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       # taz.de -- Jubiläum 100 Jahre Rote Hilfe: Linke Kampforganisation mit Zulauf
       
       > Die Rote Hilfe unterstützt linke Aktivist*innen vor Gericht. 100
       > Jahre nach der Gründung freut sich der Verein über steigende
       > Mitgliederzahlen.
       
   IMG Bild: Plakate mit dem Aufruf „Tretet ein in die Rote Hilfe“ bei einer Mai-Feier der KPD 1926 in Berlin
       
       BERLIN taz | Es war eine anpackende, praktische Antwort auf teils
       lebensbedrohliche Repressionen gegen linke, politisch aktive
       Arbeiter*innen, aus der heraus sich vor 100 Jahren die Rote Hilfe gründete.
       Damals, im Oktober 1924, entstand sie zunächst als Rote Hilfe Deutschland
       (RHD).
       
       Zuvor hatten sich 1921 bereits in Berlin und anderen Städten
       Rote-Hilfe-Komitees zusammengefunden. Ihr Ziel war es, linke,
       proletarische, politische Gefangene zu unterstützen, mit Rechtsbeistand
       einerseits und mit Essen, Kleidung und Paketen ins Gefängnis andererseits.
       Auch wurden Familienmitglieder von Häftlingen beraten und mit
       Lebenswichtigem versorgt und wurden deren Kinder betreut, um die Not der
       Angehörigen zu mildern. Untergetauchten bot die Organisation Unterschlupf.
       
       Die Rote Hilfe sah sich als Kampf- und Solidaritätsorganisation, die alle
       „Werktätigen“ schützt, hilft und verteidigt, die „im Klassenkampf Opfer der
       bürgerlichen Justiz oder des kapitalistischen Terrors“ wurden. In der
       Gründungszeit waren die meisten der Unterstützten Mitglieder der
       Kommunistischen Partei (KPD). Doch der Aufruf: „Bildet Rote Hilfe“ war
       schon von Beginn an parteiübergreifend gemeint und schloss Gefangene und
       Verfolgte etwa der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei oder Parteilose
       mit ein. Sie wurde zu einer der größten proletarischen Massenorganisationen
       der Weimarer Republik.
       
       ## Übernahme von Gerichtskosten
       
       Eine Massenorganisation ist sie heute im Jahr ihres 100. Geburtstags, der
       an diesem Wochenende in Berlin begangen wird, nicht mehr – aber eine
       Solidaritätsorganisation mit dem [1][Anspruch, dass sich
       Antifaschist*innen und Aktivist*innen auf sie verlassen können].
       Unabhängig von einer eigenen Mitgliedschaft können sich Menschen, die
       aufgrund ihrer linken, politischen Tätigkeit angeklagt werden, an sie
       wenden. Die Rote Hilfe vermittelt Anwälte, unterstützt in Verfahren und
       übernimmt anfallende Kosten. Das können Verfahren wegen Sitzblockaden sein,
       es kann das Verteilen von Flugblättern betreffen oder Widerstand gegen
       Polizeibeamte bis zum Angriff auf Faschist*innen.
       
       „Wir befinden uns in einer Zeit des voranschreitenden Rechtsrucks und
       Repressionen“, sagt Henning von Stoltzenberg von der Roten Hilfe der taz.
       Das Konzept kommt an in einer insgesamt kriselnden radikalen Linken.
       Bundesweit gibt es einen starken Zulauf an Mitgliedern, manchmal auch
       regelrechte Eintrittswellen, wie etwa nach G20 in Hamburg oder [2][2018,
       als ein Verbot des Vereins im Raum] stand. „Immer dann, wenn uns von
       staatlicher Seite öffentlich gedroht wird sehen wir, dass viele neu
       eintreten“, sagt von Stoltzenberg.
       
