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       # taz.de -- Coming-of-Age-Theater in Hannover: Anleitung zum Untätigsein
       
       > Klingt nach Disney, sieht anders aus: Mit Bonn Parks „Bambi und die
       > Themen“ taucht das Theater an der Glocksee ins Gefühlschaos der Digital
       > Teens.
       
   IMG Bild: Zusammensein ohne miteinander reden zu müssen hat für die junge Generation eine große Bedeutung
       
       Das Theater an der Glocksee in Hannover verwandelt sich heute in
       Saurier-City: das Zuhause von Bambi, Blume und Klopfer. Die drei, bekannt
       [1][aus dem Disneyfilm], tragen Kostüme, die eher auf eine Berliner WG
       hindeuten als auf Paarhufer, Stinktier und Hase. Trotzdem sind Hinweise auf
       ihre Zeichentrickexistenz wie eine geschminkte Reh-Nase zu erkennen.
       
       Sie sitzen auf einem Stangengerüst und sind in warmes Licht gehüllt. Sie
       kuscheln, küssen und reden über ihre Utopie. Einander kennengelernt haben
       sie sich bei Bambis ersten, tapsigen Schritten durch die Wiese. Sie halfen
       ihm, sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden.
       
       Laut Begleitheft sind alle Säugetiere Menschen, also haben sie auch früher
       oder später ein Handy in die Hand gedrückt bekommen. Zwischen Tiktok Dances
       und der Apokalypse kommt das Stück „Bambi und die Themen“ trotzdem immer
       auf den ersten Wunsch zurück, den das Reh äußert: „Ich möchte ein gutes
       Leben führen.“
       
       Der Berliner [2][Dramatiker Bonn Park], 1987 geboren, erzählt mit „Bambi
       und die Themen eine Coming-of-Age-Geschichte. Bambi und seine
       Freund*innen tragen sämtliche Fragen, Themen und Meinungen im Herzen und
       klammern sich aneinander, während sie von der Flut an Informationen
       überschwemmt werden. Die Bühne ist aufgeteilt in zwei Räume.
       
       ## Das Handy ist eine Welt für sich
       
       Der erste stellt die Außenwelt dar. Meistens die Dreier-WG, aber auch mal
       ein Sportevent oder eine Blumenwiese. Der zweite Raum, links auf der
       Bühne, ist das Innere eines riesigen Handys. Da, wo der Bildschirm
       normalerweise wäre, hängt ein transparenter Vorhang. Er dient als
       Projektionsfläche, ermöglicht aber auch den Einstieg in den digitalen
       Innenraum der Handys.
       
       Eine Live-Kamera erfasst die Gesichter der Spielenden und lässt über das
       reine Abbild eine KI-Interpretation der Aufnahme flackern. Fiktive
       Schreckensbilder von Saurier-City lösen echte Schreckensbilder von Krieg
       und Umweltkatastrophen ab. Diese Mischung aus komischer Fiktion und realem
       Horror passt zur weit verbreiteten Online-Stimmung: „Die Welt geht unter,
       aber zum Glück haben wir Memes.“
       
       Die Clique wird stets von zwei weiß und klar männlich lesbaren Anzugträgern
       begleitet. Einer von ihnen gibt den Erzähler, der Handlungen vorgibt oder
       kommentiert. Der zweite wird in der Besetzungsliste als „???/Mächtiger
       Saurier“ bezeichnet. Mal moderiert er eine Gameshow übers Trolley-Problem,
       mal tritt er als eine Weihnachtsmann/Gott/Jesus-Figur aus dem Handy und
       bringt alles durcheinander.
       
       Die Dialoge zwischen Bambi, Blume und Klopfer wirken anfänglich noch fremd
       und eher wie von einem Erzähler geschrieben, als von den Figuren gesagt.
       Die Sorge, das Stück würde in eine jener Darstellungen münden, die
       Jugendliche von oben herab als ständig von irgendwas getriggerte
       Smartphone-Zombies porträtieren, bewahrheitet sich nicht: Mit der Zeit
       erzeugt es über Insider- und authentische Jugendsprache das Gefühl, mit den
       Charakteren auf einer Wellenlänge zu sein.
       
       Obwohl existenzielle Krisen teilweise sarkastisch und mit viel Humor
       erzählt werden, nimmt Jonas Vietzkes Inszenierung die Unzufriedenheit von
       Bambi, die Verzweiflung von Blume und die Orientierungslosigkeit von
       Klopfer erkennbar als echte Probleme ernst.
       
       So wird Bambi mitten im Stück bei einem Sportevent in der Schlange für Bier
       und Würstchen gefragt, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. Weil, wenn das
       Reh ein Mädchen wäre, würde???/Mächtiger Saurier es gern auf ein Date
       einladen. Wenn es ein Junge wäre, eben nicht. Oder doch? Nein. Oder doch?
       
       Und so geht das hin und her mit der Frage, ob er Bambi angraben könne, ohne
       schwul zu wirken. Indem diese Frage immer wieder wiederholt wird und sich
       der Mächtige Saurier mit ihr auch ans Publikum wendet, wird erlebbar, wie
       übergriffig sie wirken kann: Mit einem Tier, das zugleich ein Mensch ist,
       [3][Nichtbinärität zu thematisieren], funktioniert gut, vielleicht auch,
       weil wir eher bereit sind, ein Reh als geschlechtsneutrales Wesen
       anzusehen.
       
       Bei Wutanfällen, Neuanfängen und großer Verzweiflung stützen Larissa
       Potapov und Nina Melcher als Bambi und Blume Szenen mit Tanzelementen.
       Tommy Wiesner als Klopfer singt leise über Frieden und laut über die
       Unfähigkeit, etwas am Lauf der Dinge zu ändern.
       
       Diese Momente ohne Wortfluss sind eine willkommene Pause fürs sonstige
       Themen-Chaos. Es endet mit der Entscheidung, nichts ändern zu wollen. Denn
       es geht nicht wirklich darum, was um uns herum passiert. Wir können ja
       immer neu beginnen: Es geht um unsere Einstellung und die Menschen, die uns
       Halt geben.
       
       4 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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