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       # taz.de -- Machtwechsel in Bangladesch: Vom Regen in die Traufe?
       
       > Nach dem Regierungssturz sieht sich die Opposition im Aufwind. Doch die
       > ist auch nicht makellos. Nötig ist eine echte Reform der Institutionen.
       
   IMG Bild: Muhammad Yunus winkt vor der Vereidigungszeremonie der neuen Übergangsregierung
       
       Mit der Ernennung der neuen Interimsregierung in Bangladesch dürfte sich
       ein Albtraum der geschassten Premierministerin Sheikh Hasina erfüllt haben:
       [1][Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus auf ihrem Posten an der Spitze
       der Regierung]. In den vergangenen Jahren war Hasina ein persönlicher
       Feldzug gegen Yunus nachgesagt worden, getrieben von der Angst, dass der
       84-Jährige versuche, mit seinem internationalen Ansehen in die Politik
       einzusteigen.
       
       Ein Rückblick: Sheikh Hasina war seit 2008 Regierungschefin Bangladeschs.
       In dieser Zeit hatte sich die Menschenrechtslage im Land stetig
       verschlechtert. Hasina und ihre Partei, die Awami-Liga, schalteten die
       Opposition größtenteils aus und durchdrangen fast alle Bereiche der
       Gesellschaft. Im Juli begannen dann breite Studierendenproteste gegen
       Quoten bei der Vergabe von Regierungsjobs, die Mitglieder der
       Regierungspartei begünstigten.
       
       Die Regierung ließ die Proteste blutig niederschlagen. Am Ende – als die
       Studierenden nur noch den Rücktritt der Regierung forderten und einen
       „Langen Marsch“ auf die Hauptstadt begannen – intervenierte das Militär.
       Sheikh Hasina trat zurück und floh nach Indien. Auf Vorschlag der
       Demonstrierenden wurde Yunus für eine noch unbestimmte Übergangszeit als
       Regierungschef ernannt.
       
       Nach knapp zwei Wochen ist die Bilanz der neuen Regierung durchwachsen.
       [2][Das berüchtigte Foltergefängnis Aynaghor (Haus der Spiegel) ist
       geschlossen worden]; Oppositionspolitiker, die jahrelang verschwunden
       waren, sind wieder aufgetaucht.
       
       Zugleich ist die Menschenrechts- und Sicherheitslage weiter schwierig. Kurz
       nach dem Regierungssturz tauchten massenhaft Polizist*innen unter – aus
       Angst vor Vergeltung für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste in den
       vergangenen Wochen. In den Tagen nach dem Regierungssturz gab es zahlreiche
       Berichte von Gewalt – einerseits gegen die religiöse Minderheit der Hindus,
       vor allem aber gegen Mitglieder der Regierungspartei.
       
       Die Oppositionsparteien indes fühlen sich im Aufschwung. Als zwei
       hochrangige Mitglieder der Awami-Liga verhaftet wurden, vertrieben
       oppositionsnahe Anwälte deren Verteidiger. Als Mitglieder der Awami-Liga
       der Ermordung von Sheikh Mujibur Rahman, des ersten Präsidenten
       Bangladeschs und des Vaters Sheikh Hasinas, gedenken wollten, verhinderten
       Mitglieder der Oppositionspartei BNP (Bangladesh Nationalist Party) das
       Gedenken. Die Interimsregierung schien dagegen machtlos zu sein.
       
       Viele Bangladescher befürchten nun, vom Regen in die Traufe gelangt zu
       sein. Während die BNP in den vergangenen Jahren machtlos war, erinnern sich
       viele nun an deren letzte Amtszeit vor der Hasina-Ära: Schon damals wurden
       der Grundstein für den autoritären Staat gelegt, der dann von der
       Awami-Liga perfektioniert wurden. Außergerichtliche Tötungen waren schon
       damals an der Tagesordnung, das Verschwindenlassen von Oppositionellen
       ebenfalls.
       
