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       # taz.de -- NS-Widerstandsroman „Die Prüfung“: Eine notwendige Qual
       
       > Wiedergelesen: Anfang 1935 erschien Willi Bredels „Die Prüfung“. Der
       > Roman handelt vom Alltag im KZ Fuhlsbüttel – der Autor wusste, wovon er
       > schrieb.
       
   IMG Bild: Kein strahlender Held: Willi Bredel (l.) bei der Vorstellung der „Bibliothek fortschrittlicher Schriftsteller“, Berlin (Ost) 1951
       
       „Die Prüfung“ ist ein schreckliches Buch. Willi Bredels Roman zu lesen,
       macht wirklich keinen Spaß. Aber es ist wichtig: Er berichtet aus erster
       Hand von der Anfangszeit der NS-Diktatur, in klaren, schlackenlosen Sätzen.
       Bredels Sprache braucht an keiner Stelle den Vergleich [1][mit der von Hans
       Fallada zu scheuen]. Und was er zu erzählen hat, ist inhaltlich ohnehin
       relevanter.
       
       Aber genau deshalb verursacht das vor 90 Jahren veröffentlichte Buch
       Qualen. Nicht der Anfang: Da wirkt’s, und das ist ein kluger
       kompositorischer Griff, als läse man einen fulminanten Großstadtroman, ja,
       einen Politthriller der ein famoses Panorama von Hamburg entwirft.
       
       Aber so, wie der NS-Terror gleich am Bleichenfleet [2][mitten in der Stadt
       seine Herzkammer eingerichtet hat], steht auch im Zentrum des Romans das
       Leben von August 1933 bis zum Frühjahr 1934 – im Konzentrationslager
       Fuhlsbüttel. Und an keiner Stelle gönnt Bredel sich und seinen
       Leser*innen eine erholsame Abdrift in die wirkungsbewusste
       kleine-Männer-Gefühligkeit, mit der andere Autoren der Neuen Sachlichkeit
       sich und ihr Publikum betäuben.
       
       Bredel war aus dem Hamburger KZ 14 Monate nach seiner Verhaftung entlassen
       worden, also um Pfingsten 1934. Ihm war klar: Noch einmal würde er das
       nicht überleben. Also ging er außer Landes, erst nach Prag, später dann
       Moskau.
       
       Bredel war Sohn eines Zigarrensortierers, und dass er in der herrlich
       galligen Wirtschaftskurzgeschichte „Ernte 23 oder Ein Held der westlichen
       Welt“ 1960 ausgerechnet vom brutalen Aufstieg des Philipp K.F. Reemtsma zum
       Monopolisten erzählt, hat möglicherweise auch etwas mit dieser Herkunft zu
       tun.
       
       Vor allem aber war der gelernte Dreher und zwischenzeitliche Matrose sowie
       Taxifahrer ein kommunistischer Aktivist. Schon beim kläglichen Hamburger
       Aufstand 1923 war Bredel dabei gewesen. Schon damals war er im Knast
       gelandet, war Journalist geworden, bevor man ihn 1930 wegen vermeintlichen
       Hochverrats wieder zwei Jahre wegsperrte. Im März 1933 nahmen ihn dann die
       Nazis hops, elf Monate wurde er in Fuhlsbüttel isoliert in Haft gehalten,
       zweieinhalb davon in Dunkelhaft.
       
       Erzählerisch meisterhaft, und ja, fast lesbar wie eine gallige Antwort oder
       sinistre Parodie auf die Zeitthematik in Thomas Manns zehn Jahre zuvor
       erschienenem „Zauberberg“ macht Bredel in den Dunkelhaft-Kapiteln der
       „Prüfung“ den Verlust jedes Gefühls für Dauer spürbar, den Verlust auch des
       Elementar-Rhythmus von Tag und Nacht – und das Ringen, sich diesen durch
       intellektuelle Anstrengung zu bewahren.
       
