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       # taz.de -- Biologe über die „Blume des Jahres“: „Schön, selten und gefährdet“
       
       > Die Grasnelke ist die „Blume des Jahres 2024“. Der Hamburger
       > Projektleiter und Tagungsorganisator André Palm erklärt, warum.
       
   IMG Bild: Ästhetisch ansprechend und gut im Umgang mit Trockenheit: Grasnelken
       
       taz: Nach welchen Kriterien wird eine Blume die Blume des Jahres?
       
       André Palm: Ein wichtiger Faktor ist die Schönheit, weil die Blume des
       Jahres die Fahnenträgerin für unsere Umweltkampagne ist, die ein Jahr
       läuft. Seltenheit und Gefährdungsgrad und die letzten Vorkommen spielen
       auch eine wichtige Rolle. Anhand der Blume wird Umweltschutz betrieben, für
       die Blume selbst und den Lebensraum, in dem sie vorkommt.
       
       taz: Sind andere Pflanzen zu hässlich, sodass Sie „nur“ eine Blume des
       Jahres statt einer Pflanze des Jahres küren? 
       
       Palm: Nein, aber einige Pflanzen sind für die breite Masse vielleicht etwas
       unspektakulär. Pflanzen haben allgemein das Problem, dass sie sich nicht
       bewegen können, nicht flauschig sind und keine Knopfaugen haben. Die Blume
       des Jahres soll daher ästhetisch ansprechend sein. Meistens wählen wir
       dafür eine spannende krautige, blühende Pflanze. „Blume“ gibt es als
       botanischen Begriff so nicht.
       
       taz: Eine Besonderheit sind die Lebensräume verschiedener Grasnelken. Wie
       funktioniert deren Anpassung an nährstoffarme, salzige und sogar mit
       Schwermetallen belastete Böden? 
       
       Palm: Nährstoffarmut ist förderlich für die [1][Artenvielfalt]. Wenn zu
       viele Nährstoffe verfügbar sind, wachsen gewisse Pflanzen zu schnell. Dann
       ersticken sie die anderen Pflanzen, zum Beispiel die Grasnelke, denn die
       wächst sehr langsam. Mit [2][wenigen Nährstoffen im Boden] wachsen alle ein
       bisschen gemütlicher – oder die besonders hungrigen Pflanzen siedeln sich
       woanders an. Auf Salzwiesen an der Küste kann die Grasnelke auch wachsen.
       Das über das Wasser aufgenommene Salz schwitzt sie wieder aus. Mit ihrer
       tiefen Pfahlwurzel kann die Grasnelke sogar Trockenheit gut ab.
       Bleiwurzgewächse können Schwermetalle aus dem Boden filtern und in ihren
       Zellen ablagern. Dadurch wird ihr Stoffwechsel nicht beeinträchtigt.
       
       taz: Die Gewöhnliche Grasnelke steht auf der Vorwarnliste der Roten Liste.
       Was müsste sich ändern, damit der Bestand nicht weiter zurückgeht? 
       
       Palm: Vor allem müssten die Salzwiesen geschützt werden. [3][Salzwiesen]
       sind nicht so artenreich, aber eine ganze Menge Vogelvieh und andere Tieren
       leben von und auf ihnen.
       
       taz: Und die Mager- und Trockenrasen? 
       
       Palm: Die dürften nur extensiv genutzt werden. Das größte Problem ist da
       der Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft. Wenn man regelmäßig und zum
       richtigen Zeitpunkt mäht und das Schnittgut von der Fläche trägt, werden
       Nährstoffe entfernt. Durch Mahd wird dann der Konkurrenzvorteil einiger
       Pflanzen zurückgesetzt.
       
       taz: Kann die Grasnelke auf einem Hausdach die gleichen ökologischen
       Funktionen erfüllen wie im natürlichen Habitat? 
       
       Palm: Die Grasnelke blüht von Mai bis teilweise in den Oktober hinein. Sie
       [4][versorgt also die Insekten] mit Pollen und Nektar. Die Insekten sind
       wiederum Snacks für die Vögel. Ob die Insekten 20 Meter hoch auf ein Dach
       fliegen oder nicht, ist denen egal. Wahrscheinlich wären sie froh, dass
       überhaupt was zu essen da ist, weil die Stadt ja sonst ein komplett
       versiegelter Totraum ist.
       
       taz: Was bräuchte es, damit Pflanzen keine Blume des Jahres mehr werden
       müssen, um Aufmerksamkeit zu bekommen? 
       
       Palm: Ich wäre dann auf jeden Fall arbeitslos… Der Mensch macht das, was er
       am besten kann: Mensch sein. Solange er Lebensräume schädigt, wird es immer
       Pflanzen geben, die bedroht sind. Solange werden wir weiterhin Umweltschutz
       machen.
       
       27 Aug 2024
       
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