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       # taz.de -- Christopher Street Day in Leipzig: Faschisten auf dem Abstellgleis
       
       > Zum CSD in Leipzig kamen mehr als die ursprünglich angemeldeten 18.000
       > Teilnehmer:innen. Der Neonazi-Gegenprotest fiel dafür komplett aus.
       
   IMG Bild: Bunt statt braun: Der CSD in Leipzig lief ungestört durch die Stadt
       
       Leipzig taz | Als die ersten Teilnehmer:innen des Christopher Street
       Day am Leipziger Hauptbahnhof vorbeiziehen, ist von den 1.000 angemeldeten
       Neonazis nicht viel zu sehen. Nur verlassene Polizeigitter deuten an, wo
       der rechte Aufzug unter dem Motto „stolz, deutsch, national“ an diesem
       Samstagnachmittag hätte stehen sollen. Der Platz ist leer. Dass die
       CSD-Teilnehmer:innen „Nazis raus“ skandieren, hören die Gemeinten
       wahrscheinlich gar nicht.
       
       Nach ihrer Ankunft wurden rund 400 in Schwarz gekleidete Neonazis von der
       Polizei abgefangen und im Bahnhof gekesselt. Die Polizei unterzog sie
       einzeln Identitätsfeststellungen und suchte nach Vermummungsgegenständen
       oder Waffen. Das dauerte mehrere Stunden. Dabei mussten sich die Neonazis
       [1][antifaschistische Sprüche vom Nebengleis] anhören, wo das linke Bündnis
       „Leipzig nimmt Platz“ einen Gegenprotest angemeldet hatte.
       
       Etwa 500 Meter entfernt sammelten sich währenddessen am frühen Nachmittag
       immer mehr Menschen auf dem Augustusplatz für den CSD. Die Polizei sprach
       am Ende von rund 19.000 Teilnehmer:innen, die Veranstalter:innen von
       mehr als 20.000. Viele [2][trugen Regenbogenfahnen] oder Fahnen für
       Bisexualität, Asexualität oder die Inclusive-Pride-Flag. Von einer Bühne
       berichteten queere Organisationen von ihrer Arbeit oder präsentierten diese
       an Info-Ständen.
       
       Beinahe pünktlich, um kurz nach 13 Uhr, lief dann die CSD-Parade los. Laut
       den Veranstalter:innen nahmen mehr als 23 Gruppen oder Parteien teil.
       Zu basslastiger Musik von den Ladeflächen großer Lkw tanzten die
       Teilnehmer:innen, sangen bei Lady Gaga oder Nemo mit und schwenkten ihre
       Fahnen. Präsenz zeigen, darum ging es vielen Teilnehmer:innen, etwa auch
       Nadine aus der Kleinstadt Borna südlich von Leipzig. Der CSD am Samstag war
       ihr erster überhaupt. „Es gibt doch mehr queere Menschen, als man ansonsten
       sieht. Man ist nicht alleine, das ist schön“, sagt die 21-Jährige. Sie
       trägt eine orange-pinke Flagge um die Schultern, die für lesbische Personen
       steht.
       
       ## Was der CSD politisch fordert
       
       Ein bisschen kritischer sieht Teilnehmer:in Fay den CSD. In Leipzig
       laufen mehrere große Firmen mit, etwa Rewe, Pÿur oder die DHL, und auf der
       Website wird Werbung eingeblendet – [3][das sei ziemlich kommerziell], sagt
       Fay. „Aber man hört hier immer wieder antifaschistische, politische
       Botschaften. Das ist eigentlich, was ich an CSDs gut finde.“
       
       Allerdings: Die Organisator:innen des CSD hatten vorab 29 Forderungen
       veröffentlicht, für die der CSD in Leipzig demonstriere. Darunter etwa,
       dass an intergeschlechtlichen Kindern nicht mehr unnötig operiert wird,
       dass Deutschland sich mehr für den internationalen Schutz queerer Menschen
       einsetzt und die sexuelle Orientierung mit in die Verfassung aufgenommen
       wird. Auch wer nicht hetero liebt, soll Schutz vom Staat bekommen.
       
       Das forderte schon der erste CSD in Leipzig vor mehr als 30 Jahren. Am 28.
       Juni 1992 versammelten sich etwa 100 Menschen nahe der Universität vor der
       Moritzbastei. Wie Fotos zeigen, stand damals auf einem roten Banner:
       „Lesben und Schwule in die Verfassung“.
       