       Durchgestanden habe Bredel diese Zeit indem er den Roman bereits konzipiert
       hat, „im Kopf geschrieben“, heißt es im Vorwort der ersten
       Nachkriegsausgabe. Das Buch auf Papier zu bringen sei „nur noch eine
       technische Angelegenheit“ gewesen. Schon im Sommer 1934 waren Auszüge der
       „Prüfung“ wohl als Vorabdruck in Zeitschriften erschienen. Ganz fertig war
       der Roman dann im Herbst. Die Umschlaggestaltung übernahm John Heartfield,
       Meister der politischen Collage und wie Bredel in die Tschechoslowakei
       geflüchtet.
       
       Sein Bruder, der Verleger Wieland Herzfelde, erledigte den Rest: Rechtlich
       gesehen hatte der seinen Malik-Verlag aus Charlottenburg nach London
       umgesiedelt. Aber dort gab’s nur einen Briefkasten, die Arbeit fand in
       einer Prager Einzimmerwohnung statt. Gedruckt wurde in Moskau, wo das Buch
       mit anderem Umschlag fast gleichzeitig in der „Verlagsgenossenschaft
       Ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ herauskam.
       
       Nach Hans Beimlers Aufzeichnungen „Im Mörderlager Dachau“ (1933), aber noch
       vor dem anonymen Bericht [3][„Als sozialdemokratischer Arbeiter im
       Konzentrationslager Papenburg“ (1935)] ist „Die Prüfung“ das erste Werk,
       das einen Einblick in die Anfänge des Systems Konzentrationslager
       verschafft. Es tut aber noch mehr als diese Berichte.
       
       Ohne den dokumentarischen Wert zu schmälern, kann Bredel im Roman auch
       Innensichten des Terrorregimes anstellen: Er zeichnet Gestapo-, SA- und
       SS-Leute nicht als Typen oder gar Karikaturen, er lässt sie reden. Zeigt
       wie sie sich mit Tabakschiebereien und anderen Ganoventricks an den
       Häftlingen bereichern. Manche haben schon Zweifel am Regime, andere
       berauschen sich an ihrer eigenen Grausamkeit.
       
       Ebensowenig sind bei Bredel die KZ-Insassen eine einheitliche Masse: In
       Schlafsaalgesprächen tragen sie den Konflikt aus zwischen Sozialdemokraten
       und den Kommunisten, die sich von jenen verraten sehen. Auch widmen sie
       sich der Frage, wie nach dem Sturz des Regimes an den Nazi-Schergen Rache
       zu nehmen sei. Dass sie in geheimer Abstimmung bis auf einen alle für
       Totschießen sind, statt fürs Totprügeln, nehmen sie sich als allzu human
       fast ein wenig übel.
       
       Eine Figur, der kommunistische Agitator Heinrich Torsten, in dem am meisten
       von Bredel selbst steckt, schrammt in Wochen der Dunkelhaft nur knapp am
       Wahnsinn vorbei – und erkennt erst nach einer gefühlten Ewigkeit in den
       Klopfzeichen aus der Nachbarzelle codierte Nachrichten.
       
       Selten sind die Lichtblicke: Als der Journalist Dr. Fritz Koltwitz – in ihm
       hat Bredel [4][vor allem das Martyrium des Lübecker
       Bürgerschaftsabgeordneten und Zeitungsredakteurs Fritz Solnitz] gespiegelt
       – einen Brief von seiner Frau erhält, ist es für ihn ein Freudentag:
       „Koltwitz liest den Brief dreimal, liest ihn immer noch einmal, lacht und
       weint dabei vor Freude“, heißt es.
       
       Der Mann stellt fest: „Das Leben ist schön. Wie schön und lebenswert
       eigentlich, das hat er erst hier erkannt.“ Später wird er totgeprügelt. Und
       so schreitet die Erzählung von planmäßigen Erniedrigungen über Tritte und
       rohe Schläge über die systematischer Folter mit einem Tauende bis hin zum
       plötzlichem Erschrecken der Schergen, wenn sie mal wieder zu weit gegangen
       sind.
       
       Der erste Gefangene, der zusammenbricht, da sind wir noch nicht im KZ, ist
       John Tetzlin, ein kommunistischer Hafenarbeiter. „Ein Koloß von einem
       Mann“, nennt Bredel ihn: Auch diesem Tetzlin hat er Elemente seiner eigenen
       Biografie geliehen. Anders als der heroische Torsten kann Tetzlin die
       Verhöre im Stadthaus aber nicht aushalten, in Hamburgs Polizeizentrale.
       
