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       # taz.de -- Indonesiens Hauptstadt vom Reißbrett: Ausdruck einer neuen Identität
       
       > Jakarta versinkt langsam im Meer. Die Regierung baut deshalb einfach eine
       > neue Kapitale. Nun fand die Einweihung von Nusantara statt.
       
   IMG Bild: Soldaten marschieren vor dem Beginn einer Zeremonie zum 79. Jahrestag der Unabhängigkeit Indonesiens am neuen Präsidentenpalast in der künftigen Hauptstadt Nusantara, die sich noch im Bau auf der Insel Borneo befindet
       
       Jakarta taz | Mit Pomp, Folklore und militärischem Tschingdarrassa feierte
       Indonesiens Elite am 17. August den 79. Unabhängigkeitstag mit der
       Einweihung [1][der neuen Hauptstadt Nusantara] in Ostkalimantan auf Borneo.
       Die Bilder im Fernsehen waren beeindruckend. Über den grünen Rasen vor
       einem repräsentativen Gebäude mit vielen weißen Säulen paradierten Soldaten
       in schmucken hellblauen Uniformen. Ehrengäste waren in der traditionellen
       Kleidung der vielen verschiedenen indonesischen Volksgruppen erschienen.
       Präsident Joko Widodo und seine Gattin Irina Jokowi und Iriana trugen die
       Kustim-Tracht der in Ostkalimantan lebenden indigenen Kutai.
       
       Nusantara ist das ehrgeizige Projekt von Widodo. Anstatt ernsthaft die
       vielen [2][massiven Probleme der mehr als 32 Millionen Einwohner zählenden
       Metropolenregion Jakarta] anzugehen, beschloss er einfach den Bau einer
       neuen Hauptstadt. Auf dem derzeitigen Preisschild stehen (umgerechnet) 32
       Milliarden Euro. Geld genug, sagen Kritiker, um Jakarta vor dem
       sprichwörtlichen Untergang zu retten. Teile von Jakarta versinken mit rund
       20 Zentimeter pro Jahr im Meer. Tagtäglich verstopfen Millionen von Autos
       die Straßen der Metropole, was Jakarta einen globalen Spitzenplatz unter
       den Großstädten mit der schlechtesten Luft beschert.
       
       Stadtplaner und Umweltexperten hegen aber arge Zweifel, ob der schrittweise
       Umzug von ein paar Politikern und zwei Millionen Beamten bis zur
       projektierten Fertigstellung von Nusantara im Jahr 2045 Jakarta eine
       wirkliche Entlastung bringen wird.
       
       In Nusantara läuft derweil nicht alles nach Plan. Der Bau verläuft
       schleppender als erhofft. Das liegt zu einem guten Teil offenbar an der
       ungeklärten Finanzierung. Die Idee war, dass der Staat 19 Prozent der
       Kosten übernimmt, während der Rest durch Direktinvestitionen aus
       Partnerschaften von staatlichen und privaten Unternehmen aufgebracht wird.
       Private Investoren sind in aber bei der indonesischen Monopoly-Variante
       „Ich kaufe eine Hauptstadt, statt nur eine schnöde Schlossstraße“ sehr
       zurückhaltend.
       
       Bürgerrechtler beklagen, dass für die Hauptstadt vom Reißbrett viele
       Menschen in Ostkalimantan umgesiedelt werden müssen. Umweltschützer
       kritisieren, dass für das von der Regierung als zukünftige „grüne“ Kapitale
       gefeierte Nusantara wertvoller Baumbestand gefällt wird, unter anderem auch
       für eine Zufahrtsstraße. „Der Bau der Straße birgt unmittelbare
       Umweltrisiken, da die Route durch ein Waldgebiet mit hohem Naturschutzwert
       führt, das den geschützten Wald Sungai Wain, die Mangroven an der Küste und
       die Balikpapan-Bucht verbindet“, [3][schrieb das Umweltmagazin „Mongabay“]
       im April 2023.
       
       Nach zwei Amtszeiten muss Präsident Widodo im Oktober die Macht an seinen
       im Frühjahr dieses Jahres gewählten Nachfolger Prabowo Subianto abgeben.
       Der derzeitige Verteidigungsminister ist wegen seiner Rolle als General
       während der Diktatur von Suharto eine kontroverse Figur. Prabowo hat
       bereits versichert, als Präsident das Projekt Nusantara fortzusetzen.
       Immerhin ist der Geschäftsmann Prabowo nach eigener Aussage auch ein
       Nusantara-Investor.
       
       Der altjavanische Begriff Nusantara, wörtlich „äußere Inseln“, bezeichnet
       im Allgemeinen den indonesischen Archipel. Moderate Muslime in Indonesien,
       dem Staat mit der weltweit größten islamischen Bevölkerung, propagieren
       seit geraumer Zeit einen „Islam Nusantara“ oder „Islam des indonesischen
       Archipels“ als toleranteren Gegenentwurf zu einem extremen und radikalen
       Islam. Im 80. Jahr der nationalen Unabhängigkeit schauen viele Indonesier
       nicht zurück auf die koloniale Vergangenheit, sondern mit Nusantara als
       Bezeichnung der eigenen nationalen Identität und Stärke auf die Zukunft
       ihres Landes.
       
       17 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Planhauptstadt-Nusantara/!6012036
   DIR [2] /Jakarta-versinkt-im-Meer/!6004090
   DIR [3] https://news.mongabay.com/2023/04/to-build-its-green-capital-city-indonesia-runs-a-road-through-a-biodiverse-forest/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Lenz
       
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