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       # taz.de -- Pionierin des Fußballs im Interview: „Ich sagte: ‚Ich tunnel dich‘“
       
       > Katja Bornschein hat 1990 das erste Tor der Frauen-Bundesliga geschossen.
       > Als Verdienst gab es Benzingeld, aber Mario Basler kam – mit Pokal.
       
   IMG Bild: Katja Bornschein (li.) und die spätere Weltfußballerin Birgit Prinz feiern 1996 den DFB-Pokal für den FSV Frankfurt
       
       taz: Wie hat es sich angefühlt, das erste Tor der Frauen-Bundesliga zu
       schießen? 
       
       Katja Bornschein: Im ersten Moment war es riesige Freude, aber einfach über
       das Tor grundsätzlich. Mir war gar nicht bewusst, dass es das erste Tor der
       [1][Frauen-Bundesliga]-Geschichte ist. In der Halbzeit hat mich eine
       Reporterin im Vorbeigehen darauf angesprochen, und ich habe mir dabei immer
       noch keine Gedanken darüber gemacht. Erst nach dem Spiel wurde mir dann
       bewusst, dass es doch ein besonderes Tor war.
       
       taz: Das ist aber lange in Vergessenheit geraten … 
       
       Bornschein: Ja, es gab mehrere Spiele an dem Tag. Iris Taaken vom SV
       Wilhelmshaven hat bei dem Spiel, das um 14 Uhr losging, ein sehr schnelles
       Tor geschossen. Nach 55 Sekunden. Ich habe um 11 Uhr für den FSV Frankfurt
       gespielt und auch ein Tor geschossen. Sie hat also ein schnelleres Tor
       geschossen, aber meins war das erste der Frauen-Bundesliga. Es wurde aber
       damals kaum dokumentiert, und Iris ist als erste Torschützin in die
       Geschichte eingegangen. Bis es dann vor ein paar Jahren recherchiert und
       aufgeklärt wurde.
       
       taz: Das erste Tor der Liga war nicht Ihr einziger Erfolg. Sie sind auch
       Europameisterin, Deutsche Meisterin und DFB-Pokalsiegerin. Beim DFB-Pokal
       gab es aber gar keinen richtigen Pokal, oder? 
       
       Bornschein: Ja, der DFB-Pokal war eine silberfarbene Pergamentrolle mit
       einem Kranz drum. Ich glaube, der EM-Pokal war ähnlich. Einmal waren wir im
       [2][Pokalendspiel] und haben da unsere schöne Pergamentrolle gewonnen. Nach
       uns hat Bayern gespielt. Wir hatten eine Kabine am Anfang, und deshalb
       mussten alle Spieler von den Männern bei uns vorbei.
       
       Dann ist [3][Mario Basler] gekommen und hat gesagt: „Mädels, nachher, wenn
       ma holen, kriegt ihr auch mal den Pokal!“ Er kam dann tatsächlich nach dem
       Spiel und hat uns den Pokal von den Männern gegeben. Ich kann sagen: Daraus
       zu trinken schmeckt überhaupt nicht. Heutzutage würde man sagen, wir haben
       unseren eigenen Pokal. Aber damals war das schon sehr witzig und toll.
       
       taz: Wie sind Sie zum Fußball gekommen, wenn es für Frauen damals gar nicht
       selbstverständlich war? 
       
       Bornschein: Das war eigentlich vorbestimmt. Meine Eltern haben beide
       Fußball gespielt. Ich bin in den 70er Jahren geboren. Ich bin eigentlich
       auf dem Fußballplatz groß geworden. Meistens war ich mit meiner Mutter im
       Training. Die haben mich in den Mittelkreis gesetzt und mir Bälle gegeben,
       und dann war ich beschäftigt. Es ist dann einfach meine absolute
       Leidenschaft geworden.
       
       taz: In Ihrer Familie war es total normal, aber wie wurde es ansonsten
       aufgenommen? 
       
