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       # taz.de -- Reagieren auf Fake News: Eine Bratwurst auf die Klimakrise
       
       > Trolle reagieren auf Meldungen zur Klimakrise oft mit Häme. Manchmal ist
       > das bloß ein Abwehrmechanismus, aus Angst heraus. Was wir dagegen tun
       > müssen.
       
   IMG Bild: Mit Fleischwitzen wollen Trolle klimabewusste Vegetarier*innen oder Veganer*innen provozieren
       
       Die Schlagzeile lautet „Epidemie der extremen Hitze“, hohe Temperaturen
       werden laut einem Bericht der UNO zum Normalzustand. [1][Der Post dazu auf
       der Instagram-Seite klima.taz bekommt über 1.600 Likes] – das Thema hat
       Schlagkraft. Doch unter dem Post findet sich neben betroffenen und ernsten
       Kommentaren auch welche zynischer Natur: „Darauf erstmal eine Bratwurst“
       schreibt ein User.
       
       Ein Witz? Eine Provokation, weil er weiß, dass viele klimabewusste Menschen
       Vegetarier*innen oder Veganer*innen sind? Oder vielleicht will er
       einfach zeigen, wie wenig er sich von solchen Nachrichten aus der Ruhe
       bringen lässt. Dasselbe bei einem weiteren Kommentator: „Klima hat sich
       immer gewandelt. Aber es gibt keinen Notstand und es kommt auch keine
       Apokalypse“, schreibt er.
       
       Aber was, wenn diese User, die mit zum Teil leicht wiederlegbaren
       Falschmeldungen daherkommen oder die Klimakrise herunterspielen, doch nicht
       so harmlos sind, wie sie zunächst wirken?
       
       Eine Eigenschaft von diesen Kommentierenden, die auf Social Media
       öffentlich [2][den Klimawandel relativieren oder gar leugnen,] ist, dass
       sie einen langen Atem haben. Einige kommentieren unter jedem Post von
       klima.taz. Sie posten die Inhalte in den eigenen Storys manchmal mit
       höhnischen Kommentaren, manchmal nur mit lachenden Emojis. Parallel
       bombardieren sie den Account in Direktnachrichten mit Videos, in denen
       Menschen von der „Klimalüge“ erzählen. Einige von ihnen schreiben
       tatsächlich mehrmals am Tag.
       
       ## Desinformationen zur Verharmlosung
       
       Das ist nicht immer nur vereinzelte Wut. Manche User sind dabei besonders
       umtriebig und posten von mehreren Profilen, um wie eine ganze „Armee“ an
       Unterstützer*innen zu wirken.
       
       Vor diesem Hintergrund will man die vereinzelten Kommentatoren, die nicht
       Teil eines größeren Systems sind, beinahe belächeln. Doch eine Studie der
       Australian National University Anfang dieses Monats fand heraus, dass das
       stete Wiederholen von falschen oder skeptischen Aussagen in Bezug auf den
       menschengemachten Klimawandel diesen grundsätzlich mehr Glaubwürdigkeit
       verleiht – selbst bei Menschen, die Vertrauen in die Wissenschaft haben.
       „Die Ergebnisse zeigen, wie mächtig und heimtückisch Wiederholungen sind
       und wie sie die Beurteilung der Wahrheit durch die Menschen beeinflussen
       können“, so Mary Jiang, Leitautorin der Studie.
       
       Die extreme Rechte instrumentalisiert das Thema gerne – und [3][verbreitet
       oder erfindet Desinformation], um die Klimakrise zu verharmlosen. Doch es
       gibt Lösungen, um Fake News dazu besser zu erkennen – und zu bekämpfen.
       
       ## Facts von Fakes unterscheiden
       
       Woran erkenne ich eine verlässliche Quelle für Klimafakten? Was sind
       Merkmale von manipulativer, populistischer oder verschwörungsideologischer
       Sprache? Wer das weiß, kann nicht nur leichter die irreführenden und
       falschen von den richtigen Fakten unterscheiden, sondern wird sich auch
       selbst weniger an der Verbreitung von Fake News beteiligen.
       
       Journalist*innen, NGOs und auch politische Influencer*innen können der
       Verselbstständigung von Fake News vorgreifen, indem sie gängige
       Falschnachrichten mit Faktenchecks aufklären oder „Prebunking“ machen – das
       heißt, falschen Ideen über ein Thema vorgreifen oder die gängigen Systeme
       erklären, die etwa Rechte immer wieder benutzen, um Themen zu verzerren.
       
       „Da wir nicht jede (Des-)Information selbst überprüfen können, übernehmen
       professionelle Faktenchecker diese wichtige Recherchearbeit für uns und
       bereiten die Ergebnisse verständlich und nachvollziehbar auf“, sagt dazu
       Sabrina Heike Kessler. Sie ist Forscherin und Dozentin am Institut für
       Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Dies
       könne nicht nur verhindern, dass sich Fake News ausbreiten, sondern
       öffentliche Debatten als Ganze fördern und mit evidenzbasierten Argumenten
       versorgen, so Kessler. Allerdings können Faktenchecks auch irreführend sein
       oder durch selektive Informationen aus dem Kontext gerissen werden. Es
       ersetzt also nicht, dass User sich selber informieren.
       
