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       # taz.de -- Bürger*innendialoge in Sachsen: Der mit dem Hund spricht
       
       > Fishbowl, World-Café, Hundeschule: Mit verschiedenen Dialogformaten
       > sollen Bürger*innen Sachsens wieder mehr ins Gespräch kommen
       
   IMG Bild: Miteinander sprechen. Auch an ungewöhnlichen Orten wie einer Hundeschule in Dresden
       
       Wir Sachsen reden viel: an Stammtischen, mit den Kolleg*innen bei der
       Arbeit, mit der Familie beim Abendbrot. Auch der öffentliche Diskurs – etwa
       bei Bürgerdialogen oder bei Demonstrationen – wird von den Menschen des
       Freistaats gesucht und gepflegt. Fast scheint es so, als hätte die
       sächsische Politik in den vergangenen Jahren im Reden das Allheilmittel für
       alle Probleme gefunden. Innerhalb der politischen Bildung und in manchen
       sächsischen Kommunen sind Dialogformate mittlerweile an der Tagesordnung.
       In den vergangenen Jahren dominierten dabei zumeist einmalig stattfindende
       Podiumsdiskussionen, Fishbowls oder World-Cafés. Bei letzteren handelt es
       sich um Formate, bei denen die Zuschauer*innen intensiv mitdiskutieren
       können und sich die Diskutant*innen auf Augenhöhe begegnen.
       
       Die jeweiligen Akteur*innen verbanden damit die Erwartung, dass sich
       durch das Gesprächsangebot einiges erreichen ließe, etwa dass Probleme der
       Bürger*innen artikuliert und vielleicht auch adressiert würden und sich
       die Teilnehmer*innen gehört fühlten. Aber waren die Formate mit Blick
       auf die weiterhin sehr hohen Zustimmungswerte für rechte Parteien in
       Wahlumfragen tatsächlich erfolgreich?
       
       Aus Sicht von Prof. Dr. Anja Besand, Direktorin der
       John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie an der TU
       Dresden, blieben einmalige und kurzfristig angelegte Dialogformate, die
       inzwischen fast inflationär eingesetzt würden, weit hinter ihren
       Erwartungen zurück. Stattdessen müsse politische Bildung langfristige
       Formate anbieten, eine gute Dialogform müsse auf Gemeinsamkeiten der
       Diskutant*innen basieren und wiederkehrend sein sowie Pausen zwischen
       den Treffen beinhalten. Wichtig sei, eine Basis für wechselseitiges Zuhören
       zu schaffen, die zu einem tatsächlichen Interesse für die andere Person und
       ihre Positionen führe. „Das kann in Nachbarschaften, im Kolleg*innenkreis,
       im Verein oder auch im Klassenzimmer geschehen“, so Besand. „Also dort, wo
       Menschen immer wieder aufeinandertreffen.“ Nur so sei es möglich, auf
       bereits Gesagtes zurückzukommen sowie Gedanken und Konflikte weiter
       auszuführen. Anzustreben sei der Wechsel zwischen Begegnung und Distanz,
       damit die Teilnehmer*innen neue Energie schöpfen könnten und Zeit zum
       Reflektieren hätten.
       
       ## Austausch in der Hundeschule
       
       In dem Projekt „Politische Bildung in der Hundeschule“ wurde genau dieses
       Konzept umgesetzt. In einer Dresdner Hundeschule begegneten sich 2021
       regelmäßig Menschen aus den unterschiedlichsten Milieus mit teilweise
       gegensätzlichen politischen Haltungen und Weltanschauungen, zu Themen wie
       Elektromobilität oder Rassismus. Mit großem Erfolg: Die
       Hundebesitzer*innen hinterfragten ihre Positionen und Impulse aus den
       Gesprächen zeigten eine nachhaltige Wirkung.
       
