URI: 
       # taz.de -- Zum Abschied Afro-Pop: Alte Frauen tanzen für sich
       
       > Im Alter wiederholt sich viel. Das ist nicht schlimm, aber manchmal
       > braucht es Neues. Deswegen tanzt unsere Kolumnistin auf einem
       > Afro-Pop-Konzert.
       
   IMG Bild: Ältere Frauen tanzen für sich, die wollen niemanden mehr beeindrucken
       
       Dies ist meine letzte Kolumne der Serie „In Rente“, die ich nach zwei
       Jahren aus freien Stücken beende, weil ich Sorge habe, dass ich mich
       wiederholen könnte. Wobei sich wiederholen ja nicht immer schlecht ist.
       Meine Freundin Chrissy, 74, zum Beispiel erzählt immer wieder die gleichen
       Geschichten von früher, wenn wir beim immer selben Iraner das immer gleiche
       Gericht, Reis mit Kartoffelscheiben, verspeisen.
       
       Chrissy schmückt die Geschichten manchmal etwas aus. Ob es sich um die
       Geschichte handelt, wie ihr Labrador ins Eis einbrach und von ihr gerettet
       wurde, um die Geschichte, als Chrissys Freundin S. ihr [1][Domina]studio
       auflöste und Martin dann die Ketten mitnahm, die er für seine Autowerkstatt
       gut gebrauchen konnte, wobei Martin mit der Reparatur des Lada Niva von
       Chrissy später gute Arbeit leistete. Ja, der Lada, das waren noch Zeiten,
       als wir mit dem Lada zu F.s [2][Reiterhof] fuhren, diese Schlammwege!
       Einmal blieben wir fast im Morast stecken. Aber ein Vierradantrieb kann
       hilfreich sein im Leben.
       
       Die immer gleichen Geschichten zu hören, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit
       und Geborgenheit, denn die Zeit läuft uns davon. Ich bin froh, dass
       Chrissy es trotz ihrer schweren Krankheit noch schafft, zum Essen beim
       Iraner zu kommen. Ich liebe ihre Wiederholungen. Aber eben nicht nur.
       Manche Dinge ändern sich noch und das ist gut. Und damit bin ich beim
       Open-Air-Konzert neulich und den tanzenden alten Frauen.
       
       Beim Umsonst-und-draußen-Konzert im Humboldt Forum spielte und sang
       [3][Steve Mekoudja] aus Kamerun. Es war noch früh, hell und warm, ideal für
       uns Alte. 60-jährige, 70-jährige weiße Frauen stehen in weiten
       Sommerkleidern oder Jeans und Seidenblusen vor der Bühne und wiegen sich
       zum [4][Afro-Pop]. „Himmel, so viele alte Frauen“, sagt Freundin Hille. Es
       stimmt, früher tanzten 40- oder 50-jährige Frauen und erschienen mir „alt“.
       Jetzt aber sind sie 60 und 70 und machen immer noch mit.
       
       ## Die Frauen wollen niemanden mehr beeindrucken
       
       Ein paar alte weiße Männer mit spärlichem Haupthaar und Bauch stehen am
       Rand. Sie haben freundliche Gesichter, „Mitgeh-Männer“, denke ich. Aber ich
       glaube, die Männer würden sich lieber totschießen lassen, als sich
       einzureihen in die Gruppe der tanzenden alten Frauen.
       
       Zugegeben, ich spüre bei mir auch eine Spur von Abwehr, die sich manchmal
       einstellt, wenn ich bei einem Event fast nur noch alte Leute sehe. Dieses
       Gefühl ist ja eigentlich eine Form von Selbstablehnung. Auch [5][mein
       Körper verwandelt sich] in eine Art Landschaft mit hügeliger Oberfläche auf
       den Oberschenkeln und Pergamenthaut auf den Armen. Der Gedanke, eine Art
       Landschaft zu werden, beruhigt mich übrigens in gewisser Weise.
       
       „Eigentlich ist es doch toll, dass die alten Frauen tanzen“, sagt Hille,
       „ich glaube, die tanzen nur für sich, nicht für irgendjemand anderes.“ Das
       stimmt. Der Discotanz früher war anders. Ich wollte damals auch ein
       bisschen Eindruck schinden. Die Frauen hier aber wollen niemanden mehr
       beeindrucken. Die wollen Spaß haben. Ich wippe ein bisschen mit.
       
       Ich muss das alles Chrissy erzählen, beim nächsten Essen. 70-jährige
       Frauen, die zum Afro-Pop tanzen, ganz für sich, für die Musik, ist das
       nicht ein Fortschritt? Dann höre ich mir wieder ihre alte Geschichte an mit
       dem Lada im Schlamm. Das Alte ist erinnerungswürdig. Aber irgendwas Neues
       gibt es immer. Machen Sie’s gut.
       
       19 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Domina-gibt-Auskunft/!155961/
   DIR [2] /Ferien-auf-dem-Ponyhof/!6028050
   DIR [3] https://www.humboldtforum.org/en/programm/termin/concert/steve-mekoudja-131194/
   DIR [4] /Schwarze-Musikerin-ueber-Musikmarkt/!5782455
   DIR [5] /Bodypositivity-statt-Ageism/!5940078
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
   DIR Altern
   DIR Kolumne In Rente
   DIR Rente
   DIR Afrikanische Musik
   DIR Tanz
   DIR Social-Auswahl
   DIR Kolumne In Rente
   DIR Kolumne In Rente
   DIR Großeltern
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wählen im Alter: Gisela findet die AfD nicht schlimm
       
       Was tun, wenn alte Bekannte auf einmal einem selbst verhasste Parteien
       wählen? Unsere Kolumnistin versucht cool zu bleiben.
       
   DIR Alleine verreisen: Das Geheimnis der einsamen Frauen
       
       Um eine Reisegefährtin zu finden, traf ich mich mit zwölf Frauen, die ich
       über Facebook kennengelernt hatte. Und lernte etwas über Kompromisse.
       
   DIR Comeback der Oma: Sie ist endlich wieder da
       
       „Omas gegen Rechts“, „Omas for Future“, „Granfluencer“: Die Oma wird
       endlich nicht mehr nur auf dicke Strumpfhosen und bequeme Schuhe reduziert.