URI: 
       # taz.de -- Kriminalität in Niedersachsen: Die Clans sind immer und überall
       
       > Über den Begriff Clan-Kriminalität ist viel gestritten worden.
       > Niedersachsen versucht dem zu begegnen – mit bemerkenswerten Unschärfen.
       
   IMG Bild: Da rückt die Polizei mit großem Besteck an: Ermittlungen gegen die sogenannte Clan-Kriminalität, hier in Stade
       
       Hannover taz | Es ist das vierte Mal, dass in Niedersachsen das Lagebild
       Clankriminalität vorgestellt wird. Und es sieht ein bisschen so aus, als
       würde die Abwehr der Kritik an dem Begriff immer mehr Raum einnehmen.
       
       Im vergangenen Jahr war die besonders laut, weil das Lagebild unter anderem
       eine Großfamilie umfasste, die deutlich als Roma markiert wurde und deren
       Kinder durch Ladendiebstähle und Schulschwänzereien auffällig geworden
       waren. Das rief den Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma auf den Plan,
       der darauf hinwies, dass es irgendwie kontraproduktiv ist, wenn man
       einerseits Vereinbarungen zum [1][Kampf gegen Antiziganismus] unterzeichne,
       andererseits aber mit solchen Meldungen uralte Vorurteile füttere.
       
       Auch andere Delikte, die Eingang in die Statistik gefunden hatten – wie der
       Betrug mit Corona-Testzentren, bei Führerscheinprüfungen oder durch
       Schock-Anrufer aus Callcentern in der Türkei – untermauerten den Eindruck,
       dass hier ziemlich viel unter die Rubrik [2][„Clan-Kriminalität“]
       subsumiert wurde, was mit dem ursprünglichen Bedrohungsszenario aus
       öffentlichen Tumulten und organisierter Kriminalität nicht mehr viel zu tun
       hatte.
       
       In diesem Jahr gab man sich bei der Pressekonferenz sichtlich Mühe, solche
       Eindrücke zu vermeiden und konzentrierte sich in der Präsentation wieder
       auf das, was den meisten Bürgern Angst macht: brutale Auseinandersetzungen
       auf offener Straße und tumultartige Menschenaufläufe vor Haftanstalten,
       Krankenhäusern oder Gerichtsgebäuden.
       
       ## Weniger als ein Prozent der Straftaten
       
       Zwar sei die Gesamtzahl der Straftaten mit Clanbezug im Jahr 2023
       rückläufig gewesen und mache mit 0,65 Prozent auch immer noch weniger als
       ein Prozent der insgesamt erfassten Straftaten aus, erklärt
       Landespolizeipräsident Axel Brockmann. Im Vergleich zu anderen Tätergruppen
       machen Rohheitsdelikte (also Körperverletzungen) und Straftaten gegen die
       persönliche Freiheit (meist Bedrohungen) hier aber den Löwenanteil aus.
       Zudem fände die Polizei bei Durchsuchungen und Festnahmen
       überdurchschnittlich oft Waffen.
       
       Im Übrigen, sagt Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD),
       könne sie die Frage „Lohnt denn der Aufwand, bei diesem geringen Anteil an
       Straftaten?“ auch nicht nachvollziehen. Morde oder terroristische Taten
       machten ja auch nur einen geringen Prozentsatz in der Statistik aus – und
       trotzdem erwarte man, dass sie mit allen Mitteln verfolgt und geahndet
       würden. Vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften beschäftigen sich in
       Niedersachsen mit der Clan-Kriminalität.
       
       Innenministerin Daniela Behrens (SPD) bemüht sich dagegen zum x-ten Mal,
       den Rassismus-Vorwurf abzuwehren, der bei der Debatte über den Begriff der
       Clan-Kriminalität immer mitschwingt. „Wir verfolgen nicht bestimmte
       Familien oder bestimmte Nachnamen, sondern immer nur Täter und ihre Taten
       und versuchen dann von dort die Strukturen dahinter auszuleuchten“,
       versichert sie eisern.
       
       Obwohl ihr Landespolizeipräsident gerade noch darüber dozierte, wie „junge,
       unbescholtene Familienmitglieder“ als Geschäftsführer eingesetzt werden, um
       so scheinbar legale Shops und Geldwäschegelegenheiten aufzutun. Es ist also
       wohl doch so, dass man [3][mit bestimmten Nachnamen] lieber keine Geschäfte
       aufmacht.
       
