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       # taz.de -- Der Bunte Bahnhof Cottbus: Charmedröhnung hippiesker Lebensart
       
       > In Cottbus gibt es mit dem Bunten Bahnhof einen Ort, wie er in Berlin
       > immer seltener anzutreffen ist. Im Sperrmüll-Ambiente findet die Kultur
       > hier Raum.
       
   IMG Bild: Ein buntes Haus für buntes Treiben
       
       Cottbus taz | Die Website des [1][Bunten Bahnhofs von Cottbus] sieht
       schmuck aus, fast glänzend werden die Interieurs dargestellt – um die volle
       Charmedröhnung hippiesker Lebensart zu ermessen, muss man sich selbst ein
       Bild machen. Aber was heißt schon „hippiesk“? Zumal das moderne Wort für
       Inneneinrichtungen der sperrmülloiden Art (Achtung: ist als Kompliment
       gemeint) ja „Upcycling“ lautet, ökoideell aufgefönt als Stil, der auf
       Wiedernutzung setzt.
       
       Philipp Gärtner, der den Bunten Bahnhof mit FreundInnen vor fünf Jahren
       unter seine Fittiche nahm, ist in einem Nebenzweig seiner Tätigkeiten in
       der Wohnungsauflösungsbranche tätig – auch deshalb sind die Wände in der
       Halle und im Außenbereich des früheren Bahnschuppens liebevoll mit Bildern
       und Zierrat von Tante Anni, Onkel Gustav, Oma Kronmann und Opa Lausitz
       dekoriert. Das erinnert leicht an entsprechende Bars im Norden von
       Neukölln: Antischleiflack- oder Antidesignlooks, ohne dass hier gegen
       irgendeinen Geschmack etwas auszusetzen wäre.
       
       Nur dass dieser Ort gleich am Hinterausgang so unbefremdend, so gastlich,
       so freundlich einen einnimmt. Draußen sind die Holzplanken der Böden recht
       neu, aber sie verdecken, was dort geleistet werden musste: Schienen lagen
       dort, kaum zu sehen, wegen der ultrastacheligen Brombeerhecken. Die Bahn
       nutzte dieses Quartier als Schuppenensemble, das indes nicht mehr
       gebraucht wurde.
       
       Philipp Gärtner, der sich kulturell in eigener Sache wie in der anderer der
       Subkultur, dem Rock und dem Blues, dem Metal und anderer zugeneigt ist,
       sagt, dass es ein Elend sei, dass die Linke, wie in Leipzig aktuell oder
       sowieso in Berlin, sich so zerzankt. So sei das mit dem Widerstand gegen
       rechts nicht zu halten – man sei doch insgesamt immer gegen Gewalt,
       Menschen sollten ohne Gewalt miteinander auskommen, nicht ausgrenzend,
       lieber feiernd als schadenfroh noch den letzten ideologischen Zwist
       austragen wollend.
       
       ## Mit Plakaten und Parolen tapeziert
       
       Und so hält er es auch mit seinem Projekt, das aus einem gastronomischen
       Bereich besteht und andererseits aus einem sozialarbeiterischen. Man kommt
       im Übrigen durch eine schmale Tür tagsüber, schon von außen ist fast jeder
       Quadratzentimeter mit Plakaten und Parolen tapeziert, dies alles zu lesen
       ist aufwendiger als jede Zeitungslektüre. Immerhin fehlen
       propalästinensische Drohzeichen, das beruhigt.
       
       Innen geht man durch einen langen Flur, links die Toiletten, rechts Küche
       und andere Wirtschaftsräume, ehe man die Halle erreicht, die Bühne, die
       Bar: ein Fest an Geschmackseklektizismus, alles durcheinander – und
       dazwischen, zufällig zu Gast, ohne Schrecken vor diesem Sammelsurium an
       Dingen, die trotzdem nicht die Luft für das Wesentliche nehmen, Gärtners
       Mutter, die einfach mal zu Besuch ist.
       
       Woran es gebricht, langfristig, ist eine gute Heizung für den Winter, am
       besten eine Wärmepumpe, der Größe des Objekts angemessen, momentan läuft
       der heizintensive Betrieb jenseits der warmen Monate über Elektrizität. Das
       ist immer teuer, aber es fehlt am Finanziellen, um die Ökotransformation zu
       bezahlen – und der Rat der Stadt Cottbus ist nach den jüngsten
       Kommunalwahlen auch nicht gerade so aufgestellt, dass man dem Bunten
       Bahnhof als Standortfaktor des Undergrounds hinterherliefe.
       
       Und darauf könnte es ja hinauslaufen: Diese Location, in der das Frühere im
       Heutigen aufs angenehmste aufgehoben ist, ist ein Werbefaktor. Und Philipp
       Gärtner weiß das.
       
       In Berlin fehlt es KünstlerInnen und Bands und andere Kulturschaffenden an
       Proberäumen, Ateliers und überhaupt Willkommensflächen, in denen sie nicht
       abgezockt werden, ökonomisch. Im Bunten Bahnhof wäre ihnen alles möglich,
       man müsste in diese Richtung expandieren, zusammen mit den Galerien drumrum
       oder dem Antiquariat gegenüber. Die Fahrt mit der Bahn braucht ja nur 70
       Minuten: Im Bunten Bahnhof ist die ohnehin schöne Stadt Cottbus am
       allerschönsten. Gute Leute in liebevoller Einrichtung, die auch
       beleuchterisch nach 18 Uhr einen Hang zum Hellen, doch zugleich perfekt
       Gedimmten hat.
       
       ## Respekt vor dem Anderen
       
       Das Kulturprogramm scheint kuratiert, als ob ein freier Geist alles
       beieinanderhält. Die Leute vom Bunten Bahnhof wissen, dass ihr Haus der
       (Sub-)Kulturen nicht allen gefällt – was sie wollen, auch dies zeigt er
       innen wie außen, ist Respekt vor dem Anderen.
       
       Philipp Gärtner, geborener DDR-Bürger, gewordener Bundesdeutscher,
       gebürtiger und bekennender Cottbuser, nennt auf die Frage, was dieser Ort
       für ihn bedeute, nur dieses Wort: „Healing“, ein Ort der Heilung. Wenn dann
       noch ein neues Dach gedeckt werden könnte … dann wäre es in Zukunft ein
       upgecycletes Paradies.
       
       6 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bunterbahnhof.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
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