       ## Klimawissen stärken
       
       Das, was wir über den Klimawandel wissen, wissen wir durch
       wissenschaftliche Beobachtung von zum Teil hochkomplexen Vorgängen, die
       sich seit Jahrzehnten so stark verändern, dass es beunruhigend ist. Das
       Wissen darüber, was der Stickstoffkreislauf ist und warum es uns alarmieren
       sollte, dass der Mensch diesen völlig aus dem Gleichgewicht bringt, ist
       kein Allgemeinwissen. Dass Elektroautos nicht die Wunderlösung gegen die
       immer weiter steigenden Verkehrsemissionen, sondern vielmehr ein sehr
       zweischneidiges Schwert sind, weiß, wer sich mit Klimabilanzen auskennt,
       über die Nachteile von Lithium-Ionen-Akkus informiert und genau hinschaut,
       wie ein Elektroauto geladen wird. Aber das tut nicht jede*r.
       
       Und auch um falsche Klimainfos zu erkennen und zu berichtigen, ist es
       nützlich, das eigene Wissen über die Klimakrise regelmäßig zu
       aktualisieren. Besonders empfehlenswert ist dafür zu schauen, wie man
       selbst am besten lernt und News aufnimmt. Podcasts, Newsletter und Videos
       von verlässlichen Quellen sind alles gute Wege, um sich selbst gegen Fake
       News zu schützen und auch gut darauf antworten zu können.
       
       ## Verständnis haben
       
       Wenn jemand unter einem Post über Hitzetote fragt: „Aber was ist mit den
       Kältetoten?“, will man vielleicht zurückfragen: „Sag mal, hast du den
       Schuss nicht gehört? Was hat das damit zu tun?“ Vielleicht will man ihm
       auch den Wikipedia-Artikel zum Thema Whataboutism weiterleiten.
       
       Die Psychologin Lea Dohm sagt allerdings, öffentlich die Klimakrise zu
       leugnen, zu verdrängen oder zu bagatellisieren, kann ein Abwehrmechanismus
       sein, der aus der Angst vor der Bedrohung durch die Klimakrise kommt.
       
       Damit haben dieser Kommentator und jene, die unter unseren Posts zu immer
       häufiger werdenden Naturkatastrophen mit traurigen Smileys reagieren,
       vielleicht doch mehr gemeinsam, als sie denken. Das birgt Potenzial, ins
       Gespräch zu kommen und sich am Ende vielleicht anzunähern und jemanden dazu
       zu bringen, in Zukunft die eigenen Aussagen etwas mehr zu überdenken.
       
       Natürlich kommt es darauf an, wie sehr die Klimakrise geleugnet wird. Man
       muss abwägen, ob es sich lohnt, jemanden, der von vorne bis hinten leugnet,
       dass es eine Krise gibt, mit Verständnis zu begegnen, so Lea Dohm. Und am
       Ende können das eben auch gezielt gestreute Falschinformationen sein.
       
       ## Die Politik in die Verantwortung nehmen
       
       „Es kommt immer darauf an, welche politischen Akteure ein Interesse daran
       haben und den Freiraum verspüren, sich darauf einzulassen und das zu
       verstärken“, sagte der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr über
       Desinformation während der diesjährigen Europawahl. Politische
       Akteur*innen haben also eine zentrale Verantwortung bei der Eindämmung
       von Desinformation. Letztlich steht am Ende vom Lied der Fake News nämlich
       oft die Intention, politische Agenden zu stärken oder zu schwächen, so
       Jungherr.
       
       Ein Problem dabei, Desinformation besser zu verstehen, ist die Datenlage.
       Es ist für Forschende beinahe unmöglich nachzuvollziehen, wann, wo und wie
       Fake News auf Social Media ausgespielt werden. Den Zugang zu solchen Daten
       haben meist nur die Plattformen. Daten speziell zu Klimaleugner:innen
       gibt es also erst recht nicht.
       
       Sabrina Heike Kessler sieht hier die Politik in der Verantwortung: „Durch
       Gesetzgebung und Regulierung kann die Politik dazu beitragen, rechtliche
       Rahmenbedingungen auszubauen und Plattformen zur Verantwortung zu ziehen,
       einschließlich der Bereitstellung notwendiger Daten für die Wissenschaft.“
       Sonst bleibt der Kampf gegen Fake News auf ewig Hand- und Sisyphusarbeit.
       
       30 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/p/C-E_e_rOa6y/?igsh=bWxsOW9iOWRlcDhr
   DIR [2] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
   DIR [3] /Forscherin-ueber-Fake-News/!5996038
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Reiß
       
       ## TAGS
       
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