       In den vergangenen Jahren gründeten sich in vielen kleineren Städten CSDs.
       Dass es dabei zu nennenswerten Gegenprotesten gegen die fröhlichen Paraden
       kommt, ist neu. Dieses Jahr versuchten im Mai mehrere [4][Dutzend junger
       Neonazis], den CSD in Dresden zu stören. Dann brachte der AfD-nahe
       Oberbürgermeister Tim Lochner in Pirna die [5][Regenbogenflagge mit der
       Hakenkreuzflagge in Verbindung.] Und vor einer Woche kam Bautzen dazu.
       
       Zum zweiten CSD der Kreisstadt im Osten Sachsens kamen in diesem Jahr etwa
       1.000 Menschen. Doch [6][bedenkenlos laufen konnten sie in Bautzen] nicht.
       Eine Veranstaltung nach dem CSD sagten die Organisator:innen zur
       Sicherheit ab.
       
       ## Neonaziprotest in Bautzen
       
       Parallel zur CSD-Demo [7][protestierten in Bautzen rund 700 Neonazis].
       Viele junge Männer mit gescheitelter Frisur und in Schwarz gekleidete
       liefen straff organisiert durch die Stadt und skandierten etwa „Nazi-Kiez“.
       Szenekundige Beobachter:innen kritisierten im Nachhinein das
       Polizeiaufgebot als zu gering. Hätten die Neonazis es darauf angelegt,
       wären demnach an mehreren Stellen Durchbrüche bis zur queeren Demo möglich
       gewesen.
       
       Die Polizei sagte hingegen, der CSD in Bautzen sei „friedlich und
       störungsfrei“ verlaufen. Die Beamten hätten 16 Platzverweise ausgesprochen,
       14 Strafverfahren und 7 Ordnungswidrigkeiten eingeleitet. Unter anderem
       nannte die Polizei verstärkte Handschuhe, Volksverhetzung und eine
       Körperverletzung.
       
       In Leipzig kündigte die Polizeidirektion vorab ein Großaufgebot an. „Dieser
       Tag hat sich mit den Ereignissen am vergangenen Wochenende im Hinblick auf
       die Gefahrenlage und seine politische Dimension stark verändert.“
       Unterstützt werde die Leipziger Polizei unter anderem durch Einsatzkräfte
       aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Brandenburg, Hessen
       und Mecklenburg-Vorpommern.
       
       Wie das Sicherheitskonzept aussehen sollte, das zeigte sich am Morgen.
       Schon um etwa halb elf protestierten vor dem Leipziger Hauptbahnhof etwa
       800 Menschen gegen rechts. Die Polizei sperrte einen Autofahrstreifen auf
       der Straße, damit die antifaschistische Menge genug Platz hatte. Trotzdem
       war es eng.
       
       Den antifaschistischen Protest vor dem Bahnhof hatte Jürgen Kasek
       mitorganisiert. Er schien zufrieden damit und sagt der taz: „Die Bilder aus
       Bautzen haben für Empörung gesorgt. Gut, dass jetzt schon vor dem CSD so
       viele gegen die Nazis protestieren. Aber das ist Leipzig. Entscheidend wird
       auf lange Sicht, wie es in den kleineren Städten aussieht.“
       
       Währenddessen hallte über die Gleise des Hauptbahnhofs: „Ost-, Ost-,
       Ostdeutschland!“ Die von der Polizei festgesetzten Neonazis machten
       lautstark auf sich aufmerksam. Dort, wo früher mal Gleis 1 war, stand der
       rechte Aufzug: eingegittert, schwarz gekleidet, mit Reichsfahnen und
       Bundesfahnen, skandierten sie ihre üblichen Sprüche.
       
       Die Polizei zog nach und nach einzeln die Personen aus dem kleinen Kessel,
       um die Identitäten zu prüfen und nach Waffen oder Verfassungsfeindlichem zu
       suchen. Erst danach hätten die Neonazis auf ihre Kundgebungsfläche gedurft.
       Aber es kam anders.
       
       Mehrere Stunden waren vergangen, als die Polizei um kurz vor 13 Uhr
       mitteilte, der Versammlungsleiter habe seine rechtsextreme Kundgebung
       abgesagt. Doch weil es im Kessel zu Straftaten kam, habe die Polizei
       beschlossen, keine Ersatzveranstaltungen in der Stadt zu genehmigen und
       ausnahmslos alle Identitäten der festgesetzten Rechtsextremen zu prüfen.
       
       Mit den Identitätsfeststellungen war die Polizei noch nicht fertig, als die
       CSD-Parade um 16 Uhr wieder auf dem Augustusplatz ankam. Dort feierten die
       bunten Teilnehmer:innen zum Bühnenprogramm wie geplant und ungestört
       weiter.
       
       17 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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