       Damit Dialoge wie diese aber überhaupt zustande kommen, müssten diejenigen
       gestärkt werden, die die Auseinandersetzung mit Menschen mit rechten
       Einstellungsmustern suchen, sagt Anja Besand, es brauche deshalb
       Argumentationstrainings, um ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.
       
       Mit der Ausbildung von Moderator*innen für kommunale Konflikt- und
       Krisensituationen beschreitet das Kompetenzzentrum Krisen-Dialog-Zukunft
       der Aktion Zivilcourage e. V. in Dresden so einen Weg. In umfangreichen
       Schulungen lernen Bürgermeister*innen und andere Akteur*innen aus
       Verwaltung und Zivilgesellschaft, Gesprächsformate umzusetzen. Andreas
       Tietze, Referent bei der Aktion Zivilcourage e. V., weiß um die große
       Bedeutung der vielen Dialogformate, um die Bürger*innen wieder mehr
       miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wenn sich eine Gruppe dem Diskurs
       verstellt, haben wir keinen Zugangspunkt mehr, um mit ihnen zu diskutieren,
       und das ist für eine Demokratie das absolut Negativste“, sagt er.
       
       Dennoch seien die Konzepte der John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik
       der Demokratie für Tietze ein Ideal, das in der Praxis nicht immer zu
       verwirklichen ist. Gerade Kommunen seien kaum in der Lage, langfristige
       begleitete Gesprächsprozesse finanziell zu stemmen; außerdem sei zu viel
       Methodik, wie die Dokumentation mit Moderationskarten an einer Pinnwand
       oder vorangehendes Aufschreiben von Fragen, bei einem konfliktreichen
       Format mit vielen Teilnehmenden nicht zielführend, da diese oft Widerstände
       hervorrufe.
       
       ## Der Nutzen des Dialogs
       
       Tietze begrüßt deshalb jede Gelegenheit eines Bürger*innengesprächs: Selbst
       wenn eine einmalige Dialogveranstaltung keine Einstellungsveränderungen bei
       den Bürger*innen erzeugen könne, gelänge es aber, miteinander
       unvereinbare Wahrnehmungen zu adressieren. Dazu zähle beispielsweise, das
       rechtspopulistische Narrativ von einem allgemeinen Volkswillen, also die
       Abwesenheit von unterschiedlichen Meinungen, durch gegensätzliche
       Positionen unterschiedlicher Sprecher*innen zu dekonstruieren. Außerdem
       biete ein Dialogformat die Möglichkeit, Fakten zu benennen und kursierenden
       Falschinformationen entgegenzuwirken.
       
       „Je frühzeitiger ein Konflikt bearbeitet wird, desto geringer ist die
       Wahrscheinlichkeit, dass dieser eskaliert“, weiß Tietze aus zahlreichen
       Dialogveranstaltungen der letzten Jahre. Ein ideales Gesprächsformat folge
       der sogenannten 30/90-Regel: Auf eine kurze Impulssetzung von maximal 30
       Minuten folge eine ausführliche anderthalbstündige Diskussion. Dabei sei es
       wichtig, „dass Emotionen zugelassen und nicht einfach abmoderiert werden,
       aber klare Grenzen bei hetzerischen Aussagen, Menschenfeindlichkeit und
       Herabwürdigungen gesetzt werden“. Je konflikthafter sich eine Situation
       gestalte, desto vertraulicher müsse die Gesprächssituation sein, sagt
       Tietze, denn „wenn Leute von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, ist
       die Tendenz zur Eskalation weniger stark ausgeprägt“.
       
       Leah Strobel (21), aus Dresden, studiert Geschichte und Politikwissenschaft
       in Göttingen. Sie schreibt für den Blog Literaturnetz Dresden und arbeitet
       beim studentischen Journal GASP. 
       
       ILLUSTRATION: Amelie Sindermann (21), in Sachsen geboren und am Meer
       aufgewachsen, liebt Schreiben und das Malen mit dem Bleistift oder mit
       Acryl auf Leinwand.
       
       3 Sep 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leah Strobel
       
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