# taz.de -- Journalist angeklagt: Wegen Zitaten vor Gericht
> Ein Hamburger Journalist steht vor Gericht, weil er aus Akten eines
> laufenden Verfahrens zitiert hat. Er hält das Verfahren für
> Einschüchterung.
IMG Bild: Zitierfähig – aber nur indirekt: noch ist zum Ärger einiger Journalist:innen das direkte Zitieren aus Gerichtsakten verboten
Hamburg taz | Anfang September beginnt vor dem Hamburger Amtsgericht ein
Verfahren gegen Carsten Janz: Die Staatsanwaltschaft wirft dem Journalisten
vor, aus den Akten eines unabgeschlossenen Verfahrens zitiert zu haben.
Damit hätte J. gegen den wohl nur Fachkreisen bekannten [1][Paragrafen 353d
des Strafgesetzbuchs] zu verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverfahren
verstoßen. Das wäre erst einmal von geringem Interesse. Aber Janz sieht
einerseits ein privates Interesse der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren
und will andererseits den Prozess nutzen, um den Paragrafen, den er für
„pressefeindlich“ hält, grundsätzlich prüfen zu lassen.
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Artikel von Janz über Ermittlungen der
Hamburger Staatsanwaltschaft nach einem [2][Amoklauf gegen die Zeugen
Jehovas mit sieben Toten]. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen
[3][Mitglieder des Waffenausschusses, der dem Täter die waffenrechtliche
Erlaubnis ausgestellt hatte], ermittelt. Doch eine Hausdurchsuchung bei
einem der Ausschussmitglieder wurde von einem Hamburger Gericht wegen
mangelnden Tatverdachts als rechtswidrig erklärt.
Aus eben diesem 13-seitigen Beschluss des Landgerichts in Hamburg zitierte
Janz [4][in seinem Text für t-online] – und zwar noch vor Abschluss des
Verfahrens. Dort heiße es wörtlich, schreibt Janz, dass die Durchsuchung
bei Murat B. rechtswidrig sei, weil „zum Zeitpunkt ihres Erlasses der
erforderliche Anfangsverdacht einer Straftat nicht vorlag“. Weiter zitiert
er das Gericht, dass sich der vorgeworfene Sachverhalt „jedoch unter keinem
Gesichtspunkt unter einen Straftatbestand“ zusammenfassen“ lasse. Die
Passagen finden sich rot angestrichen in der Akte zu seinem Verfahren, das
mit einem Strafbefehl über 3.200 Euro endete.
Gegen den will sich Janz am 3. September vor Gericht wehren, prominent
vertreten vom Hamburger Anwalt Gerhard Strate. Für den
Investigativ-Journalisten Janz, der zunächst als freier Mitarbeiter beim
NDR arbeitete und derzeit Redakteur bei t-online ist, lässt sich das
Verfahren als „klarer Versuch von Einschüchterung“ deuten. Das hängt für
ihn mit vergangenen Recherchen zusammen: Er hat über die sogenannte
[5][Ticket-Affäre] berichtet, bei der es um teure St.-Pauli-Freikarten für
den heutigen Hamburger Innensenator Andy Grote, den Hamburger Polizeichef
Ralf Meyer sowie den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos)
ging.
## Kritische Berichte über den Generalstaatsanwalt
Der Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich habe von Ermittlungen abgeraten,
heißt es in einem Beitrag von Janz für den NDR, in dem er die Frage stellt:
„Hat er das möglicherweise getan, um eine öffentliche Diskussion im Vorfeld
der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2020 zu vermeiden?“ Damit stand im Raum,
dass der Generalstaatsanwalt den SPD-Politiker Grote hatte schonen wollen.
Im Anschluss bat Fröhlich um ein Disziplinarverfahren gegen sich, um die
Vorwürfe auszuräumen; die Justizbehörde fand dann keine Belege für ein
Fehlverhalten Fröhlichs.
Carsten Janz erscheint es bemerkenswert, dass die Generalstaatsanwaltschaft
in seinem Fall tätig geworden ist: „Der Fall ist zu hoch aufgehängt“, sagt
er. Auf Anfrage der taz schreibt die Sprecherin der Hamburger
Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering: „Das Verfahren wurde durch die
Generalstaatsanwaltschaft (Zentralstelle Staatsschutz) von Amts wegen
eingeleitet, da sich während der Ermittlungen gegen Mitglieder eines
waffenrechtlichen Prüfungsausschusses strafrelevante Anhaltspunkte in der
Presseberichterstattung des Beschuldigten ergaben.“ Wie häufig solche
Verfahren sind? Die Zahl wird nicht erhoben.
Für Janz ist sein Fall ideal geeignet, um den „missbräuchlichen Charakter“
des Paragrafen 353d zu zeigen: „Es hätte inhaltlich nichts verändert, wenn
ich nicht wörtlich zitiert hätte“, sagt er. Grundsätzlich sei es im
investigativen Journalismus wichtig, wörtlich zitieren zu können, um
komplizierte Sachverhalte präzise darstellen zu können.
Er sieht seinen Fall verwandt mit dem des Journalisten und Leiter der
Rechercheplattform [6][„Frag den Staat“, Arne Semsrott. Der hat
Gerichtsbeschlüsse aus einem laufenden Strafverfahren gegen Mitglieder der
„Letzten Generation“ veröffentlicht] und damit bewusst eine Anzeige in Kauf
genommen, um prüfen zu lassen, ob der Paragraf verfassungsrechtlich Bestand
hat. Das Verfahren gegen ihn soll im Herbst in Berlin beginnen.
## Journalistenverband für Reform des Paragraphen
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat nach Semsrotts Veröffentlichung
den Bundestag dazu aufgefordert, den Paragrafen 353 zu reformieren. „Es
muss Journalistinnen und Journalisten erlaubt sein“, so der
DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster, „in ihrer Berichterstattung über
wichtige Verfahren Gerichtsdokumente zu veröffentlichen, solange sie die
Privatsphäre Betroffener respektieren.“
Auf der anderen Seite gibt es Juristen wie den [7][Münchner
Rechtswissenschaftler Thomas Fischer, der in einem Beitrag für Legal
Tribune online] den Schutzcharakter des Paragraphen für Prozessbeteiligte
betont: Die Beschränkung auf indirekte Zitate ziehe eine Grenze zwischen
„staatlichem und Medien-Verfahren“ – und genau das trage „dem Grundrecht
der Pressefreiheit Rechnung und vermeidet zugleich eine willkürliche
formale Vermischung von staatlicher und privater Sphäre“.
12 Aug 2024
## LINKS
DIR [1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353d.html
DIR [2] /Amoktat-gegen-Zeugen-Jehovas-in-Hamburg/!5999298
DIR [3] /Ein-Jahr-nach-Amoktat-in-Hamburg/!5997050
DIR [4] https://www.t-online.de/region/hamburg/id_100300112/hamburg-amoklauf-bei-zeugen-jehovas-durchsuchung-rechtswidrig.html
DIR [5] /Ganz-repraesentativ-gejubelt/!5619051/
DIR [6] /Arne-Semsrott-ueber-seine-Anklage/!5992152
DIR [7] https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-an-fischer-bundesrichter-353d-frag-den-staat
## AUTOREN
DIR Friederike Gräff
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