       ## Erhängt aus Scham und Schuld
       
       Wieder zurück in der Einzelzelle, verzweifelt er: „Alle haben sie dir
       vertraut, John, alle haben sie in dir einen stahlharten Bolschewiken
       gesehen. Alle haben dich geliebt, John, und du verrätst deinen Org-Leiter“,
       zermartert er sich nächtens den Kopf, „hetzt die Bluthunde auf die Spuren
       deines Freundes.“ Er fiebert. Schreit seinen Verrat raus in die Nacht. Dass
       er sich erhängt hat, erfahren die Leser*innen dann beiläufig aus dem
       Munde eines Wachtmeisters.
       
       Zu den wichtigsten Figuren des Romans gehört Gottfried Miesicke. Er
       betreibt nahe der Colonnaden ein Kleidungsgeschäft, „Herrenkonfektion en
       gros“, und tritt auf beseelt vom Hochgefühl eines prima Abschlusses: Er hat
       vorteilhaft 18 Kartons Krawatten verkauft.
       
       Dass dieser vergnügte und durchaus liebenswerte Spießer auf dem
       Alsterdampfer sorglos vor Glück drauflosplappert, wird ihm zum Verhängnis.
       Denn dabei spricht er mit Torsten, den die Staatspolizei observiert. Also
       wird auch er einkassiert, obwohl er sich doch völlig unpolitisch weiß.
       
       Miesicke ist einer von drei jüdischen Charakteren des Romans. Bredel hatte
       sehr früh und sehr genau die ideologische Bedeutung des Judenhasses fürs
       Nazitum erfasst. Schon 1931 war er ihm im Roman „Rosenhofstraße“
       erzählerisch entgegengetreten. Nach dem Krieg brüskierte er mit „Das
       schweigende Dorf“ (1948) [5][fast schon die offizielle Geschichts- und
       Gedenkpolitik in Sowjetischer Besatzungszone und DDR: Die hätte den
       Holocaust lieber verdrängt].
       
       ## Wahre Helden gibt es nicht
       
       Die Literaturwissenschaftlerin Birgit Schmidt weist zurecht darauf hin,
       dass die Figur Miesicke [6][problematische Stereotype bedient]. An keiner
       Person setzt der Roman die Erniedrigung so plastisch in Szene, einen
       Kommunisten etwa, der die Kontrolle über seinen Schließmuskel verliert,
       gibt’s in keinem Bredel-Roman, so Schmidt. Allerdings: Von Miesickes
       Kollaps erfährt man nur aus dem Mund von SS-Männern. Schlägt da deren
       Judenhass durch?
       
       Wahre Helden gibt es nicht. Bredel ist eine beeindruckende, aber keine
       harmlose oder gar strahlende Figur. In den 1930ern schwärzt er politisch
       unzuverlässige Schrifstellerkollegen in Moskau an. Später, als Mitglied des
       Zentralkomitees der SED, hilft er auf widerlichste Weise, den Weggefährten
       und Kollegen Walter Janka fertig zu machen.
       
       Genießbarer wird sein Werk dadurch nicht – wichtig bleibt es. Umso
       schlimmer, dass es selbst in Hamburg, wo die [7][Willi-Bredel-Gesellschaft]
       sitzt, kaum noch präsent ist. Dabei erzählen gerade Bredels beste Bücher
       auch die Geschichte und die Geschichten dieser Stadt. Mit klarem Blick für
       die Opfer, ohne falsche Rücksicht auf die Täter. Schonungslos, notwendig
       quälend. Und zwingend wiederzulesen.
       
       1 Jan 2025
       
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   DIR [3] https://www.fruehe-texte-holocaustliteratur.de/wiki/Als_sozialdemokratischer_Arbeiter_im_Konzentrationslager_Papenburg_(1935)
   DIR [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Solmitz
   DIR [5] https://muse.jhu.edu/pub/19/article/381783/pdf
   DIR [6] https://unrast-verlag.de/2022/11/rezension-zu-kein-licht-auf-dem-galgen/
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