       Bornschein: Da war ich immer ein bisschen exotisch. Ich habe mit fünf
       Jahren angefangen, und da gab es noch keine Mädchenmannschaften. Ich habe
       bis zur C-Jugend immer nur mit Jungs gespielt. In der eigenen Mannschaft
       war das normal, aber bei den Gegnern kamen dann schon öfter die berühmten
       Sprüche wie: „Lass dich doch nicht von einem Mädchen abkochen.“
       
       Es war anstrengend, immer wieder mit irgendwelchen Vorurteilen aufräumen zu
       müssen. Über [4][Frauenfußball] wurde nur gelacht. In der Berufsschule war
       einer, der selbst Fußball gespielt hat, und der hat mich nie ernst
       genommen. Dann hatten wir Sportunterricht, und ich habe zu ihm gesagt: „Ich
       tunnel dich jetzt.“ Das hat er mir nicht geglaubt, aber ich habe zack,
       zack, zack gemacht, und der Ball war durch seine Beine. Von da an war er
       ein Frauenfußball-Fan. Mit ihm bin ich heute noch gut befreundet. Wir
       lachen und unterhalten uns manchmal darüber. Das ist nur ein kleines
       Beispiel, aber so musste ich damals immer kämpfen.
       
       taz: Wie haben Sie damals trainiert, wenn Frauenfußball so unüblich war? 
       
       Bornschein: Das war sehr abenteuerlich und wäre ohne meine Eltern nicht
       machbar gewesen. In Frankfurt Anfang der 90er Jahre hatten wir dreimal pro
       Woche Training. Da musste mein Vater mich dreimal die Woche zum Training
       fahren und noch einmal, wenn ein Spiel war. Zu den Spielen sind wir erst
       privat gefahren. Mit der Gründung der Bundesliga wurde das
       professioneller. Da sind wir im Bus gefahren, und wenn wir runter bis
       München gefahren sind, haben wir auch mal da übernachtet.
       
       Ende der 90er bin ich nach Freiburg gewechselt und da auch noch einmal
       aufgestiegen in die Bundesliga. Da habe ich eine totale Veränderung
       bemerkt. Wir haben vier- bis fünfmal pro Woche trainiert. Ich war
       eigentlich jedes Wochenende unterwegs. Als ich aufgehört habe, war es schon
       normal, auch vormittags und sechs- bis siebenmal zu trainieren. Ich war
       immer zu hundert Prozent berufstätig, und dann war das einfach nicht mehr
       möglich.
       
       taz: Haben Sie mit dem Fußball nichts verdient damals? 
       
       Bornschein: Das war, wenn überhaupt, Benzingeld, aber mehr nicht. Am Ende
       war es quasi auf Minijobbasis. Das war’s dann auch. Ich hatte damals das
       Glück, dass ich bei der Telekom gearbeitet habe. Dort habe ich immer
       Sonderurlaub bekommen, wenn ich ihn brauchte. Gerade in der
       Nationalmannschaft hätte mein Urlaub sonst nie gereicht, um die ganzen
       Länderspielreisen machen zu können.
       
       Später habe ich noch Unterstützung von der Sportstiftung bekommen. Aber am
       Ende war es ein Freizeitvergnügen. Zur damaligen Zeit war es einfach so,
       dass fast alle gearbeitet haben. Entweder hatten sie nette Arbeitgeber, die
       ihnen viel freigegeben haben, oder das Training war abends, und sie haben
       es nach der Arbeit gemacht. Es war ein Hobby, obwohl es professionell
       aufgezogen war.
       
       taz: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie dann für die
       [5][Nationalmannschaft] gespielt haben? 
       
