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       # taz.de -- Zusammenarbeit mit der AfD: Jede Brandmauer ist anders
       
       > Allianzen zwischen CDU und AfD sind vielerorts schon Alltag. Bei der
       > Bewertung dieser Zusammenarbeit ist aber ein differenzierter Blick
       > angebracht.
       
   IMG Bild: Anti-AfD-Protest beim Christopher Street Day in Bautzen Anfang August
       
       Am Ende der vergangenen Woche pfiff das SPD-geführte sächsische
       Sozialministerium einen Beschluss des Kreistages Bautzen zurück. 47
       Kreisräte waren in geheimer Abstimmung dem AfD-Antrag gefolgt, die Stelle
       der Ausländerbeauftragten Anna Pietak-Malinowska zu streichen, nur 30
       stimmten dagegen. Die AfD als stärkste Fraktion verfügt über 32 Sitze,
       mindestens 15 Stimmen müssen also von anderen Fraktionen gekommen sein.
       Unzulässig, hält das Ministerium dagegen: Das seit Mai geltende
       Integrations- und Teilhabegesetz schreibe die Einsetzung eines oder einer
       hauptamtlichen Ausländerbeauftragten vor.
       
       Astrid Riechmann vom Verein „Willkommen in Bautzen“ zeigte sich im MDR
       schockiert über das Signal des Kreistages gleich in seiner ersten Sitzung
       nach der Kommunalwahl im Juni. Die Botschaft sei: „Wir machen nur noch das
       Allernötigste an Unterstützung für Ausländer!“ Sogar der sächsische
       Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU) nennt die Beratung der
       Migranten „unverzichtbar für die Integration“.
       
       Auf dem [1][taz-Panterforum in Chemnitz] sprach am Wochenende auch Michael
       Nattke vom Kulturbüro Sachsen den Skandal an. Solche offensichtlichen
       Bekundungen politischer Gemeinsamkeit gehen weit über parteiübergreifende
       pragmatische Entscheidungen in der Kommunalpolitik hinaus. Und sie
       konterkarieren speziell im sächsischen Wahlkampf die verbalen
       Distanzierungen von Ministerpräsident Michael Kretschmer gegenüber der AfD.
       Der CDU-Landesvorsitzende bemüht sich, entschieden zu wirken, aber die
       Wirklichkeit ist eine andere. Die AfD gibt die Richtung vor.
       
       Der Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas hatte schon vor seiner Wahl 2022
       keine Berührungsängste mit der NPD, speziell während der Flüchtlingskrise
       2015/16. Ende 2022 strich er gemeinsam mit der AfD Asylbewerbern
       Integrationsleistungen. Im März dieses Jahres bestritt er [2][die auch vom
       CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz behaupteten Brandmauern] zur AfD.
       Witschas bezeichnete sie gegenüber dem Onlinemedium Neue Lausitz sogar als
       „Tod der Demokratie“, weil sie den Volkswillen negieren würden. Erst nach
       einem Parteiverbot würde er Kontakte einstellen.
       
       ## Kritik an „Einheitsfront“
       
       In der aktuellen Phase zwischen den Kommunal- und den Landtagswahlen
       schauen Demokratiewächter genauer hin, was speziell bei der Konstituierung
       von Stadträten von der viel beschworenen Brandmauer nach rechts noch übrig
       ist. Differenzierung ist dabei angebracht. Wenn die CDU Thüringen im
       Erfurter Landesparlament ihr Gesetz zur Senkung der Grunderwerbsteuer
       mithilfe der AfD durchbringt, ist eine solche inhaltliche Kongruenz
       schärfer zu bewerten als ein breiter Konsens bei kommunalen
       Personalentscheidungen.
       
