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       # taz.de -- Eskalation zwischen Libanon und Israel: Hisbollah auf Vergeltungskurs
       
       > Die schiitische Miliz feuert mehr als 320 Raketen Richtung Israel. Die
       > Angriffe setzen die US-Regierung weiter unter Druck, zu vermitteln.
       
   IMG Bild: Spuren der Raketen: Sachverständige begutachten den Schaden an einem Wohnhaus im Norden Israels am 25. August
       
       Athen und Jerusalem taz | Der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen
       Israel und der Miliz Hisbollah im Libanon ist am Sonntag deutlich
       eskaliert. Am frühen Morgen wurde klar, wie der seit Wochen angekündigte
       Großangriff [1][der Hisbollah] auf Israel aussieht: Mehr als 320
       Katjuscha-Raketen habe die Hisbollah nach eigenen Angaben auf Israel
       abgefeuert.
       
       Damit sei die „erste Phase“ ihres Vergeltungsplans nach eigenen Angaben
       abgeschlossen. In dieser Periode sei es darum gegangen, „israelische
       Kasernen und Stellungen anzugreifen, um den Durchflug von Angriffsdrohnen
       zu Zielen tief in Israel zu erleichtern“. Hisbollah-Chef Nasrallah ließ bis
       zum Sonntagabend offen, wie eine mögliche „zweite Phase“ aussehen werde.
       Der Angriff sei eine „erste Reaktion“ auf die Tötung des hochrangigen
       militärischen Kommandeurs Fuad Schukr vor knapp vier Wochen gewesen.
       
       Laut der israelischen Armee hätte der lang erwartete Vergeltungsangriff
       [2][sehr viel drastischer ausfallen] können. Denn in der Nacht hatte die
       israelische Armee im Rahmen von Präventivschlägen mehr als 40 Stellungen
       der Schiitenmiliz beschossen. Nach israelischen Angaben hatten rund
       einhundert Kampfflugzeuge noch vor dem Beginn des Hisbollah-Angriffs einen
       Großteil der mit Zeitschaltuhren versehenen Abschussvorrichtungen der Miliz
       zerstört.
       
       Das israelische Onlinemedium Times of Israel berichtete, der Angriff der
       Hisbollah auf Israel habe der Glilot-Basis gegolten, in der mehrere
       Geheimdienstabteilungen der Armee sowie das Hauptquartier des
       Auslandsgeheimdienstes Mossad untergebracht sind. Tote gab es nicht.
       
       Im Libanon führten die israelischen Luftschläge laut des dortigen
       Gesundheitsministeriums am Sonntag zu zwei Verletzten, beide syrische
       Staatsbürger, und mindestens drei Toten. Zwei Menschen seien bei einem
       israelischen Angriff auf das Dorf Tiri und ein dritter bei einem
       israelischen Drohnenangriff auf ein Auto im Dorf Khiam getötet worden. Die
       mit der Hisbollah verbündete schiitische Amal-Bewegung meldete den Tod
       eines ihrer Mitglieder durch israelischen Beschuss und gab an, er stamme
       aus Khiam. Aus libanesischen Sicherheitskreisen und seitens der staatlichen
       Nachrichtenagentur NNA hieß es außerdem, Israel habe unter anderem Strom-
       und Wasseranlagen getroffen.
       
       Insgesamt wurden seit dem 7. Oktober mehr als 600 Menschen durch
       israelische Angriffe auf den Libanon getötet, zählte die französische
       Nachrichtenagentur AFP. Unter ihnen seien hauptsächlich Hisbollah-Kämpfer
       und mindestens 131 Zivilist*innen. Laut israelischem Militär wurden durch
       die Angriffe der Hisbollah mindestens 23 Soldat*innen und 26
       Zivilist*innen getötet. Die Hisbollah und verbündete Gruppierungen
       hatten ihre Angriffe auf Nordisrael als Antwort auf israelische Attacken
       um rund 200 Prozent erhöht. Die Zahl der Angriffe auf den Libanon sei
       dennoch „nach wie vor verhältnismäßig hoch“. Das schreiben
       Wissenschaftler*innen des Beirut Urban Lab, einer Forschungsgruppe
       der Amerikanischen Universität Beirut.
       
       Sie überwachen die gegenseitigen Angriffe zwischen dem israelischen Militär
       und den libanesischen Gruppierungen. Dafür nutzen sie Daten aus lokalen
       Berichten, die wiederum von der unabhängigen Organisation [3][„Armed
       Conflict Location and Event Data“ (Acled)] zusammengetragen werden.
       
       Zwischen dem 7. Oktober und 15. August habe das israelische Militär demnach
       insgesamt 7.745 Angriffe auf den Libanon verübt, die Hisbollah wiederum
       1.724 auf Israel. Israelische Luftangriffe seien vor allem mit
       Drohnenangriffen oder durch Beschuss von Kampfjets durchgeführt worden, die
       Hisbollah nutzte Artillerie und Raketenangriffe.
       
       Während die Anzahl der gegenseitigen Angriffe offensichtlich hoch ist,
       schrieb Israels Außenminister Israel Katz beim Onlinedienst X: „Wir wollen
       keinen umfassenden Krieg.“ Doch man werde alles tun, um Israels Bürger zu
       schützen. Über den Tag beschoss die israelische Luftwaffe weitere Orte im
       Libanon.
       
       Die Eskalation vom Sonntag erhöht den Druck auf die US-Regierung, die einen
       drohenden regionalen Krieg abzuwenden versucht. Washington geht dabei mit
       einer Mischung aus militärischer Drohung und diplomatischem Druck vor. Die
       USA sind in der Region einerseits mit zwei Flugzeugträgern präsent,
       andererseits drängen sie darauf, durch Verhandlungen einen Waffenstillstand
       in Gaza und die Freilassung der noch immer 109 israelischen Geiseln zu
       erreichen. Die Chefs von Israels Aus- und Inlandsgeheimdienst, David Barnea
       und Ronen Bar, reisten am Sonntag nach Kairo. Am Samstag war dort bereits
       eine Hamas-Delegation eingetroffen.
       
       Im Fokus steht etwa die Frage, ob die israelische Armee eine Präsenz
       entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten aufrechterhalten
       darf, was sowohl Ägypten als auch die Hamas ablehnen. Weder die
       Hamas-Führung noch der israelische Regierungschef zeigen sich bisher
       kompromissbereit. Einen Durchbruch halten Beobachter für unwahrscheinlich.
       
       25 Aug 2024
       
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