       Um ein Phänomen in den Griff zu bekommen, müsse man nun einmal den
       Realitäten ins Auge sehen, erklärt die Innenministerin außerdem. So richtig
       scharf gestellt bekommt man diesen Blick in Niedersachsen allerdings
       anscheinend nicht.
       
       ## Keine Hotspots, nirgends
       
       Auch in diesem Jahr heißt es wieder: Es gibt keine Hotspots,
       Clan-Aktivitäten seien überall im Land zu verzeichnen. Außerdem seien diese
       kriminellen Strukturen höchst agil und suchten sich ständig neue
       Betätigungsfelder. In 2023 fielen hier vor allem Verfahren in den
       Polizeidirektionen Oldenburg und Osnabrück auf, die sich um manipulierte
       Sportwetten und Glücksspielautomaten drehten.
       
       Der Organisierten Kriminalität rechnet die Polizei nur zwölf der
       eingeleiteten Strafverfahren zu, im vergangenen Jahr waren es neun.
       Ausgerechnet bei der Vermögensabschöpfung – sonst gepriesen als Königsweg,
       um Clan-Kriminelle empfindlich zu treffen – gab es einen deutlichen
       Einbruch: 1.978.309 Euro stellte das Land im vergangenen Jahr zumindest
       vorläufig sicher, in 2022 waren es noch mehr als drei Millionen Euro
       gewesen.
       
       Wie schwierig diese Vermögensabschöpfung immer noch ist, zeigt sich auch in
       Stade, wo es in 2023 ein großes Clan-Verfahren gegeben hat. Nach Ansicht
       der Staatsanwaltschaft hatten die Täter Gelder aus illegalem Glücksspiel,
       Betäubungsmittelhandel und Schutzgelderpressungen in den Kauf und die
       Renovierung einer hochwertigen Immobilie gesteckt. Das Gericht sah von
       einer Einziehung des Gebäudekomplexes trotzdem ab und kassierte nur die
       400.000 Euro ein, die eindeutig illegalen Aktionen zuzuordnen waren.
       
       Stade gehört im Übrigen auch zu den Hotspots, die so nicht genannt werden
       sollen: In den vergangenen zwei Jahren gab es dort drei Tote, die auf die
       gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zwei Clans zurückzuführen sein
       sollen. Die tauchen im aktuellen Lagebild nicht auf, weil nur einer der
       drei Todesfälle ins Jahr 2023 fällt. Der öffentlichen Debatte hinkt der
       Bericht damit auch hier hinterher.
       
       21 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Antiziganismus/!6000386
   DIR [2] /Was-ist-Clankriminalitaet/!5972037
   DIR [3] /Antiziganismus-im-Hotel/!6024105
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
       ## TAGS
       
   DIR Kriminalität
   DIR Clans
   DIR Niedersachsen
   DIR Polizei Niedersachsen
   DIR Thailand
   DIR Erdgas
   DIR Cyberkriminalität
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Lagebild Clankriminalität: Niedersachsen hängt am Mythos
       
       Der Umgang Niedersachsens mit „Clankriminalität“ ist laut einer Studie
       „systematisch diskriminierend“. Das Land möchte die Praxis trotzdem
       fortsetzen.
       
   DIR Neue Regierungschefin in Thailand: Der Shinawatra-Clan ist zurück
       
       Paetongtarn Shinawatra, Tochter des früheren Premiers Thaksin, ist neue
       Regierungschefin in Thailand – mit 37 die jüngste aller Zeiten.
       
   DIR Erdgas-Bohrung vor Borkum: Gasförderer droht Niedersachsen
       
       Der Energiekonzern One-Dyas setzt Niedersachsen unter Druck. Er droht eine
       Schadenersatzklage wegen zögerlicher Genehmigung an.
       
   DIR Einsatz von illegaler Schadsoftware: Razzien gegen Cyberkriminalität
       
       Einem Team aus internationalen Ermittler*innen ist ein großer Schlag
       gegen weltweite Internetkriminalität gelungen. Sie konfiszierten über 100
       Server.