       Im Stadtrat von Kamenz in der Lausitz zum Beispiel hatten sich CDU und AfD
       auf eine gemeinsame Liste für die Stellvertreter von Oberbürgermeister
       Roland Danz geeinigt. 21 der 26 Stadträte stimmten für dessen zweite
       Stellvertreterin Cordula Gneuß von der AfD. Stadtrat Alex Theile von
       „Miteinander für Kamenz“ kritisierte die „Einheitsfront“ heftig. Ein
       ähnlicher Fall hatte im Kreistag des Salzlandkreises in Sachsen-Anhalt
       Anfang Juli hohe Wellen geschlagen. AfD-Frau Claudia Weiss wurde mit
       breiter Mehrheit zur Vize-Vorsitzenden gewählt. Für den stellvertretenden
       AfD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Büttner ist die Brandmauer ohnehin
       „schon lange Geschichte“. Im Stadtrat von Quedlinburg erlangte der von der
       Evangelischen Kirche Mitteldeutschland suspendierte Pfarrer Martin
       Michaelis über die AfD-Liste ebenfalls den Posten des stellvertretenden
       Vorsitzenden. Wer Kandidaten der AfD unterstütze, mache sich mitschuldig,
       wetterte daraufhin die Fraktionsvorsitzende der Linken im Magdeburger
       Landtag, Eva von Angern.
       
       Das Kommunalpolitische Forum der Linken in Sachsen ist eine
       Bildungseinrichtung. Geschäftsführer Patrick Pritscha will sich deshalb
       nicht zu politischen Dammbrüchen und schleichender Aufwertung der AfD
       äußern. Er stellt aber den verbreiteten Irrtum richtig, Gemeinde- und
       Stadträte seien Kommunalparlamente. Sie sind Bürgervertretungen, aber nach
       deutschem Recht Teil der Verwaltung, also der Exekutive. Mithin also
       eigentlich nicht Orte der politischen Willensbildung.
       
       Wenn auch Genossen bestätigen, dass in Gemeinderäten 90 Prozent aller
       Beschlüsse einstimmig gefasst werden, liege das laut Pritscha schlichtweg
       daran, dass die übergroße Mehrheit der Anträge aus der Verwaltung käme. Der
       Forums-Geschäftsführer räumt aber ein, dass mit wachsender Größe der Räte
       der parteipolitische Einfluss und damit auch die politische Brisanz von
       Entscheidungen zunimmt.
       
       ## „Menschlich eine Bereicherung“
       
       Ist zumindest eine symbolische Brandschneise angebracht, wenn es um Tempo
       30 oder 50 auf einer Dorfstraße geht? Für die Errichtung einer Brandmauer
       gibt es keine allgemein gültigen Bauvorschriften. Zunächst wirkt es
       beispielsweise befremdlich, wenn Bürgermeister Dieter Greysinger (SPD) im
       mittelsächsischen Hainichen Stadtrat Danilo Junghans von der inzwischen
       nicht mehr im Rat vertretenen AfD lobend verabschiedet. Er sei „menschlich
       und auch von den Beiträgen her eine Bereicherung für den Stadtrat gewesen“.
       Befürchtungen seien nicht eingetroffen. „Somit stand das so oft zitierte
       Wort Brandmauer nie zur Debatte“, betont der Bürgermeister. Man kann das
       als Zeichen verbliebenen Grundrespekts werten oder als schleichende
       Aufwertung der Rechtsextremen. Die Wahlergebnisse aber zwingen zur Klärung
       der Umgangsformen mit konkreten AfD-Vertretern. Niemand hat in fünf Jahren
       Anstoß an der Sitzungsleitung des sächsischen Landtags-Vizepräsidenten
       André Wendt genommen. Und der Stadtrat im streitsüchtigen Dresden
       verständigte sich am Donnerstag in nur zweieinhalb Stunden auf alle
       Besetzungsformalitäten seiner Gremien, AfD und einen Freien Sachsen
       eingeschlossen.
       
       Das ist etwas anderes, als wenn die CDU im März dem AfD-Antrag auf eine
       lokale Bezahlkarte für Asylbewerber zustimmte – die dann zwei Monate später
       aber auch der Bundestag beschloss.
       
       25 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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