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       # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Der Winter naht
       
       > Saporischschja liegt etwa 30 Kilometer hinter der Front. Trotz der
       > Sommerhitze denken viele Menschen dort schon an die Kälte in ein paar
       > Monaten.
       
   IMG Bild: Im Juli blockierten Menschen in Saporischschja den Verkehr. Sie protestierten gegen Stromausfälle
       
       Wollen Sie einen Whisky“, fängt Dmytro das Gespräch im Zugabteil an. Er
       spricht Russisch. Der Zug hat soeben den Bahnhof von Kyjiw Richtung
       Saporischschja verlassen. Die Stadt im Südosten der Ukraine liegt gerade
       einmal 30 Kilometer von der Front entfernt. Zwar gibt es immer wieder mal
       Einschläge russischer Geschosse, aber insgesamt ist es zurzeit weitgehend
       ruhig dort. Nur am Stadtrand hört man regelmäßig ein leichtes Donnern im
       Hintergrund. Auf den ersten Blick ist Saporischschja eine ukrainische Stadt
       wie viele andere: mit Verkehrsstaus im Berufsverkehr, Einkaufszentren,
       Cafés und Frauen in Miniröcken. Gleichwohl ist der Krieg allgegenwärtig.
       Eine Woche lang hat der taz-Korrespondent im Juli die Beinah-Frontstadt
       besucht und mit Menschen gesprochen.
       
       Dmytro trägt ein olivgrünes T-Shirt, das einen runden Bauch umspannt. Er
       ist es nicht gewohnt, dass ihm jemand ein Angebot ausschlägt. Der
       49-Jährige war bis Februar 2022 Unternehmer, hatte sich mit dem Handel von
       Metallschrott ein kleines Imperium aufgebaut. Stolz zeigt er auf seinem
       Smartphone Selfies aus Paris, Melbourne, London und Buenos Aires. Er kann
       offensichtlich gut organisieren und mit Menschen ins Gespräch kommen.
       Eigenschaften, die ihm, wie er sagt, seinen Erfolg gebracht haben. Doch
       eigentlich ist er von Beruf Offizier.
       
       Seine Ausbildung hat er in einer russischen Militärakademie erhalten. Das
       ist nichts Außergewöhnliches. Vor zwanzig Jahren studierten armenische,
       usbekische und eben auch ukrainische Militärs in Russland. Auch der jetzige
       ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj wurde bis 1986 an einer
       russischen Militärakademie ausgebildet.
       
       Dmytro verbindet viel mit Russland. Er hatte – und da legt er Wert auf die
       Vergangenheitsform – gute Erinnerungen an seine Jahre in dem Land. Doch der
       24. Februar 2022 war für ihn ein Wendepunkt. Er hat sein Geschäft einem
       Partner übertragen und sich freiwillig zur Armee gemeldet. Sehr zum Ärger
       seiner Frau, die sich auf die Suche nach einer Bleibe in der Westukraine
       machte. In der Armee machte man ihn zum Kommandeur einer mittelgroßen
       Einheit „an der Null“, wie die ukrainischen Militärs die Front nennen.
       
       ## Ukrainisch oder Russisch – beim Militär sehen sie das mit der Sprache
       nicht so eng
       
       Aus seiner Vergangenheit hat Dmytro nie einen Hehl gemacht. Alle seine
       Untergebenen und Vorgesetzten wissen, dass er auf einer russischen
       Militärakademie studiert hat. Er sagt, niemand nehme ihm das krumm.
       
       Als eine Schaffnerin ihn anspricht, tut sich Dmytro hörbar schwer damit,
       der Schaffnerin auf Ukrainisch zu antworten. Bei der Armee störe es
       niemanden, dass Dmytro fast nur Russisch spricht, sagt er. Als jemand, der
       seine Jugend in der mehrheitlich russischsprachigen Stadt Saporischschja
       und an der Militärakademie in Russland verbracht hat, denke er nun mal
       Russisch. „Beim Militär ist man in der Sprachenfrage nicht so streng wie im
       Hinterland“, sagt Dmytro. Da werde jeder akzeptiert. Und außerdem könne man
       im Schützengraben nun wirklich keine Sprachkurse organisieren.
       
