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       # taz.de -- Navigations-Apps: Sie haben Ihr Ziel verfehlt
       
       > Unser Autor verzweifelt beim Autofahren regelmäßig an Navigations-Apps.
       > Ein Klagelied über eine irreführende Entwicklung.
       
   IMG Bild: Wie ging das nur alles vor den Apps?
       
       Wie haben wir eigentlich früher den Weg zu einem Ziel gefunden, an dem wir
       noch nie waren? Das ist eine Frage, die sich Personen, die vor 2010 den
       Führerschein gemacht haben, manchmal stellen (oder von Jüngeren gestellt
       bekommen). Deutlich seltener fällt die Frage, wie man eigentlich trotz der
       gängigen Navigations-Apps am Ziel ankommt – ohne zwischendurch [1][vor Wut
       das Handy aus dem fahrenden Auto zu werfen].
       
       Würde ich Ambitionen auf eine Stand-up-Comedy-Karriere hegen, hätte ich
       genug Material für einen längeren Monolog, in dessen Verlauf ich in einen
       zunehmend cholerischen Tonfall geraten würde, während das Publikum Tränen
       lacht, nickt und „Genau so ist es!“ murmelt. Ich möchte aber gar kein
       Komiker sein, ich möchte einfach nur irgendwo hinkommen!
       
       So liegt ganz in der Nähe meiner Wohnung eine Kreuzung, deren Straßen sich
       nicht im rechten Winkel treffen. Die Bewegung, die jeder denkende Mensch
       als „geradeaus fahren“ bezeichnen würde, klingt bei Google Maps so: „Links
       abbiegen, danach sofort rechts abbiegen.“ Mein Mitgefühl gilt allen
       Ortsunkundigen, die vor diese Herausforderung gestellt werden.
       
       Bei Autobahnabfahrten unterscheidet sich die Entfernung, die das Navi
       angibt, grundsätzlich von der, die auf den Schildern steht. Was auf dem
       Land egal sein mag, führt im Ruhrgebiet, wo die Abfahrten mitunter nur
       wenige Hundert Meter auseinanderliegen, regelmäßig zu unnötiger
       Verunsicherung: Welche Ausfahrt jetzt genau?
       
       ## Ein besonders absurder Fall
       
       Und in den Niederlanden hatte ich kürzlich einen besonders absurden Fall,
       wo sich die Navi-App nicht nur bei den Ausfahrten im Kreisverkehr
       verzählte, sondern die Kilometerangabe auf dem Wegweiser auch noch als Teil
       des Ortsnamens interpretierte, in dessen Richtung ich abbiegen sollte. Die
       Details sind mir wegen einer Mischung aus Empörung, Erschöpfung und
       Orientierungslosigkeit nicht mehr erinnerlich, aber es klang wie der Name
       eines Atomkraftwerks und war die falsche Richtung.
       
       Vielleicht liegt es auch an mir. Von meinem Vater und Großvater kenne ich
       noch das genaue Kartenstudium vor der Abfahrt und so schaue ich mir gerne
       vorher auf dem Handy an, wo lang mich meine Reise führen wird. Sobald das
       Auto in Bewegung ist, errechnet die Navi-App aber ständig neue Routen und
       so bin ich oft schon nach wenigen hundert Metern auf einem ganz anderen Weg
       als dem, auf den ich mich eingestellt hatte, und entsprechend verunsichert.
       
       Die klügste Lösung in dieser Situation wäre vermutlich, einfach loszulassen
       und klaglos [2][der mir vom Navi vorgegebenen Wegbeschreibung zu folgen].
       Doch erstens ist diese Beschreibung längst nicht immer nachvollziehbar
       (siehe oben) und zweitens bin ich in solchen Momenten ganz Mann: Auch ohne
       Ehefrau auf dem Beifahrersitz, die leicht resigniert „Ich glaube, wir
       müssen da abbiegen …“ murmelt, beharre ich darauf, genau zu wissen, wo es
       langgeht.
       