       Bornschein: Ich habe mich da am Anfang sehr schwergetan, weil ich sehr
       zurückhaltend war. Damals musste man noch die Bälle oder Hütchen tragen,
       wenn man irgendwo neu war. Das waren noch ganz andere Zeiten. Aber mein
       zweites Länderspiel war dann das Finale von der Europameisterschaft. Das
       war natürlich eine Riesenehre. Da die Nationalhymne zu hören und zu wissen,
       die wird jetzt gespielt, weil ich hier Fußball spiele, hat mich wahnsinnig
       stolz gemacht.
       
       taz: Wie gucken Sie auf den Frauenfußball heute? 
       
       Bornschein: Zum einen finde ich es total klasse, was passiert. Seit der EM
       in England hat Frauenfußball einen richtigen Schub bekommen. Jetzt ist er
       auch für Zuschauer und Sponsoren interessanter. Früher hat Frauenfußball
       nur Geld gekostet, und heute kann man damit auch Geld machen. Mit Olympia
       ist es jetzt noch weiter vorangegangen. Außerdem sind die Spielerinnen viel
       athletischer, als wir es damals waren. Da stecken richtige
       Trainingswissenschaften dahinter. Es ist viel professioneller geworden.
       Und ich finde es toll, dass die Spielerinnen davon leben können.
       
       Aber es reicht eben nicht, die Nationalspielerinnen mal ausgenommen, um
       noch was auf die Seite zu legen. Das wird vielleicht reichen, um jetzt
       Fußball spielen zu können. Aber was ist danach? Einer jungen Spielerin
       würde ich immer raten: Schau, dass du auf alle Fälle ein Studium oder eine
       Berufsausbildung machst. Und ich glaube, dass der Druck sehr hoch ist,
       dadurch, dass der Frauenfußball so professionalisiert wurde. Die
       Spielerinnen haben Berater:innen und müssen sich auf Social Media
       vermarkten. Ich war schüchtern und das wäre mir damals sehr schwergefallen.
       
       taz: Die Beliebtheit von Frauenfußball hat sich also verändert? 
       
       Bornschein: Absolut. Damals ist niemand für uns zum Spiel gekommen. Unsere
       Fans waren unsere Familien und Freunde. Damals haben wir vor den Männern in
       Berlin gespielt. Wenn wir da reingelaufen sind, war das Stadion relativ
       leer und am Ende des Spiels dann voll. Aber die Leute sind natürlich nicht
       wegen uns gekommen, sondern wegen des Spiels danach. Das ist aus heutiger
       Sicht gar nicht mehr nachvollziehbar. Da bekommt man in Köln fast das ganze
       Stadion voll. Früher wurde Frauenfußball ins Lächerliche gezogen, und heute
       wird er ernst genommen. Er wird im Fernsehen übertragen und besprochen, und
       Sponsoren sehen, dass sich damit Geld verdienen lässt.
       
       taz: Welche Rolle spielt Fußball heute noch in Ihrem Leben? 
       
       Bornschein: Ich schaue ihn noch im Fernsehen, und manchmal gibt es
       Länderspieleinladungen vom DFB. Das ist immer wie ein kleines
       Klassentreffen. Es ist mir sehr schwergefallen aufzuhören. Fußball war ein
       großer Teil meines Lebens, der weggebrochen ist. Ich habe noch meine
       Trainerscheine bis zur B-Lizenz und in Freiburg Stützpunkttraining gemacht
       und war auch noch mal Co-Trainerin beim SC Freiburg.
       
       Irgendwann habe ich gemerkt, dass das nichts für mich ist. Aber es sind
       auch wirklich Freundschaften entstanden, die es heute noch gibt. Es war
       schwierig, einen richtigen Freundeskreis außerhalb vom Fußball aufzubauen.
       Ich musste so häufig ins Training und anderen deshalb immer absagen. Da
       habe ich viele Kontakte verloren und bin noch enger mit den Frauen aus der
       Mannschaft zusammengewachsen. Wir treffen uns auch heute noch. Nur die
       Gesprächsthemen haben sich verändert. Von Fußball über Tupperware zum
       Thermomix. Wir lachen öfter mal darüber.
       
       30 Aug 2024
       
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