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       # taz.de -- Prozesse um Reichsbürger-Putschpläne: Mit Astrologie in den Umsturz
       
       > Die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann wird von ihrer
       > Ex-Mitarbeiterin und Astrologin Hildegard L. belastet. Die gibt sich vor
       > Gericht unwissend.
       
   IMG Bild: Birgit Malsack-Winkemann im Gerichtssaal in Frankfurt
       
       München taz | Als die Angeklagte Birgit Malsack-Winkemann jüngst vor dem
       Frankfurter Oberlandesgericht zum ersten Mal das Wort ergriff, tat sie das
       in aller Ruhe. Die AfD-Politikerin, die als Teil der
       Reichsbürger-Verschwörung um Heinrich XIII. Prinz Reuß den gewaltsamen
       Umsturz in Deutschland geplant haben soll, gab sich überlegen,
       selbstbewusst, seriös. Ganz die promovierte Juristin, die sowohl ihr Amt
       als Richterin in Berlin als auch ihr Mandat im deutschen Bundestag stets
       mit maximalem Engagement sowie gesetzestreu ausgefüllt habe.
       
       Einige hundert Kilometer weiter südlich im Münchner Oberlandesgericht klang
       das nun ganz anders. Da war eine Malsack-Winkemann zu hören, die sich mit
       überschlagender Stimme beklagte, nicht länger „Richterin spielen“ zu
       wollen.
       
       Die auf die „widerliche“ AfD schimpfte, weil die sie nicht wieder als
       Bundestagskandidatin aufgestellt habe. Die erklärte, sie wolle etwas
       bewegen, aber das gehe „erst, wenn die Parteien abgeschafft sind und wir
       ein anderes System bekommen“. Und: nur mit Prinz Reuß.
       
       Es waren abgehörte Telefonate, die die 59-Jährige vor rund zwei Jahren mit
       [1][Hildegard L. geführt hat – einer Astrologin] aus dem hessischen
       Heppenheim, die ihre Mitarbeiterin im Bundestag gewesen war und ebenfalls
       der „Patriotischen Union“ um den Frankfurter Immobilienunternehmer Reuß
       angehört haben soll. Die 70-Jährige muss sich derzeit in München zusammen
       mit sieben weiteren mutmaßlichen Mitverschwörer*innen vor dem
       Staatsschutzsenat verantworten.
       
       ## Drei parallele Prozesse
       
       Insgesamt 26 Angeklagte gibt es in diesem Komplex, in drei parallelen
       Prozessen wird verhandelt. Hildegard L. ist die Erste des inneren Zirkels,
       die sich zu den Terrorismus- und Hochverratsvorwürfen der
       Bundesanwaltschaft geäußert hat. Tagelang sagte sie vor Gericht aus,
       beantwortete Fragen – und bekundete Reue: „Ich verdiene keinen Freispruch.“
       Was sie freilich nicht als Geständnis verstanden wissen wollte.
       
       Laut Anklage war Hildegard L. bereits dabei, als eine Runde um die früheren
       Bundeswehroffiziere Rüdiger von Pescatore und Maximilian Eder im Juli 2021
       erstmals beschlossen haben soll, einen bewaffneten Angriff auf den
       Bundestag vorzubereiten. Anschließend soll die „Astrohilde“, so ihr selbst
       gewählter Spitzname, nicht nur Malsack-Winkemann als Mitstreiterin gewonnen
       haben, sondern auch etliche weitere zentrale Akteure – von einem
       Stabsfeldwebel des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bis zum Betreiber eines
       verschwörungsideologischen Telegram-Kanals, der zum Pressesprecher der
       Gruppe werden sollte.
       
       Und sie soll an fast allen Sitzungen des „Rats“, der designierten
       Putschregierung unter Prinz Reuß, teilgenommen haben. Wo sie als Zuständige
       für das Ressort „Transkommunikation“ unter anderem die astrologische
       Zuverlässigkeit neuer Mitverschwörer*innen überprüft habe.
       
