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       # taz.de -- Schriftsteller Klaus Modick über Moore: „Kaum jemand feiert die Sümpfe“
       
       > Die UN-Biodiversitätskonferenz steht an. Der Schriftsteller Klaus Modick
       > spricht über die Schönheit des Moors und die Ästhetisierung bedrohter
       > Natur.
       
   IMG Bild: „O schaurig ist’s, über’s Moor zu gehn“: Otto Modersohn, „Herbstwetter“ (1899)
       
       taz: Herr Modick, lassen Sie uns über Wiesen und Moore sprechen, denn bald
       ist wieder UN-Naturkonferenz. Zwei Wochen lang wird das Artensterben etwas
       Öffentlichkeit bekommen und damit auch all die Vögel, Frösche und Insekten,
       die bunte Wiesen und nasse Moore zum Leben brauchen, in Deutschland aber
       kaum noch finden sind. Liegt das auch daran, dass Grünland, im Gegensatz
       zum Wald, in der Kunst wenig und wenn, dann lapidar dargestellt wird? 
       
       Klaus Modick: Das muss man differenzieren. Wiesen wurden immer lieblich,
       auch erhaben dargestellt. Zum Beispiel die wunderschöne Wiese auf dem
       berühmten Bild „Hirtenknabe“ von Franz von Lenbach. Bei Moorlandschaften
       ist das etwas anderes, das sind klassische Hintergründe für
       Schauergeschichten, dort geht es häufig unheimlich und bedrohlich zu.
       Denken Sie an „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff, oder gar
       „Wir sind die Moorsoldaten“ von den Häftlingen des KZ Börgermoor.
       
       taz: In Ihrem Roman „Konzert ohne Dichter“ ist das Moor eigentlich ganz
       heiter … 
       
       Modick: Das haben die Künstler der Malerkolonie Worpswede so gesehen. Sie
       haben in ihren Werken die Schönheiten des Teufelsmoores herausgearbeitet,
       aber auch seine Kargheit, seine Dunkelheit. Für diese Maler war die
       Moorlandschaft das genaue Gegenteil eines Ateliers, das war der Punkt. Die
       wollten raus aus der akademischen Salonmalerei in die freie Landschaft, an
       die frische Luft. In seiner Mischung aus Lieblichkeit und Grusel war das
       Moor der ideale Ort dafür, ein idealer Kontrast zum stickigen Atelier.
       
       taz: „Das Teufelsmoor ist schön, aber des Schrecklichen Anfang“, lassen Sie
       Rilke sagen …
       
       Modick: … das ist ein Zitat aus Rilkes „Duineser Elegien“. Im Roman
       bezeichnet es treffend die Widersprüchlichkeit des Moores. Es ist schön,
       aber auch furchterregend, und es kann sogar tödlich sein. Man denke an die
       sprichwörtlichen Moorleichen. „Gar schaurig ist’s, übers Moor zu gehen,
       wenn es wimmelt vom Heiderauche“, heißt es bei Droste-Hülshoff. Das ist
       also eine widersprüchliche und eben deshalb reizvolle Sache mit dem Moor.
       Intakte Moorlandschaften haben diese merkwürdige Ambiguität: Da ist
       Kompostierung im Gange, aus lebendiger Substanz wird Moor, und das hat
       etwas von Vergänglichkeit und zugleich von Üppigkeit und Fruchtbarkeit.
       Ganz anders als beim Sumpf übrigens, der ja immer nur schrecklich ist, auch
       umgangssprachlich. Man versumpft, steckt in einem Sumpf, und wo Sumpf ist,
       sind Abgrund, Tod und Verderben nicht weit. Der Sumpf verschlingt und ist
       böse. Dabei sind Sümpfe bekanntlich wichtig für den Wasserhaushalt, auch
       als CO2-Speicher. Man denke an die Mangroven, das sind Brackwassersümpfe,
       denen es weltweit schlecht geht. Trotzdem feiert kaum jemand die Sümpfe,
       abgesehen vom sogenannten Swamp-Rock oder der Cajun-Musik.
       
       taz: Sie sind in [1][Oldenburg] geboren und aufgewachsen, von Mooren
       umgeben. Welche Rolle haben die in Ihrer Kindheit gespielt? 
       