       Die Rote Hilfe habe sich zur „mit Abstand größten linksextremistischen
       Organisation der Stadt“ entwickelt, so steht es im Berliner
       Verfassungsschutzbericht. Die angegebenen 2.500 Vereinsmitglieder werden
       allesamt der linksextremen Szene zugerechnet, die damit trotz des
       tatsächlichen Rückgangs autonomer oder anarchistischer Aktivist*innen
       in ihrer angegeben Stärke etwa konstant bleibt. „Der sogenannte
       Verfassungsschutz, also der Inlandsgeheimdienst, der hinkt mit seinen
       Zahlen immer etwas hinterher“, sagt Henning von Stoltzenberg. Bundesweit
       zählt die Organisation heute etwa 15.000 Mitglieder, doppelt so viel wie
       noch vor zehn Jahren.
       
       ## Verteidigung von Grundrechten
       
       Von Stoltzenberg verwehrt sich dagegen, dass die Rote Hilfe als
       extremistisch dargestellt wird. „Wir sind diejenigen, die die Grundrechte
       und die Pressefreiheit vertreten“, sagt er. Das zeige sich auch daran, wie
       breit das Spektrum an Mitgliedern sei. „Von der Antifa über die
       Klimabewegung, Gewerkschaften, politische Parteien und feministische
       Gruppen sind wir sehr breit aufgestellt“, sagt er, „strömungsübergreifend“
       nennt die Organisation das. Das war Mitte der 1970er Jahre nach
       Wiedergründung noch anders: Damals bewegte man sich vor allem im Umfeld von
       Stadtguerilla und RAF. Bei der [3][Gala zur 100-Jahr-Feier im Februar in
       Hamburg] fand sich die Humanistische Union genauso selbstverständlich ein
       wie die DKP.
       
       Im Fokus der Vereinsarbeit steht momentan die Repression gegen die Antifa
       Ost, also jene, die sich auch militant gegen Neonazis zur Wehr setzen,
       gegen die Klimabewegung und migrantische Organisationen. „Aktuell fordern
       wir, dass Maja T. schnellstmöglich aus der Haft in Ungarn entlassen wird“,
       sagt von Stoltzenberg. T. war im Juni nach Ungarn ausgeliefert worden und
       soll sich dort einem Verfahren wegen Angriffen auf Teilnehmer des
       faschistischen „Tag der Ehre“ verantworten.
       
       Ein wichtiges Thema für die Rote Hilfe ist die „kurdische
       Freiheitsbewegung“. Aktuell sitzen zehn kurdische Politiker „als sogenannte
       Terroristen“ in Gefängnissen, sagt von Stoltzenberg. „Wir betreuen Fälle,
       in denen Kurd*innen nach Deutschland ausgeliefert werden, damit ihnen
       hier der Prozess gemacht wird, meist wegen Verstoß gegen den Paragraf 129b,
       also der Bildung einer terroristischen Organisation im Ausland“, sagt er.
       Das geschehe „im Sinne der türkischen Regierung“.
       
       ## Mitglieder unter Druck
       
       Schon in den Anfangsjahren waren die Komitees und Gruppen staatlicher
       Repression ausgesetzt. Bei Durchsuchungen gefundene Materialien konnten
       ihre Besitzer belasten. Unter Druck geraten Mitglieder weiterhin: 2007 gab
       die damals 27-jährige, [4][frisch zur Juso-Chefin gewählte Franziska
       Drohsel ihre Mitgliedschaft im Verein Rote Hilfe auf]. Konservative
       Abgeordnete hatten ihren Rücktritt gefordert. Die Jusos sollten „mit
       politischen Positionen und nicht mit Vereinsmitgliedschaften“ in der
       Debatte sein, sagte sie damals der taz. Sie teile jedoch weiter das
       Grundanliegen des Vereins.
       
       Und das geht in seinen Ideen einer solidarischen Hilfe für Betroffene von
       politischer Repression über eine Rechtsschutzversicherung für
       Aktivist*innen hinaus: „Die Rote Hilfe ist keine karitative
       Einrichtung“, soll die Frauenrechtlerin und Rote-Hilfe-Leiterin Clara
       Zetkin gesagt haben, um deren kämpferischen Anspruch zu betonen.
       
       23 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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