       Unter der BNP [3][wurde einst die paramilitärische Truppe RAB gegründet],
       die für außergerichtliche Ermordungen und für das Verschwindenlassen
       Hunderter Oppositionellen verantwortlich gemacht wird. Die große Frage ist
       nun: Was wird sich verändern? Und wie?
       
       Die Studierenden, zeigt sich, können noch kein umfassendes politisches
       Programm formulieren. Zu vielfältig dürften die Proteste – erst gegen als
       ungerecht empfundene Quoten bei der Vergabe von Regierungsjobs und später
       gegen die gewaltsame Repression durch die Polizei – gewesen sein. Viele
       dürften über die Protestthemen hinaus keine großen politischen Ambitionen
       haben. Andere sind wiederum bereits Mitglied der etablierten
       Oppositionsparteien und dürften kein weiteres Interesse an einem
       alternativen politischen Programm haben.
       
       ## Auf verfassungsrechtlich wackligen Füßen
       
       Muhammad Yunus hat seinen Posten als Chef der Interimsregierung der
       Unterstützung der Studierenden zu verdanken, und erst vergangene Woche
       führte der Protest von der Straße zum personellen Wechsel an der Spitze des
       Innenministeriums.
       
       Doch die an der Regierung beteiligten Studierenden haben außer dem
       Arbeitsministerium eher randständige Ressorts bekommen: einerseits die
       Ministerien für Digitales und Medien und andererseits für Sport und Jugend.
       Yunus’ Regierung steht – freundlich formuliert – auf verfassungsrechtlich
       wackeligen Füßen.
       
       Dass sie dennoch so viel internationale Unterstützung erfährt, dürfte
       einerseits daran liegen, dass bekannt war, wie korrupt und autoritär die
       Regierung Hasinas ist – und andererseits am hohen Ansehen des
       Friedensnobelpreisträgers Yunus. Doch international dürfte es bald schon
       den Wunsch nach einer Rückkehr zu einer rechtlich abgesicherten Demokratie
       geben.
       
       Ebenso gibt es von den zwei großen politischen Parteien in Bangladesch
       [4][den großen Wunsch nach baldigen Wahlen]. Die BNP rechnet sich nach 15
       Jahren in der Opposition jetzt die besten Chancen für einen Wahlsieg aus,
       während die Awami-Liga befürchtet, dass ihre Macht noch weiter schwinden
       wird. Für beide dürfte es die größte Katastrophe sein, wenn sich mit der
       Zeit eine weitere Alternative bildet, die glaubwürdig eine veränderte
       politische Kultur anbieten könnte.
       
       ## Endliche Vorschusslorbeeren
       
       Ohne diese Alternative indes dürfte das Spiel der vergangenen zwanzig
       Jahren weitergespielt werden, bei dem ein Regierungswechsel die Fortführung
       der gleichen korrupten und repressiven Politik unter umgekehrten Vorzeichen
       bedeutet.
       
       Verhindert werden kann das nur, wenn Institutionen wie Polizei, Bürokratie
       und Justiz so reformiert werden, dass sie sich nicht politisch vereinnahmen
       lassen können. [5][In einer Rede vor Diplomat*innen in Bangladesch]
       kündigte Yunus entsprechende weitreichende Reformen an. Die Herausforderung
       seiner Regierung wird sein, diese und schnell spürbar umzusetzen, bevor
       seine Vorschusslorbeeren aufgebraucht sind.
       
       22 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Machtwechsel-in-Bangladesch/!6026465
   DIR [2] https://en.prothomalo.com/bangladesh/axj3uuswcp
   DIR [3] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/vereinte-nationen-bangladesch-blauhelme-menschenrechtsverstoss-un-e258770/
   DIR [4] /Nobelpreistraeger-wird-Regierungschef/!6029054
   DIR [5] https://www.dhakatribune.com/bangladesh/355149/dr-yunus-seeks-international-support-to-rebuild
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lalon Sander
       
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