       Gleichwohl, sagt Dmytro, gebe es wohl kaum jemanden in seiner Einheit, der
       die Russen so hasse wie er: „Mir vorzustellen, dass die Männer, mit denen
       ich gemeinsam in einem Speisesaal gesessen, in Zimmern übernachtet habe,
       nun unser Land überfallen, ist für mich eine große Enttäuschung, die mich
       sehr wütend auf meine früheren Kollegen macht.“
       
       Er glaubt, es ist ein Gewinn für die Ukraine, dass auf ihrer Seite Männer
       kämpfen, die die russische Armee von innen kennen. „Ich weiß, wie die
       Russen ticken, kann mich in sie hineinversetzen. Die hingegen verstehen uns
       nicht.“ Oftmals könne er schon erahnen, was der Feind gegenüber vorhabe.
       Und diese Intuition habe schon unzähligen ukrainischen Soldaten das Leben
       gerettet. Aber warum ist er sich so sicher, dass sich die Russen nicht in
       die Ukrainer hineinversetzen können?
       
       Dmytro erinnert an die ersten Kriegstage: „Die Russen haben wirklich
       geglaubt, sie würden in der Ukraine mit Brot und Salz empfangen und wären
       in wenigen Tagen bereits im Zentrum von Kyjiw.“ Dass die Ukrainer nicht von
       ihnen beherrscht werden wollen, schien den Russen einfach nicht in den Kopf
       zu gehen.
       
       Außerdem seien die Informationen der Russen über die Ukraine ebenso
       überholt wie ihr Bild von den Menschen im Land. „Vor einigen Monaten wurde
       eine Straße im Zentrum von Charkiw beschossen. Militärisch hat dieser
       Beschuss überhaupt keinen Sinn gemacht“, sagt Dmytro. An der betreffenden
       Stelle hatte vor 20 Jahren eine militärische Einrichtung gestanden.
       „Offensichtlich arbeiten die Russen mit sehr veralteten Karten und
       Informationen“, sagt er. „Wir haben da schon eine bessere Aufklärung und
       eine bessere Spionage.“
       
       Konkreter will er nicht werden. Er könne doch nicht mit einem Ausländer
       über das operative Geschäft an der Front plaudern. Lieber will er über die
       „naiven Deutschen“ sprechen. „Ihr Deutschen jedenfalls“, sagt er, „werdet
       die Russen wohl erst verstehen, wenn sie schon in Berlin sind.“ Das
       Gespräch ebbt ab, Dmytro trinkt noch einen Schluck Whisky, legt sich zur
       Seite, sieht sich auf seinem Smartphone einen russischen Krimi an. Wenige
       Minuten später ist der Mann, der von sich sagt, dass er nichts so hasse wie
       Russland, eingeschlafen.
       
       So viel Patriotismus wie der Offizier Dmytro können Xenia und Nastja nicht
       aufbringen. Die zwei Frauen, beide Anfang 40, sind ein lesbisches Paar. Sie
       haben Angst vor den russischen Truppen und wollen nicht eines Tages unter
       russischer Herrschaft leben müssen. Und gerade für sexuelle Minderheiten
       sei das Leben in Russland sehr schwer. Gleichwohl sind sie der Auffassung,
       dass nicht genug verhandelt wird. „Ein schlechter Frieden ist besser als
       ein guter Krieg“, sagen sie unisono.
       
       Sie leben nun schon zehn Jahre zusammen, mitten in Saporischschja. Lange
       haben sie aus ihrer Liebe keinen Hehl gemacht.
       
       Aber in letzter Zeit sind beide vorsichtig geworden. Xenia ist
       Bauarbeiterin. Und als solche arbeitet sie ausschließlich mit Männern
       zusammen. Und die hätten wenig Verständnis, wenn sie in Erfahrung bringen
       würden, dass sich Xenia aus Männern nichts mache. „Da kann man vergewaltigt
       werden“, sagt Xenia. „Wenn die das erfahren, kann vielleicht einer meinen,
       er müsste mir mal so richtig zeigen, was ein Mann ist. Und auf dem Bau gibt
       es ja viele Gelegenheiten, ungestört Dinge zu machen, die verboten sind.“
       
       Nur noch selten gehen sie gemeinsam einkaufen. Zweimal seien sie von einem
       Kollegen von Xenia gesehen worden. Nastja, die aktuell Verkäuferin ist,
       aber Psychologie studiert hat, hatte vor einiger Zeit Gesprächskreise für
       LGBT-Personen organisiert. Und da hatte sie etwas gesehen, was sie zuerst
       nicht glauben konnte: Sehr einflussreiche Beamte, Politiker und Anwälte
       seien unter den Gästen gewesen. Niemand wollte, dass seine Orientierung
       öffentlich wird. Und so hatte der eine der Form halber eine Ehefrau, die
       andere lebte mit ihrer vermeintlichen Tante zusammen.
       
