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       # taz.de -- Gesundheitsgefahren auf dem Bau: Die Hitze kommt von allen Seiten
       
       > Extrem heiße Tage verschärfen die Gesundheitsrisiken der Beschäftigten
       > auf dem Bau. Hautkrebs ist die zweithäufigste Berufskrankheit.
       
   IMG Bild: Hoffentlich gut eingecremt: Für Bauarbeiter steigen durch die Klimakrise die Gesundheitsrisiken
       
       Berlin taz | Das Auto von Tobias Henke zeigt schon um 9.30 Uhr 30 Grad
       Außentemperatur an. Er fährt bei klimatisierten 20 Grad durch den Südosten
       Berlins. In der Nähe einer Baustelle in Berlin-Treptow hält er an, öffnet
       den Kofferraum, tauscht seine weißen Sneakers gegen Arbeitsschuhe und zieht
       Warnweste und Helm über. Dann greift er Sonnenschutzpakete und
       Informationsflyer und steuert zielstrebig auf die Baustelle zu.
       
       Henke besucht als Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft
       Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) regelmäßig Baustellen, um Kontakte zu
       Arbeiter*innen zu knüpfen und sich nach ihren Arbeitsbedingungen zu
       erkundigen. Im Sommer spielt die Hitze eine große Rolle: Viele Bauarbeiten
       finden im Freien statt, häufig ohne jeglichen Schatten.
       
       Während Büros schon Lufttemperaturen von 26 Grad nicht überschreiten
       sollten, gibt es für die Arbeit im Freien keine Temperaturbegrenzung. Die
       zunehmenden Hitzetage [1][durch die Klimakrise] vergrößern das Problem:
       „Bauarbeiter gehören neben Landwirtinnen zu den Berufsgruppen, die bei
       ihrer Tätigkeit am stärksten von der Erderwärmung betroffen sind“, schreibt
       der Soziologe Simon Schaupp in seinem Buch „Stoffwechselpolitik. Arbeit,
       Natur und Zukunft des Planeten“.
       
       In seiner Arbeitsschutzkleidung macht Tobias Henke sich nun auf die Suche
       nach dem Polier, dem Vorgesetzten auf der Baustelle. Im Schatten zwischen
       Bäumen und Baucontainern findet er den tiefbraun gebrannten Mann. Dieser
       sieht keine allzu großen Probleme mit der Hitze: „Wir springen von Schatten
       zu Schatten und machen vielleicht ein bisschen mehr Pause“, sagt er
       trocken.
       
       Normalerweise würden sie im Kanalbau unter der Erde arbeiten, da sei es
       immer warm und windstill. Er spürt aber im Vergleich zu früheren Jahren die
       Wetterextreme: „Mittlerweile könnten wir den einen Tag in Badehose und den
       nächsten Tag in Winterjacke arbeiten.“ Sonnenschutzpakete lehnt der Polier
       ab – Sonnencreme würde die Firma stellen. Wasser und Eis könne er bei Hitze
       für seine Mitarbeiter kaufen und der Firma in Rechnung stellen, berichtet
       er.
       
       „So etwas ist typisch“, sagt Henke nach der Begegnung im Auto. „Dass der
       Polier sagt ‚brauchen wir nicht, wir haben ja alles‘. Aber zumindest haben
       mir die Bauarbeiter vorher dasselbe erzählt.“ [2][Der IG BAU zufolge müssen
       die Arbeitgeber*innen die Kosten für Sonnencreme von
       Arbeitgeber*innen übernehmen und Trinkwasser zur Verfügung stellen.]
       Doch das Arbeitsschutzrecht ist pauschal formuliert und die Gewerkschaft
       weiß, dass es kaum überprüft wird und viele Unternehmen es mit diesen
       Maßnahmen nicht so genau nehmen.
       
       ## Mangelnder Hitzeschutz
       
       So auch auf der nächsten Baustelle, die Henke besucht: Hier wird die Straße
       ausgebessert. Neue Markierungen werden eingebaut, Schatten gibt es nicht.
       Der flüssige Asphalt kommt normalerweise mit einer Temperatur von 160 Grad
       auf die Baustelle.
       
       Einer von vier Arbeitern schaut interessiert auf, als der
       Gewerkschaftssekretär ankommt. Er beschwert sich über niedrigen Lohn,
       mangelnden Betriebsrat und Hitzeschutz. „Aber du cremst dich ein, oder?“,
       hakt Henke nach. Er verbindet die Verteilung der Sonnenschutzpakete mit der
       Aufklärung über Arbeitsschutz.
       
       Die Bauarbeiter*innen sollten genügend trinken, sich so gut wie
       möglich vor der Sonne schützen und [3][auf Anzeichen wie Schwindel achten].
       „Ja, ja“, sagt der Arbeiter. „Ich weiß ja mit dem Hautkrebs – wir sollen
       Sonnencreme, Sonnenbrille und am besten einen Hut tragen. Aber das geht
       schon beim Eincremen los – wir arbeiten hier mit Sand und wenn ich mich
       eincreme, habe ich den überall kleben.“ Er ist ebenfalls tiefbraun gebrannt
       und trägt eine kurze Zimmermannshose. „Auch das geht ja eigentlich nicht“,
       sagt er mit Blick auf die Hose. „Aber wie sollen wir das sonst hier
       aushalten?“ Währenddessen arbeiten die drei anderen unbeeindruckt weiter.
       