       ## „Ich stünde für Feedback bereit!“
       
       Ich weiß nicht, wie oft ich in den vergangenen zehn Jahren so frustriert
       von Apples Karten-App war, dass ich zu Google Maps gewechselt bin, und
       umgekehrt. So richtig meckern will man ja nicht, weil es sich um kostenlose
       Produkte handelt, und es gibt natürlich auch kostenpflichtige Alternativen,
       aber auch da kann ich anekdotische Frustration beisteuern: Bevor es
       kostenloses Datenroaming innerhalb der EU gab, hatte ich mir für einen
       Hollandurlaub eine Bezahl-App gekauft, für die man die Karten ganzer Länder
       herunterladen und sie somit offline nutzen konnte.
       
       Die App hatte eine sehr eigene Interpretation von Richtungsangaben wie
       „halbrechts“ (geradeaus) oder „halblinks“ (wenden) und leider habe ich erst
       nach längerer Fahrt über absurdeste Seitenstraßen festgestellt, dass die
       Standardeinstellung „kürzeste Route“ war und mich das Navi deshalb
       konsequent an allen Autobahnen vorbeiführte.
       
       Manchmal frage ich mich, ob an der Entwicklung der verschiedenen Navi-Apps
       überhaupt Menschen beteiligt sind, die manchmal Auto fahren. Oder auch nur
       zu Fuß gehen. Google bietet einem zwar die Möglichkeit, sich „barrierefreie
       Orte“ anzeigen zu lassen, aber die Wegbeschreibungen unterschlagen so
       wichtige Details wie Treppen und große Steigungen, was leicht ärgerlich
       ist, wenn man sich mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator durch, sagen
       wir mal, eng verschachtelte Altstädte in Europa bewegt. Überhaupt
       beschleicht einen oft das Gefühl, dass die Navis mit verschlungenen,
       kurvigen, gewachsenen Straßenverläufen (oder auch nur mit Kreisverkehren)
       überfordert sind. Mir scheint, als seien sie vor allem für die
       schachbrettartigen amerikanischen Innenstädte entwickelt und auch nur dort
       getestet worden.
       
       Also mal bei den Herstellern nachfragen, ob das eigentlich stimmt. Die
       offizielle Apple-Pressestelle reagiert wie ein iPhone an einem heißen
       Sommertag, also gar nicht; die PR-Agentur, die für Google arbeitet,
       übermittelt immerhin eine einsilbige Antwort aus dem Konzern: „No.“ Also
       wird das alles immer wieder getestet und weiterentwickelt und es
       funktioniert trotzdem nicht befriedigend.
       
       [3][In Blogeinträgen erklärt Google], dass Maps durch maschinelles Lernen
       Vorhersagen treffen kann, wie der Verkehr „in 10, 20 oder sogar 50 Minuten
       aussehen wird“. Stolz verkündet der Techkonzern, so noch besser vorhersagen
       zu können, „ob ihr von einer Verkehrsbehinderung betroffen sein werdet, die
       vielleicht noch gar nicht begonnen hat“. Und das ist dann der Grund, warum
       das Navi ständig die Route ändert und mich so verunsichert: [4][eine
       KI-Glaskugel].
       
       Aber ist das nicht vielleicht ein bisschen gefährlich, dass einen Google
       Maps während der Fahrt immer wieder mit akustischen und optischen Hinweisen
       behelligt, dass man jetzt eine andere Route nehmen könnte, und man sich, am
       Steuer sitzend, vor einem Bildschirm voller Informationen schnell
       entscheiden soll? Google beschwichtigt. Man nehme die Sicherheit der
       Fahrer*innen natürlich „sehr ernst“; das Produkt sei darauf ausgelegt,
       die Ablenkung der Fahrer*innen auf ein Minimum zu reduzieren. Das werde
       regelmäßig getestet, mit Fahrsimulatoren, und mit echten Fahrer*innen.
       
       Falls die Firma mal ehrliches Feedback haben möchte: Ich stünde bereit!
       
       22 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Die-Wahrheit/!6022383
   DIR [2] /Navi-schickte-Autofahrer-in-die-Wueste/!5077427
   DIR [3] https://blog.google/intl/de-de/produkte/suchen-entdecken/google-maps-101-ki-verkehrslage-vorhersagen/
   DIR [4] /Was-Technik-besser-macht-als-Menschen/!6042025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Heinser
       
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