       Männer hätten es im Allgemeinen noch schwerer, ihre Orientierung zu
       verbergen, sagt Nastja. Außerdem sei die Gesellschaft schwulen Männern
       gegenüber noch intoleranter als gegenüber lesbischen Frauen. Die Angst vor
       übergriffigem Verhalten von intoleranten Mitbürgern hat bei beiden
       zugenommen. Sie sagen, gerade jetzt im Krieg sei es für sexuelle
       Minderheiten schlimmer geworden.
       
       ## Xenia und Nastja verstecken ihre Liebe. Das haben sie früher nie getan
       
       Es werde mehr Alkohol getrunken, die Drogensucht greife um sich. Männer,
       die vom Krieg zurückgekehrt sind, seien oft aggressiv und aufbrausend,
       fühlten sich schon von Kleinigkeiten provoziert. Und solche Männer
       reagierten schnell gereizt auf Frauen, die händchenhaltend durch den Block
       gehen. Aber das tun Xenia und Nastja schon länger nicht mehr.
       
       Stattdessen verheimlichen sie ihre Beziehung. Das haben sie früher nie,
       also vor dem Krieg.
       
       Neulich seien sie wieder einmal gemeinsam beim Einkaufen gewesen. „Und als
       wir rauskamen, saßen uns vier betrunkene Männer gegenüber“, erzählt Nastja.
       „Wir haben uns sofort getrennt, sind in verschiedene Richtungen gegangen.
       Einfach, damit die nicht merken, dass wir zusammengehören. Aber einer der
       vier hat uns wohl schon mal gemeinsam im Geschäft gesehen. Und dann sind
       die mir laut lachend und grölend und mit sexuellen Andeutungen
       hinterhergegangen. Diese Begegnung hätte leicht ein unangenehmes Ende
       nehmen können.“
       
       Beide sagen, sie seien müde geworden, sich immer verbergen zu müssen.
       
       Sollte ihre Heimatstadt jemals von Russland kontrolliert werden, wäre die
       Lage der sexuellen Minderheiten noch schlimmer. In der Ukraine gibt es zwar
       eine homophobe Gesellschaft, gleichzeitig aber einen sehr toleranten Staat.
       „Der ukrainische Staat diskriminiert uns nicht“, sagt Nastja. „Wenn man mal
       davon absieht, dass wir nicht heiraten dürfen, wir im Krankenhaus als
       Fremde gelten. Doch insgesamt ist der ukrainische Gesetzgeber uns gegenüber
       tolerant.“
       
       In Russland ist nicht nur die Gesellschaft homophob, sondern auch der
       Staat. Er verfolgt sexuelle Minderheiten per Gesetz, mit Justiz und
       Polizei, per Geldstrafe und Gefängnis.
       
       Angst haben Xenia und Nastja auch vor dem Winter. Aktuell gibt es sehr
       unterschiedliche Prognosen, wie der kommende Winter werden soll. Keinen
       Grund zur Besorgnis sieht der Energieexperte Gennadi Rjabzew vom
       wissenschaftlich-technischen Zentrum Psicheja, zu Deutsch „Psyche“. Der
       nächste Winter werde kaum schlimmer werden als der letzte, zitiert ihn die
       staatliche ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform. Anstatt drei bis vier
       Stunden, wie im letzten Winter, werde der Strom dieses Jahr wohl täglich
       vier bis fünf Stunden ausfallen, prognostiziert Rjabzew.
       
       So viel Optimismus hat der Abgeordnete Serhi Nagornjak, der für die
       Regierungsfraktion im Ausschuss für Energie und kommunale Leistungen sitzt,
       nicht. Er geht davon aus, dass die Verbraucher im Winter täglich zehn
       Stunden auf Strom werden verzichten müssen. Und Wolodymyr Kudrizki,
       Vorstandschef des Übertragungsnetzbetreibers Ukrenergo, meint, dass die
       Ukrainer im schlimmsten Fall im Winter nur fünf bis sechs Stunden Strom pro
       Tag haben werden, zitiert ihn die Ukrajinska Prawda.
       
       Stanislaw Ignatjew, Vorstandsvorsitzender der Ukrainischen Assoziation für
       erneuerbare Energie, fürchtet gar, dass Bewohner von Hochhäusern ab dem 9.
       Stock möglicherweise weder Heizung noch fließendes Wasser haben werden.
       Schließlich brauche man für funktionierende Heizungen Pumpen. Und die
       funktionierten nun mal nur mit Strom.
       
