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       # taz.de -- Straßenradrennen in Spanien: Hegel vs. Marx
       
       > Beim Straßenradrennen Vuelta wird es philosophisch. In der zweiten Woche
       > geht es darum, ob ein Außenseiter dank Vorsprung aus der Fluchtgruppe
       > gewinnt.
       
   IMG Bild: Der Australier Ben O’Connor bei der diesjährigen Vuelta a España
       
       Padrón taz | Bei der Vuelta ist ein Philosophenstreit ausgebrochen. Die
       einen halten es mit Hegel, die anderen mit Marx, frei nach dessen Äußerung
       im „18. Brumaire des Louis Bonaparte“. Marx schrieb darin über die
       Wiederholungsschleifen der Geschichte: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle
       großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal
       ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das
       andere Mal als Farce.“
       
       [1][Ihre eigene Wiederholung erlebt die Vuelta] dergestalt, dass wieder ein
       Mann ganz vorn ist, den niemand dort erwartet hatte. Ben O’Connor nutzte
       seinen Ausreißversuch auf der 6. Etappe so gut, dass er mehr als sechs
       Minuten auf die Klassement-Favoriten herausfuhr und seitdem recht einsam an
       der Spitze ist. Im letzten Jahr fuhr Ausreißer Sepp Kuss auf ebenfalls der
       6. Etappe knapp dreieinhalb Minuten auf die Konkurrenz heraus. Er
       behauptete das Rote Trikot bis zum Ende der Rundfahrt.
       
       Die Hegelfans sitzen momentan im Teambus von Decathlon. Sie hoffen, dass
       der Berliner Philosoph die Weltprozesse richtig interpretiert hat und ihr
       Mann, eben O’Connor, am Ende die Vuelta gewinnt. „Es ist noch ein wenig
       früh, jetzt schon vom Sieg zu reden. Es kommen noch viele harte Tage“, gab
       sich Cyril Dessel, sportlicher Leiter von Decathlon, gegenüber der taz zwar
       noch vorsichtig. Er sagte aber auch: „Wir sind mit dem Ziel der Top 5 zur
       Rundfahrt gekommen. Jetzt können wir unsere Ambitionen etwas höher
       ausrichten.“
       
       O’Connor selbst ist ebenfalls guter Dinge. „Ich genieße hier erst einmal
       jeden Tag im Roten Trikot. Wir haben auch ein starkes Team. Und ich selbst
       habe noch nicht alle Reserven aufgebraucht“, meinte er.
       
       ## Verpasst Roglič erneut den Sieg?
       
       Im Lager von Red Bull-Bora- hansgrohe ist eher Neomarxismus angesagt. Dort
       hofft man, dass sich Geschichte nicht wiederholt, oder bestenfalls als
       Farce. Denn schon im letzten Jahr war die 6. Etappe ausschlaggebend dafür,
       dass [2][Kapitän Primož Roglič] seinen angestrebten vierten Vuelta-Triumph
       verpasste. Damals fuhr er noch im gleichen Team wie Kuss, bei Jumbo-Visma,
       jetzt Visma-Lease a Bike.
       
       Und Marc Reef, damals wie heute bei den Niederländern im Begleitfahrzeug,
       meinte in Bezug auf die Konstellation zur taz: „Es ist ähnlich wie letztes
       Jahr. Auch jetzt wird es schwer, so viel Zeit auf O’Connor herauszufahren.
       Er kam zwar nicht als Favorit zur Vuelta. Aber dass er Stehvermögen hat,
       deutete er schon mit Platz 4 bei der Tour 2021 an.“ Damals wurde O’Connor
       ebenfalls durch eine Fluchtgruppe im Klassement nach vorn gespült.
       
       Auch beim Raublinger Rennstall ist man sich der Härte der Aufgabe bewusst.
       „Es wird sehr kompliziert, denn O’Connor ist ein guter Fahrer. Aber wir
       haben einen Plan, den wir ausführen werden und der hoffentlich Wirkung
       zeigt. Wir müssen nur bei unserem Plan bleiben, dann ist das möglich“,
       meinte Patxi Vila, sportlicher Leiter bei Red Bull, zur taz.
       
       Allerdings hat sein Team in diesem Jahr einige Probleme mit der
       Planwirtschaft, was ein bisschen an die Erfahrungen der Marx-Anhänger in
       Osteuropa und Ostdeutschland erinnert. Auf der 6. Etappe ließ das Team die
       Fluchtgruppe zwar planmäßig gehen. Kapitän Primož Roglič wollte das Rote
       Trikot verlieren, um selbst nicht zu viel Energie bei Pressekonferenzen zu
       vergeuden und auch, um seinem Team die Nachführarbeit zu ersparen.
       
       ## Red Bull denkt marxistisch
       
       Einen „ungefährlichen Mann“ für die Gesamtwertung hatte der Slowene als
       Nachfolger im Sinn. O’Connor ließ man fahren, weil der zwei Tage zuvor in
       der brütenden Hitze Südspaniens Federn gelassen hatte. Und außerdem war ein
       eigener Mann, der formidable Jungprofi Florian Lipowitz, in der Gruppe.
       
       „Florian sollte dort die Interessen des Teams verteidigen. Aber das war
       sehr schwer. Und an einem bestimmten Punkt musste er leider O’Connor ziehen
       lassen. Wäre er dran geblieben, hätte er jetzt vielleicht sogar Rot. Aber
       nun müssen wir das Trikot zurückerobern“, schilderte Vila die
       Konstellation. Lipowitz rückte zwar ein wenig in der Gesamtwertung nach
       vorn. Aber die fünf Minuten, die O’Connor selbst auf ihn, den
       Fluchtgruppengefährten, herausfuhr, tun weh.
       
       Das Team des Brausekonzerns tut nun alles dafür, dass Marx doch recht hat
       in Spanien und Geschichte sich nicht exakt wiederholt.
       
       28 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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