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       # taz.de -- Imane Khelif steht im Olympia-Finale: Im Olymp der Extremen
       
       > Die algerische Boxerin siegt im Halbfinale. Die Debatte um ihr Geschlecht
       > geht weiter. Dabei sind extreme Körper Voraussetzung für Erfolg im Sport.
       
   IMG Bild: Zielgenau: Imane Khelif (rechts) schlägt die Tailänderin Janjaem Suwannapheng im Halbfinale am Dienstagabend
       
       Imane Khelif hat sich also durchgeboxt. Am späten Dienstagabend gewann sie
       überzeugend und einstimmig nach Punkten gegen die Thailänderin Janjaem
       Suwannapheng. Nun steht die 25-jährige Algerierin im Finale in Paris. Am
       Freitagabend wird Khelif gegen die Chinesin Yang Liu um Gold im
       Weltergewicht kämpfen. Und auch [1][die Debatte um die Boxerin] wird in die
       finale Runde gehen. Mit harten Schlägen, vor allem unter die Gürtellinie.
       [2][Darf die das]? Ist Khelif nicht viel zu männlich, um als Frau zu boxen?
       
       Dass die nicht einmal nachgewiesenen körperlichen Besonderheiten bei Khelif
       zum weltweiten Aufreger werden, ist wenig überraschend, aber dennoch
       vollkommen absurd. Denn bei vielen Sportler:innen in fast allen
       Disziplinen sind die körperliche Extreme nicht nur unübersehbar, sondern
       Grundvoraussetzung für ihren Erfolg.
       
       Schwimmer:innen zum Beispiel kommen besonders schnell voran, wenn
       [3][die Spannweite ihrer Arme die Länge ihres Körpers deutlich übersteigt].
       Das hat weniger mit Sport, [4][als mit Biomechanik zu tun]. Kommen dann
       noch extra große Hände und Füße, sowie hypermobile Fußgelenke, die einen
       erhöhten Vortrieb erlauben, [5][kann ein Sportler wie Michael Phelps] über
       Jahre [6][die olympischen Wettbewerbe dominieren].
       
       Kugelstoßer:innen haben einen überdurchschnittlich massigen Körper,
       schon um in der Drehung genug Wucht hinter die Kugel bringen zu können.
       Ohne die hätten sie keine Chance.
       
       ## Zwanzig Zentimeter größer als der Durchschnitt
       
       Beim Basketball hingegen würden sie schnell aussortiert. Dort sind die
       Spieler:innen nicht nur zufällig besonders groß. Nyara Sabally, die
       größte im deutschen Team in Paris, misst zum Beispiel 1,96 Meter. Und sie
       ist keinesfalls eine Ausnahme. Im Schnitt [7][kommt das Team auf 1,87
       Meter] – fast 20 Zentimeter mehr als [8][die gleichaltrigen Frauen
       Deutschlands].
       
       Kleine Menschen haben dafür im Turnen bessere Chancen. Hier scheinen sie im
       Vorteil, was Wendigkeit, Beweglichkeit und Hebel betrifft. Der
       US-amerikanische Superstar Simone Biles misst gerade mal 1,42 Meter. Wäre
       sie noch zwei Zentimeter kleiner, hätte sie in Deutschland Anrecht auf
       einen Schwerbehindertenausweis.
       
       Extreme Körpereigenschaften spielen auch beim Laufen eine Rolle.
       Wissenschaftler:innen haben zum Beispiel versucht zu ergründen, warum
       Läufer:innen aus Jamaika auf kurzen, die aus Ostafrika hingegen auf sehr
       langen Strecken dominieren. Vorab gesagt: an der Hautfarbe liegt es nicht.
       Dennoch sind sie durch ihre Genetik offenbar im Vorteil.
       
       Die ungewöhnliche Ausdauer von Menschen aus Ostafrika [9][konnte
       Wissenschaftler:innen vor Jahren auf Angehörige der aus dem
       kenianischen Hochland stammenden Volksgruppe der Kalendjin eingrenzen]. Die
       sind zwar im Schnitt etwas kleiner als zum Beispiel Dänen, haben aber
       längere Arme und Beine – entscheidender bio-mechanischer Vorteil.
       
       Bei den Jamaikaner:innen, deren Vorfahren durch den Sklavenhandel oft aus
       Westafrika kamen, vermuten Forscher:innen eine genetische Veranlagung,
       die zu sprintbegünstigenden Muskelfasern führt.
       
