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       # taz.de -- Neues Buch von Reinhard Kaiser-Mühlecker: Rückkehr ins Alpenvorland
       
       > Die Liebe zum Ziehvater vor dörflicher Kulisse: Reinhard
       > Kaiser-Mühleckers neuer Roman „Brennende Felder“.
       
   IMG Bild: Dunkle Wolken ziehen über das Alpenvorland
       
       Seit [1][„Fremde Seele, dunkler Wald“] handeln die Romane des
       österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker von einer Bauernfamilie
       im Alpenvorland. Die moderne Welt hat sich hier mit einer auf Betonstelzen
       stehenden Autobahn sinnbildlich eine Schneise durch Landschaft und Menschen
       geschlagen. Das Dorf, an dessen Rand der Hof der Familie liegt, wurde dabei
       mehr und mehr zum reinen Wohnort.
       
       In Kaiser-Mühleckers neuem Roman, „Brennende Felder“, wird ein weiterer
       Teil der Familiengeschichte erzählt, diesmal aus der Perspektive von Luisa,
       der Schwester von Alexander, dem Berufssoldaten aus „Fremde Seele, dunkler
       Wald“, und von Jakob, der in „Wilderer“ im Zentrum stand, und der als
       Einziger noch Landwirt ist und den Hof der Familie weiterführt.
       
       Luisa war früh von zu Haus ausgezogen, war erst mit einem Schweden und dann
       mit einem Deutschen zusammen und hat in Kopenhagen und Göteborg gelebt.
       Doch die Ehen gingen zu Bruch. Die dominanten Männer sorgten dafür, dass
       die Kinder, die sie mit beiden hat, bei ihnen blieben. Nach erfolglosen
       Versuchen, daran etwas zu ändern, und um die Situation nicht noch zu
       verschlimmern, findet sich Luisa mit ihrem Schicksal ab, zieht nach
       Hamburg, von wo aus sie ihre Kinder besucht.
       
       Doch dann steht eines Tages Bob vor ihrer Tür, der eigentlich Robert heißt,
       und den sie lange für ihren Vater gehalten hatte. Aber, wie sie mit
       fünfzehn bei einem Streit mit ihrer Mutter erfährt, ist er nicht ihr
       biologischer Vater.
       
       Gezeugt wurde sie nach einem Dorffest, bei dem ihre Mutter, um sich für die
       Untreue ihres Mannes zu rächen, einmal betrunken mit einem Fremden ins Bett
       gestiegen ist. Aber Bob ist auch sonst kein richtiger Vater gewesen, weil
       er während Luisas Kindheit fast immer abwesend war und Luisas älterem
       Bruder Jakob, obwohl er eigentlich noch zu jung war, die Bewirtschaftung
       des Hofs überließ.
       
       ## Jugendliche Liebe bleibt
       
       Angeblich mit irgendwelchen Projekten unterwegs war Bob ein Mann, den sie
       als Tochter geliebt hatte, ein Gefühl, das bei ihr auch als junge Frau
       nicht verschwand. Doch ihr Liebesgeständnis als Teenager hatte Bob nur mit
       einem „Du spinnst doch“ abgetan. Jetzt, zwanzig Jahre später, zieht er bei
       Luisa in Hamburg ein, wo sie zunächst auch leben, bis er es in der
       Großstadt nicht mehr aushält und sie zurück in das Dorf ins Alpenvorland
       gehen.
       
       Für Luisa läuft vieles in ihrem Leben wortwörtlich schief. Allem ist sie
       entfremdet, der bäuerlichen Welt ihrer Herkunft wie dem Leben in der
       globalisierten Welt, in der der Ort der Herkunft für die eigene Identität
       nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ausdruck dieser Entfremdung ist
       auch ihre Ziellosigkeit, ihre Passivität. Obwohl es ihr in Hamburg gefällt,
       gibt sie Bob nach und geht mit ihm zurück in das Dorf ihrer Kindheit.
       
       Dort wollen ihre Mutter und ihr Bruder Jakob zwar nichts mehr von ihr
       wissen; und selbst zu Alexander, zu dem sie in ihrer Kindheit noch das
       engste Verhältnis hatte, kann sie die alte Vertrautheit nicht mehr
       herstellen; aber im Dorf kennt sie sowieso fast niemanden mehr und das Paar
       wird stillschweigend akzeptiert.
       
       In dem großen Haus, das sie beziehen, fühlt sie sich wie in einer
       Glasglocke, wird von den Dorfbewohnern aus der Ferne mit einer gewissen
       Bewunderung beäugt, wahrscheinlich, wie sie vermutet, auch wegen ihrer
       Schönheit. Nahe kommt sie niemandem mehr.
       
       ## Irgendetwas stimmt nicht
       
       Die eigentliche Geschichte von „Brennende Felder“ beginnt hier, nach Luisas
       Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit. An ihre Vorgeschichte erinnert sie sich
       in Rückblenden. Ihre prekäre Identität, die Fremdheit gegenüber den
       anderen, macht den ehemals vertrauten Ort für sie zum Rätsel. Irgendetwas
       stimmt hier nicht. Verstärkt wird dieses Gefühl auch dadurch, dass Bob, wie
       schon in der Kindheit Luisas, häufig ohne Erklärung verschwindet.
       
       Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt die Geschichte von „Brennende Felder“
       äußerst langsam und detailliert. Eine erzählerische Entschleunigung, die es
       dem Leser ermöglicht, genauer auf die Folgen der rasanten Veränderung durch
       die Globalisierung zu schauen. Unerwartete Wendungen und die Befürchtung,
       dass etwas in das Leben Luisas einbricht, macht den Roman trotz seiner
       Langsamkeit spannend.
       
       Dem österreichischen Autor gelingt es auch in seinem neuen Buch, in der
       einerseits alltäglichen, andererseits extremen Geschichte dieser fiktiven,
       von der bäuerlichen Welt geprägten Familie generelle Probleme von Herkunft
       und Identität, Entfremdung und Gewalt so zu erzählen, dass sie auch denen,
       die nicht aus dieser Welt stammen, etwas sagen. Schreibweise und Thema
       seiner Romane machen [2][Reinhard Kaiser-Mühlecker] damit zu einem der
       außergewöhnlichsten und interessantesten deutschsprachigen Autoren.
       
       17 Aug 2024
       
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