# taz.de -- Fischsterben in Italien: Notstand in der Perle der Toskana
> Nach dem großen Fischsterben in der Lagune von Orbetello leckt die Region
> ihre Wunden. 35 Grad warmes Wasser tötetet fast alles Leben.
IMG Bild: Ein Sardinen-Schwarm vor der italienischen Küste
Berlin taz | Jetzt liegt die Lagune still unter der Augustsonne, als wäre
nichts geschehen. Doch Ende Juli hat [1][ein großes Fischsterben]
apokalyptische Züge angenommen. Die italienischen Medien sprechen wahlweise
von „Inferno“ und „Disastro“. Videoaufnahmen zeigten ein Meer aus
Fischkadavern soweit das Auge reicht. Ungezählte Tonnen Fische, die
qualvoll erstickt sind und über viele Tage im Wasser trieben.
Zuvor, so heißt es, seien sie auf panischer Suche nach Sauerstoff zu
Tausenden an die Wasseroberfläche geschwommen. Doch bei Wassertemperaturen
von nie dagewesenen 35 Grad war die Lagune von Orbetello umgekippt. Der
reiche Fischbestand des Gewässers, in dem auch viele Aquakultur-Anlagen
stehen, hatte keine Chance.
Für die Region wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Der Gestank der
Verwesung war kilometerweit bis in den Nachbarorte Feniglia und Ansedonia
zu riechen. Auch dort waren die sonst dicht bevölkerten Strände fast leer.
Unter großen Anstrengungen wurden die Kadaver schließlich zusammengetrieben
und entsorgt. Es werde viele Jahre dauern, sagen die örtlichen Fischer, bis
die Fischbestände sich erholen, ein Millionenschaden.
## Alarm für die Tourismus-Branche
Aber nicht nur für die Fischerei, auch für den Tourismus ist das ein
schwerer Hieb. Die malerische Lagune, unweit von Grosseto, gilt als Perle
der Toskana. Ein Badeparadies und Naturschutzgebiet mit mehr als 200
Vogelarten, die im Süß- und Salzwassergemisch der Lagune heimisch sind. Der
Strand von Orbetello zählt zu den schönsten Italiens. Doch stinkende
Kadaver und Urlaubsfreuden vertragen sich schlecht. Und wer will sich im 35
Grad warmen Wasser noch erfrischen? Die [2][Tourismus-Branche] ist
alarmiert.
Unmittelbar nach der Katastrophe hatte die örtliche Bürgerinitiative
„Collettivo Kairós“ zu einer Protestkundgebung aufgerufen. „Wir wollen die
Bürger darauf aufmerksam machen, was mit unserer Lagune passiert ist, ihnen
eine Stimme geben“, erklärt Stella Traupe vom Kairos-Kollektiv, „wir müssen
das Umweltbewusstsein schärfen“. Mehr als 300 Einwohnerinnen und Einwohner
versammelten sich auf der überfüllten Piazza del Plebiscito, um den
Rücktritt des gesamten Gemeinderats zu fordern. Ihm wird vorgeworfen, die
Katastrophe zu verharmlosen, um den Tourismus nicht zu gefährden.
Jetzt soll nach den komplexen Ursachen des Fischsterbens gesucht werden.
„Wir müssen lernen, die Lagune als Ökosystem zu verstehen, von dem wir ein
Teil sind“, erklärt die Initiative. Die hohen Temperaturen sind offenbar
nur ein Teil der Misere. Die Einleitung von kommunalen Abwässern und die
Exkremente und Futterreste der Aquakulturen kommen dazu, sie werden dafür
mit verantwortlich gemacht, dass der Sauerstoff in der Lagune schwand.
Orbetello ist ein spektakulärer Hotspot der großen Krise am gesamten
Mittelmeer, das sich schneller erwärmt als die großen Ozeane. Schon
vergangenes Jahr wurden Wassertemperaturen im offenen Meer von bis zu 30
Grad gemessen. Im Schnitt war das Mittelmeer vier Grad wärmer als das
langjährige Mittel. Und 2024 ist nochmals wärmer.
## Die „Tropikalisierung“ des Mittelmeers
Auch auf Sardinien klingeln in den Lagunen von Oristano wegen der Hitze die
Alarmglocken. In Apulien ist die Muschelproduktion in Gefahr. Und die
Fischer an fast allen Küstenabschnitten Italiens müssen immer weiter
hinausfahren, um Beute zu machen, weil die Fischbestände sich in kühleres
Wasser zurückziehen. Die Treibstoffkosten explodieren. Zudem sind in den
vergangenen Jahren 800 gebietsfremde Fischarten ins Mittelmeer
eingewandert, die teilweise große Probleme bereiten. Darunter sind viele
tropische Arten, für die es keinen Markt gibt. Schon macht das Schlagwort
der „Tropikalisierung“ des Mittelmeers die Runde.
Die Meere sind „die Frontlinie des Klimawandels““, sagt UN-Generalsekretär
[3][António Guterres]. Und: „Wir müssen das Wettrennen gegen den Notstand
der Ozeane gewinnen.“
11 Aug 2024
## LINKS
DIR [1] /Giftige-Algen-in-Grenzfluss/!6017048
DIR [2] /Venedig-verlangt-Eintritt/!6006804
DIR [3] /Hohe-Temperaturen-werden-Normalzustand/!6026124
## AUTOREN
DIR Manfred Kriener
## TAGS
DIR Italien
DIR Toskana
DIR Fischsterben
DIR Mittelmeer
DIR Naturschutz
DIR Fischsterben
DIR Schwerpunkt Klimawandel
DIR Schwerpunkt Klimawandel
DIR Fischsterben
DIR Artensterben
DIR Schwerpunkt Artenschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Fischsterben in Europa: Buckellachse auf dem Vormarsch
Eine neue invasive Art drängt sich in europäische Flüsse. Forscher
fürchten, dass sie heimischen Fischen zum Verhängnis wird.
DIR Genießen statt schwitzen: Kühl bleiben
Der Trend dieses Sommers ist „Coolcation“. Denn wer fährt schon in den
heißesten Wochen des Jahres in Gegenden, die besonders heiß sind?
DIR Folgen der Klimakrise: Mehr als 47.000 Hitzetote in Europa
Auch in Deutschland gab es 2023 Tausende Todesfälle wegen Hitze. Es starben
deswegen bereits mehr als durch den Straßenverkehr.
DIR Giftige Algen in Grenzfluss: Wieder tote Fische in der Oder
Im deutsch-polnischen Grenzfluss vermehrt sich die giftige Goldalge rasant,
wieder sterben Fische. Naturschützer sind alarmiert und erinnern an die
Katastrophe von 2022.
DIR Massensterben bei Seeigeln: Pandemie am Meeresboden
Ein Parasit vernichtet immer mehr Seeigel-Bestände. Binnen zwei Tagen macht
er aus gesunden Tieren Skelette. Das setzt auch andere Arten unter Druck.
DIR Pelagos-Schutzgebiet – Heimat der Wale: Fragiles Paradies im Mittelmeer
Das Pelagos-Gebiet ist die größte Schutzzone im Mittelmeer. Und dennoch:
Die Situation für die Wale hier ist dramatisch schlecht. Wie kann das sein?