       ## Es gibt einen Ort, an dem sich Menschen ihr Leid von der Seele reden
       können
       
       Die Angst vor dem Winter sei eine von zwei großen Sorgen, die aktuell das
       seelische Leben der Menschen in der Ukraine am meisten prägten, sagt Alexej
       Garkuscha. Garkuscha ist Pastor der mennonitischen Gemeinde von
       Saporischschja und Militärgeistlicher. Als solcher führt er viele schwere
       Gespräche mit seinen Gläubigen. Alle würden derzeit trotz der sommerlichen
       Temperaturen an den Winter denken. Außerdem gebe es kaum noch jemanden in
       der Ukraine, der nicht einen Bekannten oder Verwandten habe, der an der
       Front ums Leben gekommen sei. Und das führe zu einer großen Verbitterung
       bei den Menschen.
       
       Eine ganze Etage Platz hat das „Zentrum zur Unterstützung von evakuierten
       Bewohnern der Stadt Enerhodar“ in einem Gebäudekomplex der Universität von
       Saporischschja in der Nesaleschnoj Ukrainy-Straße. Wer die Aula der
       Universität betritt, erlebt ein emsiges Treiben. So dreht sich mitten im
       Sommer bei weit über 30 Grad eine Frau mit einem Pelzmantel vor einem zwei
       Meter großen Spiegel. Auch sie denkt schon im Sommer an den Winter.
       
       An mehreren Tischen warten Frauen auf Bürgerinnen und Bürger von Enerhodar,
       die aktuell in Saporischschja leben. Hier hat man immer eine
       Gesprächspartnerin, kann sich das Leid von der Seele reden, und vor allem
       kann man sich registrieren lassen.
       
       Und wenn man sich erst mal als Bürger von Enerhodar registrieren lässt,
       kann man sich hier in der Kleiderkammer bedienen, man hat Anrecht auf
       humanitäre Hilfe, sprich: auf Nahrungsmittel wie Mehl, Nudeln, Getreide,
       Milch und Fleisch. Man kann sich auch mal kostenlos die Haare schneiden
       lassen. Mehrere Generatoren sorgen dafür, dass die Etage nie ohne Strom
       ist. „Leider ist die humanitäre Hilfe aus dem Ausland in jüngster Zeit
       weniger geworden“, sagt Dmytro Orlov, Bürgermeister von Ernerhodar, im
       Gespräch mit der taz.
       
       Obwohl viele Bewohner Saporischschja wegen des Krieges verlassen haben, ist
       es in der Stadt nicht leerer geworden. Während die einen gegangen sind,
       sind andere gekommen. Es sind Menschen, die nicht in den von den Russen
       besetzten Gebieten leben wollen und Menschen, die aus noch heftiger
       umkämpften Gebieten in die Stadt ziehen, weil sie sich hier sicherer
       fühlen.
       
       Eine von denen, die seit Beginn von Russlands großangelegter Invasion in
       Saporischschja leben, ist Galina. Sie stammt aus dem 70 Kilometer
       entfernten Bezirk Wassyliwka. Vor dem Krieg fuhr sie drei Mal die Woche zur
       Dialyse nach Saporischschja. Kurz nach dem 24. Februar 2022 kehrte sie von
       einer Dialyse im Nefro Zentrum nicht mehr in ihr Zuhause zurück. Das hatte
       inzwischen die russische Armee besetzt.
       
       Ursprünglich wurde das Nefro Zentrum als Tagesklinik für Nierenkranke
       konzipiert, die eine Dialyse brauchen. Doch die Verantwortlichen im
       Krankenhaus fanden schnell eine Lösung für Galina und 17 weitere Patienten,
       die nicht mehr in ihre inzwischen besetzten Ortschaften zurück konnten. Sie
       richteten kurzerhand eine Art Hostel in der Klinik ein.
       
       ## Kranke Menschen aus den von Russland besetzten Gebieten wohnen im
       Krankenhaus
       
       In diesem Hostel für Nierenkranke lebt Galina nun schon seit März 2024. Und
       die dabei anfallenden Kosten für Strom, Wasser, Heizung trage das
       Krankenhaus, sagt die stellvertretende Chefärztin Waleria Wasiliwna. Zurück
       in ihren von Russland besetzten Heimatort will Galina nicht. Dort sei
       [1][die Versorgung viel schlechter als in Saporischschja]. Wer eine
       kritische Meinung äußere, müsse damit rechnen, von den Besatzern
       verschleppt zu werden.
       