       Bei [10][Sprint-Superstar Usain Bolt] erkannten Forscher:innen noch ein
       anderes Phänomen. Er besitzt, wie die schnellsten der jamaikanischen
       Kurzstreckensprinter, [11][eine signifikant stärker parallele Knie- und
       Knöchelanatomie] als langsamere Läufer von gleicher Größe und Gewicht. So
       überrascht es nicht, dass beim 100-Meter-Finale der Herren mit Kishane
       Thompson wieder ein Jamaikaner ganz vorn mit dabei war – auch wenn es wegen
       eines Rückstands von fünf Tausendstelsekunden am Ende nur zur
       Silbermedaille reichte.
       
       Natürlich reicht kein einziger dieser körperlichen Vorteile aus, um Gold
       bei Olympia zu holen. Bei den Jamaikaner:innen zahlt sich zum Beispiel
       aus, dass Rennen dort als weit verbreiteter Volkssport gilt. Und ohne
       langjähriges Training, ohne ausgeklügelte Übung der Technik, ohne
       disziplinierte Konzentration wird auch aus dem extremsten Körper kein:e
       Medaillenkandidat:in.
       
       ## Trainer:innen sortieren die Körper der Talente
       
       Aber sicher ist: Nachwuchstrainer:innen, die bei Kindern und Jugendlichen
       nach Talenten suchen, haben immer auch ein Auge für ihre körperliche
       Eignung. Die Großen kommen zum Basketball, die Kleinen zum Turnen, die mit
       den langen Armen zum Schwimmen.
       
       Und wer unter Mädchen ein Talent fürs Frauenboxen sucht, wird
       selbstverständlich diejenigen bevorzugen, die dank erwartbar höheren
       Testosteronwerten im Körper das Potenzial für eine extreme Schlagkraft
       besitzen.
       
       Dass Frauen wie Imane Khelif bei den olympischen Spielen vermehrt in den
       Blickpunkt geraten, ist also kein Skandal. Im Gegenteil. Es ist die
       logische Konsequenz aus der olympischen Idee, bei der eben nicht Dabeisein
       alles ist, sondern bei der nichts mehr zählt als der Glanz der goldenen
       Medaille.
       
       „Die Überlegenheit der Algerierin ist insgesamt zu groß“, sagte dennoch
       Khelif eigentlich wohlgesonnene Sportschau-Moderator [12][bei der
       Live-Übertragung] des Boxkampfes. Es müsse daher Klärung geben. Dabei ist
       Überlegenheit genau das Ziel bei Olympia. So wie bei [13][Stabhochspringer
       Armand Duplantis, der nur einen Tag zuvor für seinen neuen Weltrekord
       gefeiert wurde] – weil er so überlegen ist, dass er in einer anderen, einer
       eigenen Klasse springt – ach was – fliegt. Da fragt niemand nach eine
       Klärung.
       
       Die olympischen Spiele sind ein Wettbewerb der Extreme. Und der Extremen.
       Menschen mit normalen Körpern, Durchschnittstypen halt, haben dabei niemals
       eine Chance.
       
       7 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /DSD-Athletinnen-im-Boxen/!6025080
   DIR [2] /Pro-und-Contra/!6025075
   DIR [3] https://docswim.de/index.php/2022/06/30/made-for-swimming-wie-ein-schwimmer-gebaut-sein-sollte-teil-1-2/
   DIR [4] https://docswim.de/index.php/2020/10/22/studie-warum-ein-langer-ruecken-schnelleres-schwimmen-ermoeglicht/
   DIR [5] http://wiki.ifs-tud.de/biomechanik/aktuelle_themen/projekte_ss19/atsb1905
   DIR [6] /Depression-im-Spitzensport/!5700007
   DIR [7] https://www.basketball-bund.de/team/a-damen/#kader
   DIR [8] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Gesundheitszustand-Relevantes-Verhalten/Publikationen/Downloads-Gesundheitszustand/koerpermasse-5239003179004.html
   DIR [9] /Ostafrikanische-Erfolge-beim-Marathon/!5492941
   DIR [10] /Doping-in-der-Leichtathletik/!5222304
   DIR [11] https://www.spektrum.de/news/sprint-weltrekorde-nur-mit-ordentlichen-knien/1318968
   DIR [12] https://www.ardmediathek.de/video/sportschau-olympia-2024/boxen-div-halbfinals-finale-60kg-f/das-erste/Y3JpZDovL3Nwb3J0c2NoYXUuZGUvcGFyaXMtMjAyNC1lY21zLWVwZy0yMzY2LWxpdmVzdHJlYW0
   DIR [13] /Duplantis-Weltrekord-im-Stabhochspringen/!6025271
       
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