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       # taz.de -- Vom Anfangen und Beenden: „Guck dahin“
       
       > Zum Abschied schaut unsere Kolumnistin nicht zurück, sondern auf das, was
       > alles zusammenhält: Solidarität und Selbstbehauptung in der Community.
       
   IMG Bild: Filmstill aus dem Dokumentarfilm Sisterqueens
       
       Nach zwei Jahren geht diese Kolumne zu Ende. Das erzeugt natürlich sofort
       ein Gefühl der Dringlichkeit. Jetzt noch schnell ein Manifest schreiben –
       oder lieber den Rückblick wagen?
       
       Oder ganz anders. Mit der Dringlichkeit ist es nämlich so eine Sache. Sie
       ist dem queeren Leben und dem Leben, das nicht der Norm der
       Endogeschlechtlichkeit entspricht, ohnehin zu jeder Zeit eingeschrieben.
       Wir passen also aufeinander auf, so gut wir können. Auch wenn wir uns nicht
       persönlich kennen. Das ist das Geschenk, die Größe der Community, deren
       Ausmaß unermesslich ist.
       
       Ich bin der Verkäuferin in der Tankstelle in Arizona immer noch dankbar
       dafür, wie sie unsere kleine Reisegruppe, die wir mit den Armen voll Eistee
       vor ihr standen, letztes Jahr mit „Stay safe out there“ verabschiedete. Es
       dauerte einen Moment, bis es bei mir einsickerte, was diese Geste in einem
       Staat bedeutet, [1][in dem ständig Gesetzesentwürfe eingereicht werden, mit
       denen trans* Schüler:innen zwangsgeoutet,] queeres Wissen aus
       Schulbibliotheken verbannt werden soll und in denen die Existenz von
       intergeschlechtlichen Menschen schlicht geleugnet wird. Einige solcher
       Entwürfe hat [2][Governor Katie Hobbs] mit ihrem Veto verhindert. In vielen
       Staaten in den USA fehlt diese letzte Instanz.
       
       Ich habe in dieser Kolumne [3][viel über Kindheit geschrieben]. Zum einen,
       weil uns an jeder Ecke Elternschaft abgesprochen wird und wir trotzdem auf
       „unsere Kinder“ aufpassen, wie meine Partnerin es kürzlich so liebevoll
       formuliert hat. Auf die jungen Menschen nämlich, die sich ihren eigenen Weg
       suchen, egal mit welcher Wucht und Routine queeres Werden verunmöglicht
       wird. Zum anderen, weil wir das Wissen über genau die Kindheiten und Wege
       des Aufwachsens in uns tragen, die mit Sprachregeln, Buchzensuren und dem
       Abschirmen vor queerer Kultur verhindert werden sollen.
       
       Wir sprechen in letzter Zeit viel über genderqueere Kinder und trans*
       Kinder. Über intergeschlechtliche Kinder sprechen wir kaum. Wenn ich diese
       Kolumne mit einem Wunsch beenden darf, dann dass sich auch die
       feministische und die queere Bewegung den Kämpfen der [4][Inter*
       Bewegung] entschieden anschließen. Und zwar informiert und mit
       Accountability. 
       
       Dass Inter* Organisationen zu Rate gezogen werden, wenn wieder die nächsten
       Sportler:innen diskriminiert werden. Und wenn gegen die Menschenrechte
       von Kindern verstoßen wird, obwohl wir in Deutschland inzwischen das Gesetz
       zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung haben. Das
       Gesetz sieht Ausnahmen vor und die Erlaubnis für kosmetische Eingriffe wird
       weiterhin erteilt, anstatt nicht-pathologisierende Beratungen anzubieten.
       
       Seit ich vor zwei Jahren bei einem [5][Konzert von Sisterqueens], einem
       Rap-Projekt für Mädchen* und junge Frauen*, inklusive inter* und trans*
       Girls und genderqueere Kids, war, geht mir ein Song nicht mehr aus dem
       Kopf, den drei der Teilnehmenden uns entgegensangen: [6][„Guck dahin“].
       
       Darin heißt es, „Und ich sag ‚guck, guck dahin‘ und du schaust schnell
       wieder weg.“ Der Saal hörte den Song zum ersten Mal und sang nach der
       ersten Strophe sofort mit. Wir sprangen von den Sitzen, wir weinten, und
       die drei jungen Menschen auf der Bühne sangen von Selbstbehauptung.
       Vorbilder können auch jünger sein als man selbst. Das ist sie, die
       Schönheit der queeren Zeitrechnung.
       
       30 Aug 2024
       
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