       180 Patienten betreue man, sagt Wasiliwna. Und die erhielten alle drei Mal
       in der Woche in zwei Schichten eine Dialyse. Eigentlich war die Klinik für
       drei Schichten von jeweils sechs Stunden dauernden Dialysen pro Tag
       konzipiert. Doch durch die seit Kriegsbeginn geltende nächtliche
       Ausgangssperre von 12 bis 5 Uhr morgens könne man nur noch zwei Schichten
       anbieten.
       
       Sorgen machen Sergej Makarenko, der für die Öffentlichkeitsarbeit der
       Klinik verantwortlich ist, die Dialysepatienten in der Nefro-Klinik im seit
       März 2022 von den Russen besetzten Enerhodar. Für eine gute Dialyse sei
       absolut reines Wasser wichtig. Und er bezweifelt, dass die
       Wasseraufbereitung in Enerhodar wirklich funktioniert. Die 130 Kilometer
       von Saporischschja entfernte Stadt habe große Probleme mit der
       Wasserversorgung.
       
       Makarenko ist selbst nierenkrank. Er sagt: „Diese Klinik ist mein Leben,
       mein Krankenhaus, mein Arbeitsplatz und mein Zuhause.“
       
       Makarenko sagt, die Zusammenarbeit mit der Firma Fresenius sei gut. Das
       Krankenhaus nutzt deren Ausrüstung und das Verbrauchsmaterial für die
       Dialysen. Fresenius Medical Care Ukraine hat in den ersten drei Monaten des
       Krieges die Dialysestation im zum damaligen Zeitpunkt bereits besetzten
       Enerhodar mit Verbrauchsmaterial kostenlos beliefert. Saporischschja diente
       als Zwischenlager auf diesem Weg.
       
       Doch nach drei Monaten ließen die Russen die Transporte nicht mehr auf das
       von ihnen besetzte Gebiet. Damit endete die humanitäre Hilfe von Fresenius.
       Dabei könnte man die auch in Saporischschja gut gebrauchen, sagt Sergej
       Makarenko. Die Zahl der Dialysebedürftigen nehme zu.
       
       Unterdessen bemüht sich Andrej Chodakowski darum, ein anderes Krankenhaus
       mit Solarzellen auszustatten. Chodakowski ist für den Einkauf der Klinik
       Nr. 9, eine der größten Kliniken in der Stadt, verantwortlich. Er sagt,
       eine autarke Energieversorgung sei existentiell. Und dass die ukrainische
       Regierung sofort nach dem ersten russischen Angriff auf ukrainische
       Kraftwerke im großen Stil Solarzellen und Windräder hätte bauen sollen. Die
       Klinik Nr. 9 ist nicht die einzige Klinik in Saporischschja, die
       energetisch autark sein will.
       
       Auch die Kinderklinik der Stadt hat im April mit einem gemeinsamen
       Memorandum mit der Umweltgruppe Ecoclub die Voraussetzungen für die
       Installation von Solarzellen auf ihren Dächern geschaffen.
       
       ## Xenia und Nastja werden ihr selbst gebautes Haus zurücklassen
       
       Wehmütig sieht Xenia, die Bauarbeiterin, ihr Häuschen in einer
       Datschensiedlung am Stadtrand von Saporischschja an. Nur einige hundert
       Meter weiter sind Felder, irgendwo in der Ferne Dörfer. Es ist idyllisch
       hier. Die nächste Straße ist 500 Meter entfernt, kein Lärm ist zu hören.
       Nur der Schäferhund, der an seiner Kette zerrt, knurrt manchmal. Im Garten
       vor dem Haus wachsen Tomaten, Zucchini, Äpfel, Birnen.
       
       Nichts hat vor ein paar Jahren auf diesem 60 Quadratmeter großen Areal
       gestanden, das den Eltern von Xenias Partnerin Nastja gehört. Nastjas Vater
       ist Bauarbeiter, wie Xenia. Vor ein paar Jahren haben sie beide gemeinsam
       dieses Zweizimmerhaus mit offenem Kamin gebaut. Eigentlich wollte Xenia
       hier viele Jahre mit Nastja verbringen. Doch nun ist der Abschied nahe.
       
       Irgendwann im September oder Oktober werden sie nach Deutschland reisen,
       haben Nastja und Xenia beschlossen. Sie würden am liebsten in einer Stadt
       mit einer starken LGBT-Szene wohnen. Von da wollen sie vorerst nicht
       zurückkommen. „Wir haben hier keine Perspektiven mehr“, sagt Xenia
       nachdenklich und zieht an ihrer Zigarette.
       
       19 Aug 2024
       
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