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       # taz.de -- Hochschule für Gestaltung: In den Hügeln vor Ulm
       
       > Schön ist, was einfach ist und gut funktioniert: Von dem Gebäude der
       > Hochschule für Gestaltung Ulm lässt sich viel über zeitlose Architektur
       > lernen.
       
   IMG Bild: Drüben auf dem Hügel: die Hochschule für Gestaltung Ulm
       
       Die [1][Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm] war ein Hotspot der Moderne,
       aber sogar dieser Bau gewordene Leuchtstern am Designfirmament hat eine
       dunkle Seite: ohne Tageslicht, ziemlich verwinkelt, ein Steg mittendurch.
       Hier im Keller war mal die Heizzentrale mit dem Bunker für die tonnenweise
       verheizten Kohlen, damit es Lehrende und Studierende bei ihrer Arbeit an
       der Moderne nicht fröstelte. Bitte, das Gebäude ist Baujahr 1955, der
       Architekt, der Schweizer Max Bill, war in erster Linie Künstler, und von
       Wärmeverordnungen sprach damals noch niemand.
       
       1968 schon wieder geschlossen, verstand sich diese von der
       Geschwister-Scholl-Stiftung getragene Hochschule anfangs als Fortsetzung
       des 1933 von den Nazis geschlossenen Bauhauses. Die Dozierenden und
       Studierenden verband die Suche nach dem Zweckmäßigen, sie kamen aus aller
       Welt und prägten in der Nachschau eine Phase der Designgeschichte, in der
       sich die industrielle Produktionsweise mit der Ästhetik der technischen
       Moderne in radikaler Weise verband.
       
       Hans Gugelot, einer der maßgeblichen Dozenten, befreite gleich mal die
       Phonogeräte von Zierleisten und legte für die Firma Braun die Grundlage für
       ihr betont sachliches Design. Geschirr wurde stapelbar, in der Bauabteilung
       kreisten die Gedanken um das Bauen mit industriell vorgefertigten
       Elementen, Möbel wurden aus der System-Idee heraus entwickelt. Überhaupt
       ging es weniger um Einzelentwürfe als um komplexe Lösungen.
       
       Beim Thema Verkehr stand gleich das komplette Set auf dem Plan, vom
       Fahrplan bis zum Fahrkartenautomaten, von der Haltestelle bis zum
       Triebwageninterieur. In interdisziplinären Studien wurde alles bisherige
       auf den Prüfstand gestellt und neu gedacht. In der Grundlagenforschung, in
       Theorie und Methode, wurde an diesem Ort Pionierarbeit geleistet.
       
       ## Radikal im Anspruch
       
       Später ging die in Ulm gelegte Saat weltweit auf. „Radikal im Anspruch,
       konsequent in der Umsetzung, kompromisslos in der Haltung“, bringt es
       Alexander Wetzig, der heutige Hausherr, in einen Dreisatz.
       
       Stummes Zeugnis dieses Anspruchs legt in Ulm bis heute das Schulgebäude ab.
       Der außerhalb der damals noch sehr provinziellen [2][Donaustadt] in ein
       hügeliges Freigelände geschmiegte Komplex sollte wie schon das Dessauer
       Bauhaus-Gebäude die interne Programmatik nach außen spiegeln: Bau wird
       Programm. Max Bill, selbst Bauhaus-Absolvent, nahm in seinem Entwurf
       keinerlei Rücksicht auf Gemüter und Geschmäcker. Kein Zierrat, pure
       Abstraktion.
       
       Die Atmosphäre hier ließe sich vielleicht mit „freundlicher Strenge“
       umschreiben. Jeder der an langen Gängen aufgereihten Räume, erwähnt
       Hausmanagerin Julia Hanisch, sei von Tageslicht beschienen. Eine
       Architektur, die klar ist und sich aufs Notwendige beschränkt. Der gesamte
       vielgliedrige Komplex ist aus einem einheitlichen Rastersystem heraus
       entwickelt. Multikünstler Max Bill hat die mathematische Strenge seiner
       konkreten Kunst in ein räumliches Konzept übertragen.
       
       Das Eisenbetonskelett nackt und unverputzt, Ausfachungen in nur leicht
       geschlämmtem Sichtziegelmauerwerk, Öffnungen in Teilern zum Rastermaß,
       Beleuchtungskörper nach dem Prinzip Röhre plus Halterung und sonst nichts.
       Industrial Design für eine Hochschule galt damals als ziemlich unerhört.
       In einer zeitgenössischen Reportage erhielt es das Attribut als „Kloster“.
       Auch nicht falsch.
       
       Doch Bill legte schon auch eine gewisse planerische Generosität an den Tag.
       Wetzig, früherer Ulmer Baubürgermeister und jetzt Vorsitzender der
       Stiftung, die dieses Erbe verwaltet, verweist auf das Unverhältnis von
       Verkehrs- zu Nutzflächen. Allein deshalb würde der Entwurf heute kaum
       genehmigt: „Der Landschaftsschutz wäre eine weitere unüberwindbare Hürde“,
       sagt er.
       
       ## Der Schlüssel für gutes Bauen
       
       Dessen ungeachtet gilt der Komplex heute als Baudenkmal der höchsten
       Kategorie. Die Mieter kommen alle aus dem Gestalterbereich. Bald wird das
       Gebäude 70. Es ist technisch nicht „high“, aber altert in Würde, was vielen
       Bauten der Moderne nicht gegönnt ist. Baufachmann Wetzig ist sich sicher,
       dass sich daraus noch viel für das Heute lernen lässt: „Der Schlüssel für
       gutes Bauen liegt in der Einfachheit.“
       
       Bill ging 1957 im Streit. Die Jüngeren im Dozentenstab drängten auf die
       Verwissenschaftlichung der Gestaltung, Disziplinen wie Semiotik gewannen an
       Raum. Funktionalität, befreit von den Schlacken der Kunst. Für den
       autonomen Künstler-Entwerfer war von da an kein Platz mehr.
       
       Man wüsste allzu gern, wie die HfG im Geiste dieser Weiterentwicklung für
       sich selbst gebaut hätte. Vermutlich mit Platte.
       
       22 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.hfg-ulm.de/de/
   DIR [2] https://www.ulm.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Vogel
       
       ## TAGS
       
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