       ## Bei Androhung der Todesstrafe
       
       Nichts davon hat Hildegard L. in ihrer Aussage bestritten. Zugleich jedoch
       versuchte sie, sich selbst aus der Schusslinie zu manövrieren. Mal will sie
       nicht so genau zugehört haben, wenn die Pläne der „Patriotischen Union“
       besprochen wurden, mal habe sie die Dinge „nicht für so relevant gehalten“.
       Zum Beispiel ihre Unterschrift unter einer Erklärung zur „Reaktivierung
       Deutschlands“, mit der sie sich bei Androhung der Todesstrafe zur
       Verschwiegenheit verpflichtete.
       
       Mit den anderen Gruppenmitgliedern habe sie vor allem die Ablehnung der
       Corona-Politik verbunden, sagte Hildegard L., ansonsten habe sie ihr Tun
       als Beratungsauftrag verstanden. „Ich bin Geschäftsfrau, ich will Geld
       verdienen.“ In den abgehörten Gesprächen, die sie nicht nur mit
       Malsack-Winkemann führte, wirkt Hildegard L. freilich eher wie eine
       treibende Kraft.
       
       Wie eine zutiefst Überzeugte, die mit größter Selbstverständlichkeit
       Versatzstücke rechter Verschwörungserzählungen wie dem antisemitischen
       QAnon-Glauben aneinanderreiht oder ankündigt, dass zur „Befreiung“ in
       wenigen Tagen das Kriegsrecht verhängt werde, weltweit. Und die stolz
       erzählt, dass „der Chef“, wie sie Reuß durchaus ehrfürchtig zu bezeichnen
       pflegte, und „die Birgit“ gerade dabei seien, eine neue deutsche Verfassung
       zu entwerfen.
       
       Vielleicht auch deshalb lenkte Hildegard L. die Aufmerksamkeit vor Gericht
       lieber auf ihre ehemalige Arbeitgeberin. Mit Schusswaffen und
       Schießtrainings, wie sie auch die Vereinigung einmal organisierte, will die
       Sternendeuterin nichts zu tun gehabt haben. Das sei eine „Bubensache“,
       nichts für Frauen. „Birgit Malsack-Winkemann war in dieser Hinsicht eine
       Ausnahme.“ Auch mit dem Reichsbürger-Narrativ des angeblich fehlenden
       Friedensvertrags für die Bundesrepublik habe nicht sie sich beschäftigt,
       sondern die AfD-Politikerin. Und nur ihr zuliebe sei sie auch selbst in die
       AfD eingetreten.
       
       ## Wann denn endlich alles losgehe?
       
       Kaum ein gutes Haar lässt Hildegard L. an „der Birgit“. Was die
       AfD-Abgeordnete an ihrem Bundestagsmandat geschätzt habe? „Der
       Chauffeursdienst war ihr wichtig“, sagte die Ex-Mitarbeiterin. „Die
       Einladungen zu Veranstaltungen, die Flüge, die Erste-Klasse-Bahnfahrten –
       eben das, warum Abgeordnete an ihren Posten kleben.“ Und mit Blick auf die
       „Patriotische Union“, erzählte Hildegard L., habe Malsack-Winkemann immer
       wieder mit Fragen genervt, wann denn endlich alles losgehe. Nur deshalb
       habe sie ihr irgendwann gesagt: schon bald.
       
       Zumindest das mit dem Genervtsein könnte stimmen. In einem der Telefonate
       insistiert eine ziemlich unsicher klingende Malsack-Winkemann, ob sie denn
       immer noch „ausgewählt“ sei. „Das bist du, das bist du“, antwortet
       Hildegard L. mit deutlich hörbarer Ungeduld und beendet danach umgehend das
       Gespräch: „Ich muss jetzt Salat putzen.“
       
       9 Aug 2024
       
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