       „Manchmal muss man die Leute auch einfach sich auskotzen lassen“, sagt
       Henke später im Auto. Er kennt die Schwierigkeiten: Baufirmen würden
       Subunternehmen aufmachen, um die Bildung von Betriebsräten zu erschweren
       und die härtesten Arbeiten würden meist von Menschen aus dem Ausland
       gemacht. Und die Prekarität hat Auswirkungen auf den Hitzeschutz: [4][In
       einer australischen Studie stellen Forscherinnen fest], dass die Klimakrise
       zwar Risiken für alle der Hitze ausgesetzten Arbeiter*innen hat, der
       Arbeitsstatus aber beeinflusst, wie sehr sie für sich sorgen und bessere
       Arbeitsbedingungen fordern können.
       
       Eine Frau, die bei einer anderen Baustelle für Arbeitsschutz angestellt
       ist, erzählt, dass es zwar Videos und Piktogramme zur Arbeitssicherheit in
       mehreren Sprachen gäbe. Sie sei aber für die Einweisung dieser
       Arbeiter*innen nicht zuständig und erlebe häufig, dass ausländische
       Beschäftigte sich weniger vor der Sonne schützen würden.
       
       Um 10.50 Uhr ziehen dunkle Gewitterwolken auf. An der nächsten Baustelle
       raucht ein etwa 24-Jähriger blasser Mann im Muskelshirt über der
       aufgerissenen Straße. Nach der Hitze gefragt sagt er, dass jeder eben so
       arbeiten würde, wie er kann. Und wenn weniger geht, „dann gibt’s zwar 'nen
       dummen Spruch, aber dann kann er halt nicht mehr“, sagt er.
       
       ## Hohes Hautkrebsrisiko
       
       Generell liegt beim Hitzeschutz viel im eigenen Ermessen der
       Arbeiter*innen. Mangelnder Schutz führt bei Bauarbeiter*innen zu
       lebensbedrohlichen Gefahren: Hitzschlag kann zu Multiorganversagen führen;
       Schwindel oder verlangsamte Reaktionsfähigkeit erhöhen das Unfall- und
       Sonnenbrand das Hautkrebsrisiko. Im letzten Jahr war Hautkrebs mit knapp
       3.000 gemeldeten [5][Verdachtsfällen bei der Berufsgenossenschaft der
       Bauwirtschaft (BG Bau) nach Lärmschwerhörigkeit die zweithäufigste
       Berufskrankheit].
       
       Auch der Mann im Muskelshirt hatte schon damit zu tun: „Ich hatte am Rücken
       eine Stelle, da hat der Hautarzt gesagt, wenn ich ein halbes Jahr später
       gekommen wäre, hätten wir uns in der Radiologie wiedergesehen.“ Auch dafür,
       dass er sich mit seiner blassen Haut häufiger eincremt, müsse er sich den
       ein oder anderen Spruch anhören. Für ihn ist das normal: „Wir sind hier ja
       nicht im Gartenbau oder beim Friseur“, sagt er.
       
       Auf der Fahrt zu einer Großbaustelle an einem Klärwerk ist das aufziehende
       Gewitter abgeregnet und die Temperaturen sind auf 20 Grad gesunken. Der
       Polier der dortigen Arbeiter beim Fertigbau sagt, dass die Arbeit jetzt
       schneller voranginge. Auch seine Arbeiter sollten bei Hitze selbst auf sich
       achten: „Wenn’s anfängt im Köpfchen zu leiern, musst du dich halt
       hinsetzen“, sagt Mann aus Sachsen. Er gibt ihnen aber eine Stunde früher
       frei, wenn es zu heiß ist. Und macht ihnen keinen Druck, wenn an einem
       heißen Tag nur 12 statt der üblichen 15 Fertigbauteile aufgebaut werden.
       
       Bei anderen Witterungsbedingungen wie bei Gewitter oder bei Frost im Winter
       ist eindeutig, dass nicht gearbeitet werden kann. Deshalb gibt es das
       Winter-Kurzarbeitergeld für Bauarbeiter. Weil die Klimakrise jedoch
       insgesamt zu mehr Extremwettern und zu mehr Hitze im Sommer führt, will die
       BG BAU jetzt ein ganzjähriges Klima-Kurzarbeitergeld durchsetzen.
       
       Der Polier aus Sachsen begrüßt den Vorschlag und vergleicht seine
       Arbeitsbedingungen mit denen im Büro. „Bei uns macht keener selbst bei 38
       Grad Feierabend“, sagt er. „Aber was willste hier bei der Hitze? Da gehste
       ja kaputt!“
       
       Dieser Text ist Teil eines Rechercheprojekts zu Klimawandel und Gesundheit,
       das von der taz Panter Stiftung unterstützt wird.
       
       19 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /taz-Datenprojekt-zum-Klimaschutz/!5898240
   DIR [2] https://igbau.de/Hitze-Was-tun-wenn-s-brennt.html
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=ed05y25LZX4
   DIR [4] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0896920519880951?journalCode=crsb
   DIR [5] https://www.bgbau.de/?storage=2&identifier=%2F780279&eID=sixomc_filecontent&hmac=1590260da54b6b3142971d61ced3cf522e029058
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jelena Malkowski
       
       ## TAGS
       
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   DIR Abriss
       
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