nach 2006 teilweise dazu über, oppositionelle Fortschritte durch
       undemokratische Manöver auszubremsen. Dazu zählten etwa die Verwendung
       staatlicher Ressourcen für Wahlkämpfe, willkürliche Regeländerungen oder
       als Verwaltungsakt verhängte Antrittsverbote gegen einzelne
       Politiker:innen.
       
       Nach Chávez' Tod 2013 hatte Maduro die Präsidentschaftswahl als dessen
       Wunschnachfolger nur knapp gewonnen. Ohne das Charisma seines Vorgängers
       und unter widrigen wirtschaftlichen sowie außenpolitischen Bedingungen
       geriet der Chavismus in eine schwere Krise.
       
       Ab 2014 brachen zuerst die Erdölpreise und anschließend praktisch alle
       wirtschaftlichen Indikatoren ein. Angesichts eines drohenden Machtverlustes
       schmiss die Regierung zentrale Pfeiler des chavistischen Projektes über
       Bord, schränkte sowohl liberal- als auch basisdemokratische Rechte ein und
       ging repressiv gegen Kritiker:innen vor.
       
       Gleichzeitig gewann innerhalb der rechten Opposition der offen
       konfrontative Flügel die Oberhand, den neben Leopoldo López auch Machado
       repräsentierte. Bei mehrmonatigen Protesten 2014 und 2017 kam es auf beiden
       Seiten zu Gewalt: fast 200 Menschen starben. Nach der von der Opposition
       teilweise boykottierten Präsidentschaftswahl im Mai 2018 eskalierte der
       Konflikt weiter. Im Januar 2019 erklärte sich der Parlamentsvorsitzende
       Juan Guaidó mit US-Unterstützung erfolglos zum Interimspräsidenten.
       
       Die US-Sanktionen, die Donald Trump ab 2017 auf den Erdöl- und Finanzsektor
       ausweitete, verschärften die Krise, verfehlten aber ihr Ziel eines regime
       change. Mithilfe einer gespaltenen Opposition, einer Kern-Anhängerschaft,
       dem Militär und internationaler Partner wie Russland, China und Iran konnte
       sich Maduro im Amt halten.
       
       Im Zuge des Machtkampfs und der Sanktionen änderte er aber die
       Wirtschaftspolitik. Durch die Legalisierung des US-Dollar als
       Zahlungsmittel und die Abschaffung von Preiskontrollen entspannte sich die
       Versorgungslage ab 2019 zwar. Die soziale Ungleichheit nahm jedoch deutlich
       zu, die Löhne sind extrem niedrig. Mittlerweile vertraut die Regierung vor
       allem auf ihr nahe stehende Privatunternehmer und kooptierte
       Basisorganisationen, die [2][lediglich Entscheidungen der Regierungspartei
       umsetzen].
       
       ## Kein linkes Projekt mehr
       
       Trotz eines teils weiterhin chavistischen Diskurses steht Maduro heute
       somit [3][kaum mehr für ein linkes politisches Projekt], sondern warnt in
       erster Linie vor einer Machtübernahme der rechten Opposition. Dieser gelang
       es dieses Jahr trotz widriger Bedingungen jedoch, sich hinter der
       Kandidatur von Edmundo González zu versammeln, dem Ersatzkandidaten für
       Machado.
       
       Auch da Maduro und andere chavistische Spitzenfunktionär:innen zu
       viel zu verlieren haben, werden sie kaum freiwillig das Feld räumen.
       Innerhalb der Opposition gibt es revanchistische Strömungen, die eher auf
       Rache als auf Versöhnung setzen.
       
       Die US-Behörden haben ihrerseits immer noch ein Kopfgeld von 15 Millionen
       US-Dollar für die Ergreifung Maduros ausgesetzt. Kolumbiens Präsident
       Gustavo Petro hatte deshalb bereits vor Monaten vorgeschlagen, die
       juristische Verfolgung der Wahlverlierer gegenseitig auszuschließen.
       
       Die heutigen linken Regierungen Lateinamerikas treten dabei anders als zu
       Chávez' Zeiten nicht mehr als ein gemeinsamer Block auf. Während Kuba,
       Nicaragua, Honduras und Bolivien weiter eng an der Seite Maduros stehen,
       fordert neben Brasilien, Kolumbien und Mexiko auch Chile eine transparente
       Offenlegung der Wahlergebnisse.
       
       Kolumbiens Präsident Gustavo Petro und der brasilianische Staatschef Luiz
       Inácio „Lula“ da Silva zählen zu den wenigen internationalen Akteuren, die
       in der momentanen Lage positiv auf die Lage einzuwirken könnten. Dass die
       US-Regierung nun einen Wahlsieg der Opposition anerkennt, konterkariert
       allerdings diplomatische Bemühungen, die Krise ohne weitere Eskalation zu
       lösen.
       
       2 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Venezuela-nach-der-Wahl/!6024037
   DIR [2] /Folgen-der-Wahl-in-Venezuela/!6027457
   DIR [3] /Nach-der-Wahl-in-Venezuela/!6027440
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Lambert
       
       ## TAGS
       
   DIR Venezuela
   DIR Hugo Chavez
   DIR Nicolás Maduro
   DIR Lateinamerika
   DIR Venezuela
   DIR Venezuela
   DIR Maduro
   DIR Venezuela
   DIR Venezuela
   DIR Venezuela
   DIR Venezuela
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wer ist die Friedensbobelpreisträgerin?: María Corina Machado, die Anti-Maduro
       
       Der Friedensnobelpreis 2025 geht an die venezolanische Politikerin María
       Corina Machado. Anlässlich anhaltender Proteste erschien ein Portrait in
       der taz.
       
   DIR Parlamentswahl in Venezuela: Alles bleibt wie es ist – egal, was die Ergebnisse sagen
       
       Mit einer angeblichen Wahlbeteiligung von 42 Prozent heimst die
       Regierungspartei wieder einmal den Sieg ein. Es gibt Zweifel an der
       Glaubwürdigkeit.
       
   DIR Venezuelas „Linke“: Maduros Wahlfarce
       
       Lateinamerikas Progressive tun sich schwer damit, den Wahlbetrug in
       Venezuela zu verurteilen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechten.
       
   DIR Proteste in Venezuela: 2.000 Festnahmen, 20 Tote
       
       Tausende Menschen demonstrieren gegen den Wahlbetrug von Präsident Maduro.
       Oppositionsführerin María Corina Machado ruft dazu auf, nicht nachzulassen.
       
   DIR Folgen der Wahl in Venezuela: Botschaftsflüchtlinge im Dunkeln
       
       Venezuela schließt die argentinische Botschaft in Caracas. Wie es mit den
       Oppositionellen weitergeht, die dort Asyl gefunden haben, ist ungewiss.
       
   DIR Nach der Wahl in Venezuela: Aufruf zur digitalen Denunziation
       
       Venezuelas Regierung hat die Zweifel am Wahlsieg Nicolás Maduros bislang
       nicht ausräumen können, geht aber verschärft gegen die Opposition vor.
       
   DIR Venezuela nach der Wahl: Mobilisierung auf allen Seiten
       
       Seit sich Venezuelas Präsident Maduro mit zweifelhaften Daten zum
       Wahlsieger erklärt hat, wächst die Wut. Auf den Straßen drohen
       Konfrontationen.