       Modick: In den 50er Jahren wurde in der Stadt Oldenburg noch viel mit Torf
       geheizt, auch in meinem Elternhaus. Da kamen dann die Torfbauern aus den
       Fehndörfern …
       
       taz: … Fehn? 
       
       Modick: … ja, das ist ein niederdeutsches Wort. Aus diesen Moordörfern
       wurde der Torf gebracht, in den 50er Jahren manchmal noch mit
       Pferdegespannen. An den Häusern waren unter den Giebeln Haken, an denen
       wurde der Torf in großen Körben auf die Dachböden gehievt. Der musste unter
       den Dachboden und durfte nicht in den Keller, weil er trocken lagern
       musste. Der Brennwert ist gering, aber die Wärme der Torföfen war angenehm,
       mild, gut riechend. Es gab noch kein Problembewusstsein, dass dadurch das
       Moor verschwindet. Irgendwann hörte es auf, da kamen dann Heizöl und
       Erdgas.
       
       taz: Die Trockenlegung von Mooren gilt ja heute noch als kulturelle
       Leistung. 
       
       Modick: Das war sie auch, erbracht unter großen Opfern. Die Moorbauern sind
       in den Fehndörfern angesiedelt worden, um Land urbar zu machen und
       Brennstoff zu liefern. Aber es hat hundert Jahre gedauert für eine Familie,
       bevor ihr eine Torfwirtschaft ein extrem bescheidenes Leben ermöglicht hat.
       Sie brachte der ersten Generation den Tod, der zweiten die Not, der dritten
       das Brot, hieß es damals. Heute ist das fruchtbares Weideland, hervorragend
       für Milchwirtschaft geeignet.
       
       taz: Lässt sich so eine historische Erfahrung umerzählen? Also, lässt sich
       erzählen, dass die Urbarmachung der Moore kein zivilisatorischer Akt war,
       sondern ein Akt der Zerstörung, den wir rückgängig machen müssen? 
       
       Modick: Kaum. Natürlich war das aus heutiger Sicht ökologischer Selbstmord,
       aber wenn Sie die Trockenlegung und Urbarmachung rückgängig machen wollen,
       dann kommt der Milchbauer mit dem Trecker und Berlin steht still. Dann hat
       die Politik alles nicht so gemeint und trocknet die Wiedervernässung wieder
       aus.
       
       taz: Natur hat gerade literarisch Konjunktur, [2][das Nature Writing
       boomt]. Dabei haben die Leser:innen doch immer weniger Bezug zur Natur.
       Zum Beispiel haben wohl nur wenige mal ein intaktes Moor gesehen – 95
       Prozent der Moorflächen in Deutschland sind tot, trockengelegt, die meisten
       sind Weideland. 
       
       Modick: Gerade darum floriert das ja. Es gibt einen hintergründigen Satz
       von Walter Benjamin: „Was zu verschwinden droht, wird Bild.“ Man könnte
       auch sagen, was zu verschwinden droht, wird Literatur oder Kunst. Gerade
       die Dinge und Erfahrungen, die uns entgleiten, die verloren gehen, weil wir
       sie zerstören, werden mythisiert und bekommen eine ästhetische Qualität,
       die sie an sich gar nicht haben. Den „edlen Wilden“ gibt es erst in dem
       Moment, in dem die Native Americans ausgerottet werden, und das Moor
       erscheint ästhetisch reizvoll, als es zu verschwinden droht. So werden
       Bilder und Texte zu einer Art künstlerischem Naturkundemuseum. Literatur
       beschränkt sich nicht darauf, Dinge zu beschreiben, die vorhanden sind. Und
       Rezeption von Kunst ist nicht nur einfach ein Wiedererkennen von etwas, das
       man sowieso schon im Kopf hat. Das würde ja bedeuten, wir Schriftsteller
       und Maler zeigen euch nur das, was ihr sowieso schon wusstet. Zumindest
       geht es darum, etwas so darzustellen, dass es den Rezipienten neue
       Blickwinkel ermöglicht.
       
       taz: In der Novelle „Moos“ erzählen Sie von einem alten Mann und seiner
       Annäherung an die Natur und lassen ihn dabei quasi vermoosen. Am Ende ist
       er tot. Einerseits beschreiben Sie Natur als etwas sehr Verletzliches,
       andererseits ist sie es, die am Ende übrig bleibt. 
       
       Modick: Wir leben nun mal in einer denkwürdigen Dialektik. Je
       zerstörerischer wir mit unserer Umwelt umgehen, desto größer wird das
       Bewusstsein für die Notwendigkeit ihres Erhalts. Wie wir wissen, ist das
       bis jetzt nicht aufgelöst, wir sägen immer weiter munter am eigenen Ast.
       Weil sich die Klimakrise in den letzten zehn Jahren so dramatisch
       zugespitzt hat, ist diese Thematik natürlich absolut virulent – allerdings
       auch nicht neu. Über die Natur und ihre Zerstörung ist schon vor 200 Jahren
       geschrieben worden. Wilhelm Raabe beschreibt in „Pfisters Mühle“ schon Ende
       des 19. Jahrhunderts, wie Chemikalien eine ganze Landschaft verseuchen,
       oder, noch früher, Albrecht von Haller in seinem Gedicht „Die Alpen“. Da
       preist er das naturnahe Landleben, weil er schon in Kontakt mit früher
       Industrialisierung und Bergbau gekommen ist. Das gibt es schon lange, aber
       inzwischen hat wohl auch der Letzte begriffen, dass es so nicht weitergeht,
       weil unsere Erde unbewohnbar wird. Daher der Boom des Nature Writing in den
       letzten Jahren.
       
       taz: Wenn die Natur sich allerdings erholt und zurückkommt, trifft sie auf
       Gegenwehr. Gegen Wölfe in Wäldern oder Moore statt Weiden regt sich sofort
       Widerstand. Wie könnte man die Erkenntnis des Verlusts transformieren in
       den Wunsch, etwas wirklich zu bewahren und dann auch die Folgen
       hinzunehmen? 
       
       Modick: Darauf weiß ich keine Antwort. Wenn jemand findet, eine Autobahn
       sei wichtiger als ein Moor, dann werde ich den kaum vom Gegenteil
       überzeugen können. Kunst und Literatur haben ihre Grenzen an den Interessen
       der Ökonomie; das war leider schon immer so. Wenn ich mir vorstelle, ich
       wäre in einer Versammlung, in der Milchbauern darüber diskutieren, ob ihr
       Land renaturiert wird, und ich würde da ein Bild aus Worpswede hochhalten
       oder Annette von Droste-Hülshoff zitieren, dann würden die Bauern mich
       bestenfalls auslachen. Wenn entschieden wird, ein Moor wieder zu vernässen,
       dann geschieht das, weil es klimapolitisch geboten ist, weil Moore riesige
       CO2-Speicher sind und das Wasser in der Landschaft halten. Das sind
       Argumente, die zählen.
       
       taz: Könnte man nicht auch argumentieren, das Ungezähmte, Gefährliche,
       Unzivilisierte zu erhalten oder wieder zuzulassen, sei die einzige
       sinnvolle Antwort auf die Natur- und Artenkrise? 
       
       Modick: Das wäre wünschenswert. Ich bin aber skeptisch, was die Wirkmacht
       von Kunst und Literatur angeht. Wir Künstler haben natürlich ein Interesse
       daran, dass Natur, Moore, Sümpfe erhalten bleiben. Die liefern ja
       Inspiration und Motive. Aber wer Straßen baut oder Milchkühe hält, für den
       hat Landschaft eine andere Bedeutung. Vielleicht können wir uns darauf
       einigen, der Natur Flächen zur Verfügung zu stellen, große Nationalparks
       wie der Yellowstone Park in den USA. Der ist ja so groß, dass er mehr
       darstellt als ein Naturmuseum. Dort kann sich Natur noch wirklich
       entfalten.
       
       taz: [3][Nordrhein-Westfalen scheitert] gerade am Widerstand der
       Bevölkerung, einen zweiten Nationalpark einzurichten. 
       
       Modick: Tja, wenn das so ist, stehen Sie auch als Schriftsteller oder
       Maler, dem die Natur am Herzen liegt, auf verlorenem Posten. Wir können nur
       zähneknirschend oder meinetwegen mit einer Träne im Auge danebenstehen. Und
       über das schreiben, was verloren geht.
       
       20 Oct 2024
       
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